Nach den Bekenntnissen von Merkel, Hollande und Draghi:Wie die große Euro-Rettung aussehen könnte

Ist die Krise noch zu meistern? Kanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Hollande und EZB-Chef Draghi sagen Ja. Doch unter Wirtschaftswissenschaftlern tobt ein Streit. Es geht vor allem um die Frage, wie sich drohende Staatsbankrotte und Bankenpleiten abwenden lassen - und welcher Preis dafür zu zahlen ist.

Catherine Hoffmann

Erst kam Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank: "Die EZB wird alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten." Dann bekräftigen Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande: "Deutschland und Frankreich sind entschlossen, alles zu tun, um die Eurozone zu schützen." Die Politik diskutiert, wie die Euro-Krise zu bändigen sei. Welche Lösung bietet die Volkswirtschaftslehre? Ein Überblick.

Ökonomie, sagt ein alter Witz, ist das einzige Fach, in dem zwei Forscher den Nobelpreis bekommen, weil sie das genaue Gegenteil herausgefunden haben. Solche Kalauer gibt es zuhauf; sie werfen ein Schlaglicht auf die öffentliche Wahrnehmung der Wirtschaftswissenschaft, in der die Gewissheiten fehlen. Der jüngste Ökonomen-Streit ist das beste Beispiel dafür. Medial versierte Professoren ringen miteinander um die Meinungshoheit, da steht das Lager von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn gegen die Mitstreiter des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger; ein Aufruf jagt den nächsten - für und wider Bankenunion, pro und kontra Schuldentilgungspakt. Das Publikum ist oftmals verwirrt.

Doch der Wunsch, die Experten mögen bitte mit einer Stimme sprechen, ist naiv. Ökonomie ist keine Mathematik, in der sich eins und eins zu zwei summieren. Es gibt unterschiedliche Standpunkte, ökonomisch wie politisch. Deshalb darf und muss sogar gestritten werden um den richtigen Weg aus der Euro-Sackgasse.

Die Marktverfechter

Für viel Furore sorgte ein Aufruf gegen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels, angestoßen vom Dortmunder Statistiker Walter Krämer, unterschrieben vom Euro-Apokalyptiker Hans-Werner Sinn und weit mehr als 200 Ökonomen. Sie machen Stimmung gegen die geplante Bankenunion: Die kollektive Haftung bedeute nichts anderes, als dass Steuerzahler solider Länder für Bankschulden in Krisenstaaten geradestehen müssten; es drohten riesige Verluste. Dadurch werde nicht der Euro gerettet, sondern "Wall Street, der City of London (...) und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken" geholfen. Statt die Bürger zur Kasse zu bitten, sollten besser die Gläubiger abgewirtschafteter Geldhäuser die Lasten tragen. "Banken müssen scheitern dürfen", heißt es im Manifest.

Die Ökonomen fürchten, die Bankenunion sei der Einstieg in eine Transferunion. Der Sozialisierung der Bankschulden folge bald die Vergemeinschaftung der Staatsschulden. "Bankenunion und Schuldentilgungspakt sind beide das Ergebnis keynesianischen Denkens", sagt Charles Blankart, Professor für Öffentliche Finanzen an der Humboldt Universität in Berlin; auch er hat den Krämer-Brief unterzeichnet. "Die Argumentation ist einfach: Geld hineinpumpen, bis die Krise vorüber ist. Mit mehr Liquidität lässt sich das Problem aber nicht lösen", warnt Blankart. Er beklagt, dass "die ordnungspolitische Sicht auf der Strecke bleibt".

Der Ordnungspolitiker glaubt an den Markt. In seiner Welt hat der Zins eine Lenkungsfunktion für die Wirtschaft, er sorgt dafür, dass die Menschen sorgfältig mit Geld umgehen. Hohe Zinsen für spanische Staatsanleihen signalisieren: Achtung, großes Risiko! Sie mahnen Anleger zur Vorsicht. Und weil das gut und richtig sei, dürfe man die Zinsen nicht beliebig manipulieren. "Die Lenkungsfunktion des Zinses wird durch Rettungspakete, Aufkäufe von Staatsanleihen und Geldspritzen für Banken zerstört", kritisiert Blankart. Er hält das für gefährlich, weil die künstlichen Minizinsen nur zu neuen Fehlinvestitionen einladen und Krisen hervorrufen würden.

Blankart traut sich auszusprechen, was im Aufruf der Marktverfechter nur anklingt: "Entweder wir gründen einen europäischen Einheitsstaat oder wir kehren zurück zu nationalen Währungen. Da aber kein Politiker den Mut und die Macht zu einer großen Lösung hat, bleiben wir auf der schiefen Ebene." Die instabile Lage erzwinge immer größere Rettungsschirme und Zentralbankinterventionen, was den Banken und Südstaaten in die Hände spiele.

