Folgen für Europa:Hollande, wütende Griechen und die Vertrauenskrise

Es ist erstaunlich: Seit mehr als zwei Jahren steckt Europa in einer schlimmen Krise - und doch steht der Kontinent noch relativ gut da. Der Euro hält sich ordentlich und einige Staaten bekommen das Geld der Anleger fast umsonst. Dass Europa immer noch so viel Vertrauen entgegen gebracht wird, ist der Lohn eiserner Sparpolitik. Nun aber haben die Wähler genau diese Politik abgestraft. Das ist gefährlich.

Oliver Das Gupta, Hans von der Hagen und Lilith Volkert, Paris

An diesem Montag ist die Furcht nach Europa zurückgekehrt. Die Börsen brechen ein und der Euro ist erstmals seit Monaten wieder unter die Marke von 1,30 Dollar gerutscht. Damit reagieren die Anleger auf das Wahlergebnis vom Wochenende, dass manchen als Signal für eine Kehrtwende in Europa gilt: In Frankreich übernimmt mit François Hollande der erste Sozialist seit François Mitterrand die Regierung. Und in Griechenland sind die Regierungparteien derart übel abgestraft worden, dass sie voraussichtlich keine Mehrheit mehr erreichen können.

In beiden Fällen protestierten die Wähler damit wohl vor allem gegen eine Politik, die sie als hart und ungerecht empfinden, weil sie ihnen zu viele Opfer abverlangt. Denn Europa setzt - anders als etwa Amerika - bislang auf das Dogma des Sparens. Wirtschaftliche Gesundung durch gesundes Wirtschaften. In Amerika regiert hingegen das Ausgabe-Dogma: Wenn die Konjunktur nicht läuft, muss mehr Geld ausgegeben werden. Und genau so eine Politik sehnen viele in Europa herbei.

Unsicherheitsfaktor Frankreich

In Frankreich soll nach dem Willen der Wähler Hollande nun eine Wachstumsstrategie durchsetzen. Und der richtete auch prompt eine klare Botschaft an Europa: "Es wird viele Länder geben, die nun erleichtert und hoffnungsvoll sein werden, dass das Sparen kein unabwendbares Schicksal ist." Es sei nun seine Mission, "dass die europäische Konstruktion eine Dimension des Wachstums, der Beschäftigung und des Wohlstands erhält".

Auch in Griechenland wünschen sich viele eine Wachstumspolitik herbei. Doch nach der Wahl ist nun völlig unklar, wer dort überhaupt noch Politik machen kann. Damit dürften auch die ehrgeizigen Sparziele des Landes Makulatur sein.

Genau das sorgt nun an den Finanzmärkten für tiefe Verunsicherung. Das Vertrauen der Anleger, das Europa noch durch die Krise getragen hat, droht nun zu zerbröseln. Das ist gefährlich, weil Vertrauen buchstäblich Geld wert ist. Länder wie Deutschland aber auch Frankreich erhalten bislang zu extrem günstigeren Zinsen Kredit - das erleichtert die Finanzierung der Rettungsmaßnahmen gegen die Krise. Doch an diesem Montag sind die Zinsen für Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und vor allem Griechenland teils deutlich gestiegen.

"Die Kluft zwischen den Politikern und den Wählern vergrößert sich", stellt Steen Jakobsen, Chef-Ökonom der Saxo Bank fest. "Das sehen wir in Griechenland und Frankreich. Die Wähler senden eine klare Botschaft: 'Wir sind zu diesen Reformen nicht bereit'. Dies ist besorgniserregend. Wir stehen vor einer großen Krise in Europa, wirtschaftlich und sozial."

Fiskalpakt? Nachverhandeln, hatte Hollande betont

Doch wie realistisch ist es, dass sich Hollande mit seinen Vorstellungen überhaupt durchsetzen kann? "Dass Hollande in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg in Tulle gleich das Thema Europa aufgegriffen hat, zeigt, wie wichtig es ihm und den Franzosen ist", sagt Renaud Dehousse, Chef des Zentrums für Europastudien an der Pariser Universität Sciences Po. Hollande werde sich jetzt nicht wie Mitterrand 1981 verhalten, schätzt Dehousse. Mitterrand hatte Frankreich damals wie eine Insel in Europa betrachtet und postuliert, dass man auch ganz alleine zurechtkomme. "Das geht nicht und Hollande ist sich dessen bewusst." Der künftige französische Präsident habe, als es um den Fiskalpakt gegangen sei, immer sehr auf dem Wort "nachverhandeln" bestanden. Das bedeute, dass er Dinge nicht herausstreichen, sondern hinzufügen wolle - etwa dass sich die Europäische Zentralbank stärker einbringen solle.

