Ökonom Nouriel Roubini:Der Prophet des Untergangs

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Vor zwei Jahren sagte der Ökonom Nouriel Roubini die Finanzkrise vorher. Damals verlachten ihn die Experten, heute ist er ein Star. Und er ist sicher, dass das Schlimmste noch bevorsteht.

Nikolaus Piper

Wenn das altmodische Wort "Studierstube" überhaupt einmal passt, dann hier. Nouriel Roubinis Arbeitszimmer ist so winzig, dass es in Deutschland vermutlich gegen die Arbeitsstättenverordnung verstoßen würde. Bücher- und Aktenberge füllen jeden freien Winkel, auf einem Stuhl stapelt sich ungeöffnete Post, der Schreibtisch ist, da unter lauter Examensarbeiten begraben, unbenutzbar. Irgendwo dahinter sitzt der Professor mit dem schwarzen, schon etwas lichten und beständig zerzausten Haarschopf und bearbeitet seinen Blackberry. Ob sich sein Leben verändert habe, nun, da er eine Berühmtheit ist? "Nein, überhaupt nicht", sagt Roubini. "Ich arbeite nur noch mehr als früher und habe noch weniger Zeit für meine Freunde. Ich reise noch mehr, und manchmal erkennt mich jemand auf der Straße und sagt: Ach, sind Sie nicht Roubini?"

Der US-Ökonom Nouriel Roubini sagte die Weltwirtschaftskrise voraus - und erreichte damit nahezu Kultstatus. (Foto: Foto: oh)

Vor gut zwei Jahren noch war der Professor an der Stern School for Business bei der New York University ein Ökonom wie viele, in Fachkreisen geschätzt, dem breiten Publikum aber unbekannt. Heute ist er ein Popstar: Der Mann, der die Weltwirtschaftskrise vorausgesagt hat, und zwar in allen Einzelheiten. Der Ökonom, dessen düstere Warnungen zunächst niemand in der Politik und an der Wall Street glauben wollte - und nun haben sie sich alle bewahrheitet. "Dr. Doom" (Dr. Untergang) nannte ihn das New York Times Magazine vor einiger Zeit.

Katastrophale Daten

Längst sind seine Weltuntergangsszenarien von der Wirklichkeit übertroffen worden. "Das Schlimmste steht uns noch bevor", sagt er trotzdem ungerührt und zählt dann all die furchterregenden Daten herunter: Die Rezession werde 25 Monate dauern, von denen erst kaum die Hälfte geschafft seien, die Kreditkrise werde sich ausdehnen auf Kreditkarten, Autodarlehen, Anleihen amerikanischer Städte und vieles andere. Europa werde schwer getroffen werden, China eine "harte Landung" erleben, ebenso Russland. Roubini schnurrt dies alles schnell und mit professioneller Distanz herunter. Irgendwann fügt er noch tröstend hinzu, dass es ganz so schlimm wie bei der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre dann doch nicht kommen werde. Er hört sich dabei an wie ein Arzt, der einem erklärt, man habe einen bösartigen Tumor, aber er kenne Leute, die so etwas schon überlebt hätten.

Am Mittwoch ist Roubini in die Schweiz geflogen. Er wird einer der Stars sein, wenn Politiker, Manager und Wissenschaftler auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos darüber beraten, wie die "Welt nach der Krise" aussehen könnte. Am Freitag moderiert er zum Beispiel eine Diskussion unter dem schönen Titel "Die Macht der Furcht in Zeiten der Unsicherheit". Für ihn ist die Fahrt nach Davos auch eine Rückkehr zu den Anfängen seines Ruhmes. Vor zwei Jahren, im Januar 2007, war Roubini schon einmal auf dem Weltwirtschaftsforum aufgetreten, und zwar als Exot. Damals war die Welt noch eine andere.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers veröffentlichte eine Umfrage unter 1084 Vorstandschefs aus 50 Ländern, wonach 92 Prozent der Bosse optimistisch oder sehr optimistisch in die Zukunft blickten. Als größtes Risiko sahen sie die "Überregulierung" der Wirtschaft durch den Staat. Roubini saß seinerzeit auf einem Podium zur Weltkonjunktur, auf dem sich alle anderen einig waren, dass man "in der Besten aller Welten" lebe - mit niedriger Inflation und hohem Wirtschaftswachstum. Jacob Frenkel, damals Verwaltungsrat bei der amerikanischen Großversicherung AIG, bejubelte 2006 als "das Jahr, in dem nichts passierte". Weder sei der Dollar abgestürzt, wie einige befürchtet hatten, noch sei der Ölpreis über 100 Dollar gestiegen. Nur Nouriel Roubini spielte die Kassandra und prophezeite, die schlimmen Dinge stünden unmittelbar bevor. "Ich habe mich um sechs Monate geirrt", sagt er heute. "Die Rezession kam nicht Mitte 2007, sondern Anfang 2008." Jacob Frenkels AIG musste im vergangenen September von der amerikanischen Regierung vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Der Ölpreis stieg zwischenzeitlich auf mehr als 150 Dollar, und Roubini ist ein gefragter Mann.