Die Marktskeptiker

Über so viel Vertrauen in die Vernunft des Marktes kann Gerhard Illing nur staunen. Der Münchner Makroökonom und bekennende Keynesianer verweist auf die Finanzkrise und sagt: "Es ist völlig naiv zu glauben, dass das freie Spiel der Märkte Blasen verhindert - das Gegenteil ist richtig." Offenkundig lagen die Märkte falsch, als sie vor einigen Jahren Spanien zu bescheidenen Zinsen Geld geliehen haben, aber warum sollten sie jetzt Recht haben, da die Zinsen bei knapp sieben Prozent liegen?

Was die Pragmatiker vorschlagen

Damit der Markt funktionieren könne, wie es im Lehrbuch steht, brauche es vernünftige Eigentumsrechte - und das heißt im Fall des Euro: Unternehmen und Verbraucher brauchen die Sicherheit, dass der Währungsbund nicht aufgelöst wird, dass ihre auf Euro lautenden Verträge auch in Zukunft gültig sind - sonst werde die Furch vor einem Zerfall des Euro zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Schon heute sei die Kapitalflucht aus Spanien und Italien bedrohlich.

Die Alternativen seien klar, sagt Illing mit Blick auf das Lager um Blankart, Krämer, Sinn: "Entweder wir brechen das Experiment Euro ab - nur traut sich das niemand zu fordern - oder wir gehen voran und schaffen politische Institutionen, damit ein einheitlicher Währungsraum funktionieren kann." Der erste Schritt dorthin sei die Bankenunion, sie könne den Teufelskreis zwischen nationalen Banken- und Schuldenkrisen durchbrechen. Hinter einem entsprechenden Aufruf von Illing und seinem Berliner Kollegen Frank Heinemann versammelten sich weit mehr als 200 Wirtschaftswissenschaftler.

Eine europäische Bankenaufsicht soll wirksame Durchgriffsrechte auf marode Institute bekommen, sie abwickeln oder neu aufstellen dürfen. "Dabei darf es keinesfalls um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden gehen", heißt es in dem Papier. Vielmehr müssten erst die Gläubiger insolventer Banken für ihre riskanten Einsätze haften, so dass die Abwicklung weitgehend ohne Steuermittel auskommt. In diesem Punkt herrscht Einigkeit mit den Truppen um Sinn. Der Münchner Professor geht allerdings weiter, als der von ihm propagierte Aufruf. Es brauche nicht nur eine Lösung für schlingernde Banken, sondern auch für notleidende Staaten. Die bietet ein neues Ökonomenpapier. So überrascht es nicht, dass manche Fachleute beide Entwürfe unterschrieben haben, etwa die frühere Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro.

Die Pragmatiker

Hinter einen Vorschlag der Denkfabrik Inet, die von Spekulant George Soros mit Millionen Dollar gefördert wird, haben sich Menschen unterschiedlicher Anschauungen versammelt, darunter Peter Bofinger, überzeugter Keynesianer, und Lars Feld, Leiter des Walter Eucken Instituts. Eucken zählt zu den wichtigsten Vordenkern der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, Feld gilt als Ordoliberaler. Hinzu kommen etliche europäische Kollegen wie Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Forschungsinstituts Ceps. Sie suchten nicht nach einer dogmatisch lupenreinen, sondern einer politisch praktikablen Lösung, ihren Kern bilden eine Bankenunion und ein Schuldentilgungspakt. "Es geht nicht darum, die Verluste aus vergangenen Bankgeschäften zu sozialisieren - die sollten in erster Linie die Gläubiger tragen", sagt auch Gros. "Wenn aber die Bilanzen bereinigt sind von den Sünden der Vergangenheit, dann ist es sinnvoll, die sanierten Institute mit einer europäischen Versicherung zu versehen." Damit die Insolvenz einer einzelnen Bank nie wieder das gesamte System ins Wanken bringen kann.

Was die Staatsschulden angeht, schlagen die Inet-Leute- wie auch der deutsche Sachverständigenrat - einen Schuldentilgungspakt vor. Gros nennt das "nicht den allerbesten, aber den am wenigsten schlechten Weg aus der Misere". Der Pakt würde Staaten wie Spanien und Italien verpflichten, den eingeschlagenen Reform- und Sparkurs fortzusetzen; gleichzeitig würde er ihnen mittels niedriger Zinsen ein wenig Luft verschaffen, bis sich die Anstrengungen auszahlen. Dann so etwas kann viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

Was mir an der Idee nicht gefällt: Dass irgendein europäisches Gremium den Italienern Sparmaßnahmen aufdrückt", sagt Gros. "Mir ist es viel lieber, wenn das ein Markt macht, selbst wenn der nicht perfekt ist." Gros dürfte nicht der einzige sein, der Bauchschmerzen hat. Andererseits misstraut er auch der Logik des Marktes: "Wenn in Italien die Zinsen morgen auf 20 Prozent springen, wollen wir dann sagen: Auf Wiedersehen, Pech gehabt?" Der Ökonom will das nicht, also klappt er sein Lehrbuch zu - und hofft auf die Politik.

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