Manager vor Gericht:Manchmal hilft ein Haftbefehl

Siemens, HRE, Ferrostaal - sie alle haben mit zweifelhaften Methoden gearbeitet und dabei eine unbequeme Bekanntschaft gemacht: Die Ermittler der Münchner Staatsanwaltschaft I gelten als besonders hartnäckig.

H. Leyendecker u. K. Ott

Raum 134 der Staatsanwaltschaft München I ist definitiv kein Herrenzimmer: Das Mobiliar besteht aus einfachen Regalen, einem langen Tisch, ein paar Stühlen. In der Ecke blubbert eine Kaffeemaschine. Die haben sich die Strafverfolger selbst gekauft.

Manager vor Gericht: Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl und ihr Kollege Oberstaatsanwalt Manfred Nötzel. Foto:Alessandra Schellnegger

Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl und ihr Kollege Oberstaatsanwalt Manfred Nötzel. Foto:Alessandra Schellnegger

(Foto: sz.wir)

Arbeitsgruppe Finanzkrise

In dem karg ausgestatteten Büro sind schon Herrschaften ins Schwitzen geraten, die einst auf den Kommandobrücken bei Konzernen wie Siemens oder MAN das Sagen hatten und deren Vorzimmer viel prächtiger waren.

In den vergangenen Monaten wurden mehrfach ehemalige Bankvorstände in Raum 134 gebeten, und die Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl sagte zu Beginn der Vernehmungen gern ihren Lieblingssatz: "Wir sind heute zusammengekommen, um gemeinsam einen Teil der Vergangenheit aufzuarbeiten."

Die 47 Jahre alte Strafverfolgerin steht einer neugegründeten "Arbeitsgruppe Finanzkrise" vor, in der elf Staatsanwältinnen und Staatsanwälte arbeiten. Die Fälle der beinahe havarierten Bank Hypo Real Estate (HRE) und der leichtfertigen Bayerischen Landesbank (BayernLB) werden von den Fahndern strafrechtlich aufgearbeitet.

Wirtschaftskriminalität besonders intensiv bekämpfen

Der Staat hat mit fast hundert Milliarden Euro allein für die marode HRE gebürgt, und die Frage, ob es in diesem kapitalen Fall eine strafrechtliche Schuld gibt, drängt sich auf: "Es war ein Kraftakt, die Arbeitsgruppe zu bilden. Wir haben Experten aus dem ganzen Haus geholt", sagt Manfred Nötzel, 59, der Leiter der Behörde. Er arbeitet seit Jahren eng mit Bäumler-Hösl zusammen, er hat ihr die Arbeitsgruppe Finanzen anvertraut, er setzt sie gerne auf große, ebenso spektakuläre wie komplizierte Wirtschaftsfälle an.

Die Staatsanwaltschaft München I, deren Zuständigkeit eigentlich das Gebiet der Landeshauptstadt und des Landkreises München ist, steht bundesweit im Ruf, alle Formen der Wirtschaftskriminalität besonders intensiv zu bekämpfen. Als ähnlich hart gelten nur noch die Bochumer, die Bonner und die Koblenzer Ermittler. Aber die Münchner stellen das weitaus größte Kontingent.

Fünf der 16 Abteilungen des Hauses kümmern sich um die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität. Mehr als fünfzig Ermittler arbeiten in diesem Bereich. Die Fälle Siemens, MAN und neuerdings Ferrostaal machten auch im Ausland Schlagzeilen. Bäumler-Hösl ist im Haus eine Art Sonderbeauftragte für Großverfahren. Auch die Aufklärung des Korruptionsfalles Siemens ist eng mit ihrem Namen verbunden.

Am Ende ging es immer nur um Bagatellen

Wird München I gelingen, was noch keiner deutschen Staatsanwaltschaft gelungen ist? Wird erstmals ein Ex-Bankvorstand wegen Veruntreuung von Bankvermögen in Milliardenhöhe angeklagt? Auch anderswo wird gegen hochrangige Bankmanager ermittelt, doch am Ende ging es bisher immer nur um Bagatellen. So wird in Düsseldorf derzeit vor Gericht vor allem darüber gestritten, ob der frühere Chef der Mittelstandsbank IKB, Stefan Ortseifen, seine Dienstvilla auf Kosten der Bank renovieren durfte.

