Geplanter Verschleiß von Produkten:Plötzlicher Tod der Glühbirne

Ende der Glühbirne ab 1. September

1924 vereinbarte ein Kartell von Glühbirnenherstellern, die maximale Lebensdauer der Leuchten dürfe 1000 Stunden nicht überschreiten. Der bis heute bestdokumentierte Fall von geplanter Obsoleszenz.

(Foto: dpa)

Einst hat ein geheimes Kartell die Lebenszeit von Glühbirnen verkürzt - ein markantes Beispiel für gewollten Verschleiß. Die Industrie sorgt mit Hilfe der Politik immer häufiger dafür, dass Produkte eine bestimmte Gebrauchsdauer nicht überschreiten. Nachweisen lässt sich das schwer.

Von Silvia Liebrich

Der Erfinder Adolphe Chaillet wäre vermutlich längst in Vergessenheit geraten, hätte er nicht eine ganz besondere Glühbirne erfunden. Eine Glühbirne, die seit mehr als 100 Jahren in einer Feuerwache in der Nähe von San Francisco ihren Dienst leistet. Das "ewige Licht", wie die Feuerwehrmänner diese Glühbirne nennen, hat es sogar bis ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft.

Hergestellt wurde sie vermutlich um das Jahr 1895 von der Firma Shelby Electric, die ihr Produkt damals stolz mit dem Zusatz "Longest Life" bewirbt. Grund für das besonders lange Leben der Birne ist der von Chaillet entwickelte Glühfaden. Woraus der genau besteht, das blieb bis heute ein Geheimnis.

Der mächtige US-Konzern General Electric, der den Glühbirnenhersteller zwei Jahrzehnte später übernimmt, hat kein Interesse daran, eine Glühbirne herzustellen, die so lange brennt. Das amerikanische US-Werbemagazin Printers' Ink bringt es 1928 auf den Punkt: "Ein Artikel, der nicht verschleißt, ist eine Tragödie fürs Geschäft." Die Konsumenten sollen neue Produkte kaufen, in immer kürzeren Abständen, so lautet schon damals die Botschaft - eine grundlegende Voraussetzung für die Massenproduktion. Und wäre es nicht überhaupt viel besser, wenn Glühbirnen schon nach relativ kurzer Zeit kaputtgingen? Wenn es gar einen planbaren Verschleiß gäbe?

Einziges Ziel: Gewinnmaximierung der Hersteller

Das denken sich auch die Herren in dunklen Anzügen, die sich im Winter 1924 in Genf zu einem geheimen Treffen versammeln. Ihr Ziel ist es, ein Kartell zu gründen, dem sie den Namen Phoebus, "der Leuchtende", geben. Ein mit Bedacht gewählter Name, geht es doch darum, den weltweiten Glühbirnenmarkt untereinander aufzuteilen. Und nicht nur das. Die Firmenvertreter beschließen außerdem, die Lebenszeit von Glühbirnen auf 1000 Stunden zu verkürzen. Das entspricht etwa einer Halbierung der damaligen Brenndauer. Ein Hersteller, der Birnen produziert, die länger brennen, muss harte Strafen an das Kartell zahlen. An der illegalen Absprache beteiligen sich nahezu alle großen internationalen Produzenten, darunter auch die deutsche Osram. Erst eine Anklage der US-Regierung gegen General Electric setzt dem Treiben 1942 offiziell ein Ende. Doch bis heute kursieren Gerüchte, das Kartell bestehe weiter. Beweise dafür gibt es nicht.

Das Glühbirnenkartell ist eines der bekanntesten Beispiele für einen gewollten Verschleiß oder eine geplante Obsoleszenz, wie es im Fachjargon heißt. Es gehört auch zu den am besten dokumentierten Fällen von geplantem Verschleiß. Erst vor wenigen Jahren sind Kisten mit alten Dokumenten aufgetaucht, die belegen, wie das Kartell funktioniert hat. Beschrieben wird dieser Fund in dem gerade erst erschienen Buch "Kaufen für die Müllhalde". Die Autoren Cosima Dannoritzer und Jürgen Reuß analysieren darin das Prinzip der geplanten Obsoleszenz, das sich heute durch alle Produktbereiche zieht, vom Auto über den Computer bis hin zur Kleidung.

Ein Phänomen, das auch viele Verbraucher beschäftigt. Ist es reiner Zufall, dass der neue Fernseher genau dann kaputtgeht, wenn die Garantie gerade abgelaufen ist? Oder dass die neuen Schuhe nach kurzer Zeit unbrauchbar werden, weil sich die Gummisohlen auflösen? Eine vor Kurzem von den Grünen veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss: Nein, kein Zufall. Sie spricht von geplanter Obsoleszenz zur Gewinnmaximierung der Hersteller und zum Schaden von Verbrauchern.

