Diskussion um Hartz IV:Schmerzmittel - mehr nicht

Ausgerechnet im Wirtschaftswunderland Deutschland sind besonders viele Menschen über lange Zeit arbeitslos. Doch in den Jobcentern wird für sie nichts getan, sie werden wie Bittsteller behandelt.

Alexandra Borchardt

Wenn ein Arzt die Ursachen eines Leidens nicht erkennt, oder das Leiden gar als unheilbar diagnostiziert, verordnet er Schmerzmittel, um die Not zu lindern. Hartz IV ist ein solches Schmerzmittel. Es hilft den Empfängern, in der Not zu überleben, aber es geht dem Leiden nicht auf den Grund. Der Hartz-IV-Kompromiss, über den Bundestag und Bundesrat am Freitag abstimmen, macht in weiten Teilen nichts anders, als die Dosis dieses Mittels zu erhöhen. Das ist ein Zeugnis phantasieloser Politik. Denn entweder erkennt sie das Leiden nicht, oder - schlimmer - sie betrachtet es als unheilbar.

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Der deutsche Arbeitsmarkt ist dreigeteilt: Es gibt drinnen, draußen und ganz draußen.

(Foto: dpa)

Die chronische Krankheit heißt in diesem Fall Langzeitarbeitslosigkeit, und ausgerechnet im Wirtschaftswunderland Deutschland ist sie verbreiteter als in fast allen Industrieländern. Nahezu jeder Zweite, der hierzulande seinen Job verliert, bleibt länger als ein Jahr arbeitslos. Das kann nicht an den Betroffenen liegen. Weder sind deutsche Arbeitslose schlechter ausgebildet noch dümmer als anderswo. Auch ist die staatliche Unterstützung nicht so üppig, dass es sich die meisten damit freiwillig bequem machen würden. Die Probleme sind der verkrustete Arbeitsmarkt und das Versagen jener Institutionen, die den Bedürftigen aus ihrer Not helfen sollten: der Jobcenter.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist dreigeteilt: Es gibt drinnen, draußen und ganz draußen. Drinnen sind die Festangestellten mit Kündigungsschutz und Gewerkschaften, die für sie kämpfen. Draußen ist das wachsende Heer der Leiharbeiter, der befristet Beschäftigten, der sich von Auftrag zu Auftrag hangelnden Einzelkämpfer. Ganz draußen sind die Langzeitarbeitslosen. Wer einmal nach draußen oder gar ganz draußen geraten ist, kommt kaum wieder rein. Die Politik muss bei Hartz IV also dort ansetzen, wo diese Grenzen verlaufen.

Zweifellos richtig beim neuen Kompromiss ist die Förderung von Kindern - so dürftig sie aus Finanzknappheit ausfallen muss. Kinder müssen vorbereitet werden auf ein Leben aus eigener Kraft, nur so lässt sich verhindern, dass Hartz-Generationen nachwachsen. Aber wer sich nur auf die Kleinen konzentriert, wird erst in ferner Zukunft überprüfen können, ob seine Politik wirkt. Und er signalisiert, dass er die jetzt Bedürftigen abgeschrieben hat. Das darf nicht sein.

Ein Kernproblem liegt in den Job-Centern. Wenn Gerichte fast jeden zweiten Hartz-IV-Bescheid als fehlerhaft zurückgeben, stimmt etwas Gravierendes nicht. Es zeigt, dass die Mitarbeiter in den Behörden vor Ort überfordert sind. Und sie tun genau das nicht, was der Name verspricht: Menschen an einen Job bringen.

Das ist kein Wunder. Denn die Beschäftigten sind für ihre schwierige Aufgabe in der Regel nicht ausgebildet. Viele Menschen, die in ein Jobcenter kommen, stecken in einer Lebenskrise. Psychologen setzen den Verlust des Arbeitsplatzes von der Belastung her gleich mit einer Scheidung oder gar dem Tod eines Vertrauten. Im Jobcenter allerdings wird der Hilfebedürftige behandelt wie ein Bittsteller. Die Berater verstehen sich nicht als Dienstleister, sondern als Bewacher der Staatskasse. Sie haben keinen Anreiz dafür, jemandem eine Perspektive zu bieten, sondern nur einen dafür, ihn schnell wegzuschicken. Sie sind weder juristisch noch psychologisch ausreichend geschult, noch haben sie Kontakte zur lokalen Wirtschaft, um die Vermittlung in Arbeit zu beschleunigen. An all diesen Punkten muss angesetzt werden.

Statt noch ein paar Euro mehr auf Bedürftige zu tröpfeln, wäre das Geld besser in die Ausbildung und Begleitung der Jobcenter-Mitarbeiter investiert. Wer erfolgreich vermittelt, verdient Prämien, Arbeitslose sollten ihre Betreuer bewerten dürfen. Gleichzeitig müssen Firmen bessere Anreize dafür bekommen, Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Die Jobcenter und die Unternehmen sind die Schlüssel dafür, den jetzt Abservierten die Türen zum Arbeitsmarkt wieder zu öffnen.

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