"Ich bin kein Genie"

Warum ausgerechnet er erkannte, was so viele kluge und einflussreiche Leute übersahen? "Ich bin kein Genie", sagt Roubini, "ich habe nur richtig hingeschaut." Diese Erklärung bedarf der Ergänzung, und in diesem Zusammenhang ist es nützlich, sich die Karriere des Professors genauer anzuschauen.

Roubini ist in einem gewissen Sinne ein frühes Kind der Globalisierung; er selbst bezeichnete sich einmal als einen "globalen Nomaden". Geboren wurde er 1958 in Istanbul als Kind iranischer Juden. Als er zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Teheran um, wenig später nach Tel Aviv und schließlich nach Rom, wo der Junge aufwuchs. Er spricht heute fließend Farsi, Hebräisch, Italienisch und Englisch, letzteres mit einem wunderschönen italienischen Akzent. Erst studierte er an der Bocconi-Universität in Mailand, Mitte der achtziger Jahre wechselte er nach Harvard, wo ihn der Ökonom Jeffrey Sachs, damals ein Jungstar in Fragen der Weltwirtschaft, unter seine Fittiche nahm. Roubini spezialisierte sich auf Finanzprobleme der Entwicklungs- und Schwellenländer, forschte an verschiedenen Instituten und wurde von Washington entdeckt. Dort arbeitete er 1999 und 2000 mit dem Staatssekretär für internationale Wirtschaft zusammen, einem gewissen Timothy Geithner. Geithner ist heute Finanzminister der Vereinigten Staaten.

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Die Erkenntnisse aus den Forschungen über Finanzkrisen der Dritten Welt - Mexiko 1994, Asien 1997, Argentinien 2000 - packte er 2004 in ein 400 Seiten dickes Buch. Überall habe es vor der Krise dasselbe Muster gegeben: Banken mit viel zu niedrigen Kapitalreserven, hohe Defizite im Außenhandel und eine Auslandsverschuldung, die das jeweilige Land anfällig für Panikattacken machte. "Genau dieses Muster habe ich auf die Vereinigten Staaten angelegt, und es passte. Es konnte gar nicht anders sein, als dass eine schwere Rezession bevorstand."

Wenn Roubini seine Argumente darlegt, klingen sie so simpel, dass man sich wundert, warum nicht alle anderen auch darauf gekommen sind: die Defizite im Staatshaushalt und im Außenhandel, der Niedergang der privaten Ersparnisse, schließlich der Wahnsinn mit den Eigenheimen. Die letzte große Spekulationsblase, wirft er ein, hatte sich auf dem amerikanischen Immobilienmarkt Ende der achtziger Jahre gebildet. Als sie platzte, stürzten die USA in eine schwere Rezession. "Diesmal war die Blase doppelt so groß wie 1990, also musste auch die Korrektur viel schärfer ausfallen."

Für solche Zahlen ist kein Drink stark genug

Im September 2006 stellte Roubini seine Thesen erstmals auf einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds in Washington vor: In den USA werde der Immobilienmarkt kollabieren, ein Ölschock stehe bevor, das Konsumklima werde einbrechen, Billionen von Dollar an Hypothekenkrediten würden faul werden, das globale Finanzsystem werde erschüttert, Banken und Hedgefonds gingen unter. Und das Ganze im globalen Maßstab. Als er fertig war, sagte der Moderator: "Ich denke, wir brauchen jetzt einen starken Drink." Einige im Publikum lachten.

Ein Jahr später, im September 2007, kam Roubini zum zweiten Mal zum IWF, und diesmal lachte niemand mehr. "Das ganze Publikum hatte sich dorthin bewegt, wo Nouriel schon war", sagt Prakash Lougani, der IWF-Ökonom, der Roubini zu der denkwürdigen Diskussion eingeladen hatte. Was nicht bedeutet, dass nun alle Ökonomen Roubini-Anhänger geworden wären. "Es war sein Verdienst, die Leute wachzurütteln", meint Lougani. Aber er habe sich eben auch geirrt. So habe er anfangs geglaubt, Auslöser der Krise werde das Ungleichgewicht im Außenhandel sein, also die Tatsache, dass die USA viel mehr importieren als exportieren. Erst später habe er die Bedeutung der Immobilienspekulation erkannt.