Dehousse geht davon aus, dass Italien den Kurs Hollandes stützen wird. Und auch die SPD spräche sich ja inzwischen für Wachstumsimpulse aus. "Frankreichs neuer Präsident wird sich anstrengen müssen, Verbündete für seine Sache zu finden, aber wenn er nicht mit abwegigen Vorschlägen kommt, wird er die auch finden."

Erste Signale dafür gibt es bereits: Der italienische Regierungschef Mario Monti sagte Hollande am späten Sonntagabend am Telefon, Italien wolle mit Frankreich kooperieren, "mit dem Ziel einer immer effizienteren und auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten Union".

Griechenland versetzte dem Sparen eine "erschütternde Niederlage"

Frankreich ist in Europa nun im Hinblick auf den Sparkurs zu einem Unsicherheitsfaktor geworden. Doch noch viel unklarer ist, wie es in Griechenland weitergeht. Zwar versucht Antonis Samaras, der Chef der konservativen Nea Dimokratia, eine Einheitsregierung zusammenzimmern, die einen Verbleib der Hellenen in der Euro-Zone unterstützt. Aber das scheint nahezu unmöglich zu sein: Schließlich stellen die Parteien, die den Spar-Kurs ablehnen, die deutliche Mehrheit im neu gewählten Athener Parlament.

Zur Veranschaulichung: Die Nea Dimokratia wurde stärkste politische Kraft - mit gerade mal 18,85 Prozent (hier die Ergebnisse im Überblick). Wo sind, neben der sozialistischen Pasok, ihre potentiellen Partner? Als Mehrheitsbeschaffer scheiden viele radikale Parteien ohnehin aus.

Auf den zweiten Platz etwa landete die Partei Syriza. Die Linksradikalen sind über Nacht zu einem wichtigen, wenn nicht entscheidenen Faktor geworden. Deren Vorsitzender Alexis Tsipras sandte noch am Wahlabend eine Kampfansage ins ferne Berlin: "Frau Merkel muss verstehen, dass das Sparprogramm eine erschütternde Niederlage erhalten hat". Seine Partei lehnt es bislang strikt ab, mit den bislang dominierenden Parteien Pasok und Nea Dimokratia gemeinsame Sache zu machen.

Deutschland, das steht für viele Griechen inzwischen für die hässliche Seite Europas, die ihre Heimat kaputt macht. Als Ausweg blieben abermals Neuwahlen.

"Das politische System kann nicht weiter existieren"

Das griechische Wahlergebnis erschütterte auch Deutschland. SPD-Chef Sigmar Gabriel hofft darauf, dass in Athen doch noch eine Mehrheit für einen Pro-Euro-Kurs zusammenkommt - und erinnert gleichzeitig an die Militärdiktatur in Griechenland in den 70er Jahren. Das gebe einem eine Vorstellung davon, was passiere, wenn man Länder ins Chaos stürze. Der griechisch-deutsche FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis spricht von einem "Erdbeben" und prophezeit, "dass das bisherige politische System nicht weiter existieren kann". Das Beben traf im übrigen auch den griechischen Finanzmarkt: Die Börse brach im frühen Geschäft fast um zehn Prozent ein, die Bankenwerte sackten noch tiefer ab.

Politiker von CDU und CSU lehnten Änderungen am europäischen Fiskalpakt vorauseilend ab. Unions-Fraktionschef Volker Kauder etwa sagte, es gebe keinen Spielraum für Änderungen an der Vereinbarung, die bindende Schuldenbremsen und automatische Sanktionen für Defizitsünder vorsieht. In Irland gebe es demnächst ein Referendum dazu, und in anderen Ländern sei der Pakt bereits verabschiedet worden. Es könne nicht sein, dass Verabredungen nach Wahlen in einem Mitgliedstaat nicht mehr gültig seien.

Die SPD hingegen sieht mit Hollande Chancen für eine Wachstumsinitiative in Europa. Merkel habe dies über Jahre verweigert, sagte Gabriel. Ohne Deutschland und Frankreich sei ein Wachstumspakt nicht durchsetzbar gewesen. Die anderen europäischen Staaten hätten aber nur darauf gewartet, dass jemand genau dies vorschlage. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth betonte, dass es richtig sei, vom strikten Spardiktat in Europa abzurücken. Sparen und Haushaltskonsolidierung seien wichtig, aber es gehe nicht ohne Wachstum.

Wachstum ist wichtig - ja. Aber Wachstumspolitik ist ein heikles Feld. Es gibt in der Geschichte wenige Erfolgsgeschichten, die für mehr als ein konjunkturelles Strohfeuer gesorgt hatten.

Entsprechend ätzten die Experten der Commerzbank, dass an diesem Montag von den Kritikern der Merkelschen Sparstrategie an den Finanzmärkten nichts zu sehen sei. Die müssten heute doch eigentlich den Wahlsieg Hollandes feiern. Ob die erst später ins Büro kommen und dann die Kurse steigen lassen würden? Die Chancen dafür sind nicht gut - das Vertrauen ist weg.

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