Neues Grundsatzprogramm der Piratenpartei:"Wir finden Kopieren cool"

Das neue Grundsatzprogramm der Piratenpartei versucht, liberale und linke Positionen zur Wirtschaft zu vereinen. Die Autoren wollen Klartext reden - und bieten dem Wähler doch nur altbekannte Positionen.

Caspar Schlenk

Die Piratenpartei lernt Wirtschaft. Im Netz feilen die Piraten Laura Dornheim, 28, und Alexander Bock, 25, an einem Grundsatzprogramm, das zeigen soll, wie es die junge Partei mit der Wirtschaft hält. Sie arbeiten in gewohnter Piraten-Manier: Was sie bei anderen Parteien gut finden, übernehmen sie. "Wir finden Kopieren cool", sagt Bock. In einer Matrix haben sie die Positionen der etablierten Parteien zur Wirtschaft herausgeschrieben, weitere Inhalte ziehen sie aus den vorhandenen Piraten-Positionen, Copy-Sharing heißt das im Partei-Sprech.

Piraten-Parteitag in NRW

Ein Piraten-Rechner in Aktion beim Parteitag in Dortmund im April diesen Jahres.

(Foto: dpa)

Entstanden ist ein Inhaltsmix. So fordern sie "weniger Staat", wollen Subventionen prüfen, Monopole zerstören und damit einen freien Markt schaffen. Zudem soll ein einfaches Steuersystem her - ähnlich wie das des Steuerrechtlers Paul Kirchhof. Gleichzeitig müsse der Staat aber regulieren. "Wenn sich ein Unternehmen einen Fehlschlag leistet, darf es nicht so groß sein, dass der Staat es retten muss", sagt der Münchener Pirat Bock. Das sind bekannte Ideen. Innovative Antworten zu den Themen Schuldenkrise und Energiewende fehlen.

Mit dem Mindestlohn findet sich im Programm eine der wenigen konkreten Forderungen. Diesen wollen die Piraten einführen, bis das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen kommt. Für dieses sollen staatliche Transfers gebündelt und an jeden Bürger ausgezahlt werden, ob er arbeitet oder nicht. Das will auch die Linke. Die Piraten leiten daraus ab: Vollbeschäftigung sei "weder zeitgemäß noch sozial erstrebenswert", wie es im vorläufigen Programm heißt. Dornheim sagt: "Sinnlose, monotone Arbeit können heute Maschinen erledigen."

"So weich gespült"

Die Menschen, die nicht erwerbstätig seien, könnten etwa lizenzfreie Software programmieren, ehrenamtlich arbeiten oder sich der Kunst widmen. Alles Utopie? "Die Grünen haben auch 30 Jahre gebraucht, um die AKWs abzuschalten", sagt Bock. Den Visionen muss die Basis auf dem Bundesparteitag im November in Bochum zustimmen, mit einer Zweidrittelmehrheit. Für den Vorschlag sieht es nicht schlecht aus, er führt deutlich im Online-Abstimmungsportal der Piraten.

Noch läuft die Abstimmung im "Liquid Feedback"

"Das Wirtschaftsprogramm ist so weich gespült - ich könnte mir vorstellen, dass es mehrheitsfähig ist", sagt Henning Bartels, Politologe und Autor des Buches "Die Piratenpartei". Auf den bisherigen Parteitagen hatten sie es bislang versäumt, über wirtschaftspolitische Anträge abzustimmen - es fehlte an Zeit und am Interesse. Nun ist der Druck der Öffentlichkeit gewachsen, sich zu wichtigen Wirtschaftsthemen zu positionieren.

Dafür stiegen Bock und Dornheim aus den langwierigen innerparteilichen Diskussionen in Chats und Mailinglisten aus und entwarfen mit zwei Mitstreitern das Programm. Dornheim arbeitet für eine Münchner Unternehmensberatung. Seit einigen Wochen ist das Programm fertig und steht noch einige Tage im "Liquid Feedback" zur Abstimmung. Das Prinzip des digitalen Stimmungsbarometers: Jeder, der sich für Wirtschaft interessiert, darf abstimmen. Wer keine Ahnung hat, kann seine Stimme an andere Piraten weitergeben - "delegated voting" heißt das, erklärt Bock. Jeder Nutzer kann Änderungen und Kommentare einfügen, über die wiederum abgestimmt wird. Wenn die Mehrheit für das Programm ist und mindestens zehn Prozent der etwa tausend Wirtschafts-Piraten abgestimmt haben, ist der Antrag durch und muss von der Basis auf dem Parteitag abgesegnet werden.

Schwammig formuliert

Dass sich das Programm an einigen Stellen anhört wie eine Kopie der anderen Parteien, ist nicht nur dem Kopieren geschuldet. Auf dem Parteitag stehen sich liberaler und linker Flügel gegenüber, schon zum Grundeinkommen gab es eine große Kontroverse. Dornheim und Bock geben zu, dass sie den Antrag schwammig formuliert hätten, um den "Graben ein bisschen zuzuschütten". Zu einigen Punkten haben die beiden aber sehr konkrete Vorstellungen. Etwa warum es für kleine, innovative Unternehmen - die Stammklientel der Piraten - sinnvoll ist, bestimmte Kartelle zu brechen.

Die Partei war mit dem Versprechen angetreten, in der Politik eine neue Sprache einzuführen - Klartext zu reden. Die langwierige Identitätsfindung, die internen Streitereien und die plötzlichen Rücktritte haben Zustimmung gekostet. In aktuellen Umfragen liegt die Partei nur noch bei sechs Prozent, der schlechteste Wert seit März.

Kein gutes Signal für Bernd Schlömer. Der Bundesvorsitzende möchte die Partei 2013 in den Bundestag führen. Erste wichtige Themen hat Schlömer bereits aufgegriffen. So hat sich der Bundesvorstand der Verfassungsbeschwerde des Vereins "Mehr Demokratie" angeschlossen, gegen den Euro-Rettungsschirm. "Der ESM-Vertrag ist ein klassisches Beispiel für fehlende Beteiligung der Parlamente und damit fehlender Einflussmöglichkeit von Bürgern in diesem Land", sagte Schlömer Journalisten. Im Juli hatte die Partei eine Podiumsdiskussion mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und dem künftigen Chef des Euro-Rettungsschirms, Klaus Regling, organisiert, um zu zeigen: Es tut sich was.

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