Der Charme an Roubinis Methode liegt darin, dass er keine komplizierten Modelle verwendet, sondern mit leicht verständlichen historischen Analogien arbeitet. Allerdings ist diese Methode nicht frei von Willkür. "Die Gefahr liegt darin, dass man seine Meinung nicht anhand objektiver Fakten bildet, sondern dass man die Fakten aussucht, die zu seiner Meinung passen", sagt Anirvan Banerji, ein New Yorker Ökonom, der ebenfalls bei der Diskussion 2006 dabei war und Roubini damals widersprach. Banerji wirft ihm vor, dass er zwar schon immer eine Jahrhundertrezession vorausgesagt hat, dass er dafür jedoch laufend neue Gründe anführte. "Auch eine Uhr, die stehen geblieben ist, geht zweimal am Tag richtig", sagt er.

Prognosen bewahrheiten sich

Doch alle Kritik wirkt sehr klein angesichts der Konsequenz, mit der Roubinis Prognosen eingetreten sind. Im April 2008 sagte er im Interview der Süddeutschen Zeitung voraus, die Verluste der globalen Banken würden noch auf mindestens eine Billion Dollar steigen, was damals recht abenteuerlich klang. Kurz darauf machte sich der IWF genau diese Zahl zu eigen - und inzwischen hat sie die Realität schon wieder überholt; jetzt ist von zwei Billionen oder mehr die Rede. Roubini forderte schon früh, die amerikanische Regierung müsse faule Kredite aufkaufen - was sie dann, nach vielen teuren Umwegen, auch tat. Der Ökonom merkte hinterher sarkastisch an, dass die Regierung Bush mit ihrer ganzen marktwirtschaftlichen Rhetorik die "Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika" geschaffen habe.

Am 20. Januar, dem Tag, an dem in Washington der Mutmacher Barack Obama vereidigt wurde, saß Roubini auf einer Konferenz in Dubai und machte eine neue, fürchterliche Rechnung auf: Der amerikanischen Wirtschaft drohten als Folge der Krise Gesamtverluste von nunmehr insgesamt 3,6 Billionen Dollar. Hätte er recht, dann wäre das gesamte amerikanische Bankensystem de facto insolvent. Keiner tut dies heute mehr als Hirngespinst ab. Jeffrey Sachs, der einst Roubinis Doktorarbeit betreute, meint anerkennend: "Ich wusste auch, dass etwas in der amerikanischen Wirtschaft schief läuft, aber ich rechnete mit einer schweren Dollar-Krise. Es war Nouriel, der die Zahlen richtig deutete."

Sein eigenes Unternehmen wächst

Etwas Gutes hat die Krise immerhin: Sie hat zum unternehmerischen Erfolg Roubinis beigetragen. Im Jahr 1997 hatte er eine Website gestartet, auf der er ökonomisch relevante Informationen aus dem Internet sammelte, ordnete und für Kollegen nutzbar machte. 2004 wandelte er die Seite in ein kommerzielles Unternehmen um namens RGE Monitor, wobei RGE für "Roubini Global Economics Service" steht. RGE hat inzwischen 50 Mitarbeiter und 1000 zahlende Kunden, darunter Finanzinstitute, Behörden und gut 50 Notenbanken aus der ganzen Welt. "Demnächst werden wir noch mehr Leute einstellen", versichert eine Mitarbeiterin Roubinis.

Das Chaos im Arbeitszimmer in der New York University lässt ahnen, dass die Mehrfachbelastung als Professor, Unternehmer und globaler Starökonom nicht spurlos an Roubini vorbeigeht. Der 50-jährige Junggeselle kommt mit durchschnittlich vier Stunden Schlaf aus, was auf Dauer nicht sonderlich gesund sein dürfte. In New York hat er sich immerhin seine eigene Welt aufgebaut. Im alternativ-schicken Viertel Tribeca richtete er ein Loft ein mit selbst gesammelter moderner Kunst. Seine beiden Arbeitsplätze bei RGE Monitor und der New York University am Washington Square kann er zu Fuß erreichen. Und gelegentlich wird er auch auf Partys in Tribecas Universitätsszene gesehen. Roubini mache dauernd einen leidenden Eindruck, hatte seinerzeit das New York Times Magazine geschrieben. Er lächle fast nie, und wenn er es tue, gleiche sein Gesicht einer Grimasse. "Das ist Unsinn", sagt Roubini. "Wir haben in dem Interview über ernste Dinge gesprochen, da war ich natürlich ernst. Ich kann aber durchaus lachen."

Will sagen: Auch einer, der sich beruflich mit dem Weltuntergang befassen muss, hat Freude am Leben. "Ich bin kein pessimistischer Mensch", sagt Dr. Doom.

© SZ vom 29.01.2009/iko/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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