War die Finanzkrise ein ökonomischer Tsunami, also eine Art Naturereignis, oder sind Bankleute im Bewusstsein der sich abzeichnenden Katastrophe pflichtwidrig hohe Risiken eingegangen und haben dabei gegen strikte interne Regeln verstoßen? In Stuttgart zeichnet sich ab, dass die dortige Strafverfolgungsbehörde möglicherweise gegen ehemalige Spitzenleute der baden-württembergischen Landesbank eine solche Untreue-Anklage formulieren wird. In München ist das nahezu sicher.

Im Fall der HRE, die vom Staat mit vielen Milliarden Euro vor der Pleite gerettet werden musste, ist davon auszugehen, dass sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende Georg Funke wegen angeblicher Veruntreuung von Bankvermögen in Milliardenhöhe vor Gericht verantworten muss. Ein Musterprozess über die Pflichten von Bankchefs zeichnet sich ab.

Schlichte Verfolger

Das könnte ein Lehrstück werden, wie schon der Korruptionsfall Siemens zum Lehrstück für die deutsche Wirtschaft wurde. Auch im Fall der Bayerischen Landesbank sind Anklagen drin - wegen Veruntreuung von Vermögen des Geldhauses beim Kauf der Kärntner Hypo Group Alpe Adria, der zu Milliardenverlusten führte. Und wegen Bestechung des mittlerweile verstorbenen früheren Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider mit einem Fußball-Sponsoring bei der Übernahme des Klagenfurter Geldinstituts.

Wirtschaftsgrößen, die mit zweifelhaften Methoden operieren oder gar sich selbst bereichern, müssen sich also in München auf vieles gefasst machen. Für einen Teil der Gesellschaft sind die Münchner Strafverfolger eine Art moralischer Stellvertreter, für einen anderen Teil handelt es sich schlicht um Verfolger.

Vorwurf der Beugehaft

"Beschuldigte haben das Recht zu schweigen, aber wenn sie davon Gebrauch machen, droht ihnen Haft", beschrieb einmal der Frankfurter Wirtschaftsanwalt Eberhard Kempf die angeblichen Methoden der Ermittler.

Kempf hatte und hat als Beistand von Managern großer Konzerne oft mit den Münchnern zu tun. Behördenleiter Nötzel, der vor zwei Jahrzehnten Bankvorstände der damaligen Bayerischen Raiffeisen-Zentralbank auf die Anklagebank gebracht hat, weil sie leichtfertig hohe Immobilienkredite vergeben hatten, findet den insinuierten Vorwurf der Beugehaft "absurd".

Andererseits war es schon erstaunlich, dass die Ermittler der Arbeitsgruppe Finanzkrise neulich fast parallel fünf Verdächtige vernahmen und für jeden von ihnen einen Haftbefehl dabei hatten. Wenn einer der fünf nicht geredet hätte, wäre er wahrscheinlich wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft gekommen.

Eine Spezialität ist das Einsammeln von Geld

"Der Beschuldigte wird nichts unversucht lassen, die weitere Sachverhaltsaufklärung zu verhindern oder zumindest zu erschweren", lautet die Standardformulierung in Haftbefehlen. Alle fünf redeten und mussten nicht in Haft.

Eine Spezialität der Münchner ist das Einsammeln von viel Geld bei Konzernen geworden. Siemens und MAN zahlten als Buße für Schmiergeldgeschäfte insgesamt 750 Millionen Euro in die Staatskasse. Im Fall Ferrostaal fordern die Ermittler weitere 240 Millionen Euro. Dann wäre die Milliarde fast voll, und das wird nicht das Ende sein.

Ein bisschen von all dem Geld könnte den Strafverfolgern selbst zugute kommen. Landtagsabgeordnete denken darüber nach, für München I erstmals Hauptabteilungsleiter-Stellen zu schaffen. Nötzel könnte dann Spitzenleuten, die von der Privatwirtschaft reichlich Angebote bekommen, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und ein bisschen mehr Gehalt bieten. Vielleicht sind in dem von der Landesbank ziemlich geschröpften Staatshaushalt dann auch noch ein paar Euro für die Renovierung des Zimmers 134 drin.

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