Nicht geplant, aber fahrlässig verursacht

Das Misstrauen bei den Konsumenten wächst. Verdachtsmomente gibt es viele. Wirklich belegen lassen sich aber nur wenige Fälle, in denen Herstellern nachgewiesen werden konnte, dass ihre Produkte ein mit Absicht eingebautes Verfallsdatum haben. Belegt ist etwa, dass einige Druckerhersteller ihre Geräte so programmiert haben, dass sie nach einer bestimmten Seitenzahl einen Defekt melden, obwohl das Gerät eigentlich noch in Ordnung wäre. Dem Nutzer bleibt dann nichts anderes übrig, als einen neuen zu kaufen, weil eine Reparatur nicht möglich oder zu teuer wäre.

Doch den Produzenten Absicht nachzuweisen, ist fast unmöglich. Das bestätigt auch Professor Holger Rogall, Direktor des Instituts für Nachhaltigkeit der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. "Ich habe noch mit keinem Ingenieur gesprochen, der von seiner Firma die Anweisung bekommen hat, eine Sollbruchstelle einzubauen." Ein Freispruch für die Industrie ist das für ihn aber noch lange nicht. "Dafür bekommen die Konstrukteure genaue Vorgaben, wie viel ein Produkt in der Herstellung kosten darf. Sie stehen unter Sparzwang", ergänzt er. So würden immer mehr billige und minderwertige Bauteile verwendet. Das Problem: Schon eine einzige Schwachstelle kann ausreichen, um die Lebensdauer eines Küchenmixers oder einer Waschmaschine erheblich zu verkürzen.

"Das ist zwar kein geplanter, aber ein fahrlässig verursachter Verschleiß", stellt Rogall fest. "Für mich macht das keinen großen Unterschied." Weil viele Produkte inzwischen so konstruiert sind, dass eine Reparatur nicht infrage kommt, landen immer mehr Waren schon nach kurzer Zeit auf dem Müll. Der Nachhaltigkeitsexperte Rogall hält dies für eine verantwortungslose Verschwendung von wertvollen Rohstoffen, die weltweit knapper werden.

Die Schattenseite der Wegwerfgesellschaft lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Abfallberge wachsen. 2,5 Millionen Tonnen Sperrmüll fallen pro Jahr in Deutschland an. Hinzu kommen noch einmal 1,6 Millionen Tonnen Elektroschrott. Ein Teil davon landet trotz Aufklärungsarbeit und Verboten noch immer im Hausmüll - Endstation Verbrennungsanlage. Rohstoffe im Wert von zwei Milliarden Euro pro Jahr werden jährlich so vernichtet, schätzten Experten.

Statistiker haben ausgerechnet, dass jeder Deutsche im Schnitt 10.000 Gegenstände besitzt. Gründe, etwas Neues zu kaufen, gibt es viele. Dazu gehören etwa technische Innovationen und Modetrends. Vieles davon wird schon bald wieder aussortiert, obwohl es eigentlich noch funktioniert. Auch dieser Verschleiß lässt sich im weitesten Sinn als eine Form von geplanter Obsoleszenz werten. Wenn etwa Apple alle paar Monate ein neues, angeblich noch besseres iPhone auf den Markt bringt, werden ältere Geräte automatisch zum Auslaufmodell degradiert. Im Wirtschaftskreislauf ist das ein ganz normaler und allgemein akzeptierter, ja sogar gewünschter Vorgang. Das neueste Smartphone-Modell zu besitzen ist in der Regel aber keine Frage der Notwendigkeit, sondern des Prestiges. Geplant wird diese Form von Verschleiß in den Marketingabteilungen der Hersteller, wo an Ideen gefeilt wird, wie sich bei der Kundschaft neue Bedürfnisse wecken lassen.

Produzieren, verkaufen und wegwerfen - stetiges Wirtschaftswachstum ist ohne diesen Kreislauf kaum vorstellbar. Je mehr konsumiert wird, umso besser für eine Volkswirtschaft, lautet das Credo moderner Industriegesellschaften. Als die Vereinigten Staaten nach dem Börsenkrach von 1929 in eine katastrophale Wirtschaftskrise stürzen, ist das ein Schock für viele Amerikaner. Sie treten in einen Kaufstreik. Die Nachfrage bricht dramatisch ein. Politiker, Ökonomen und Industrievertreter machen sich Gedanken darüber, wie man die Menschen dazu bringen kann, ihr hart verdientes und knapp gewordenes Geld wieder unter die Leute zu bringen.

Manager feiern das Glühbirnenaus

Selbst kuriose Ideen wie der des illustren New Yorker Immobilienmaklers Bernard London werden ernsthaft diskutiert. In einem 1932 veröffentlichten Papier schlägt er vor, die Depression durch ein Gesetz für geplante Obsoleszenz zu beenden. Die Regierung müsse eine maximale Nutzungsdauer für alle Arten von Gütern, Häusern und Maschinen festlegen, fordert er darin. "Wenn die Nutzungsdauer ausgelaufen ist, müssen diese Dinge für 'tot' erklärt und zerstört werden", schreibt er weiter. London schlägt sogar die Einrichtung einer Behörde vor, eine Art Produktpolizei, die Verstöße ermittelt und Strafen gegen Bürger verhängt, wenn die etwa ihre Schuhe zu lange tragen. Der Politik ging Londons Vorschlag für einen staatlich verordneten Konsumzwang dann aber doch zu weit.

Aus heutiger Sicht mögen solche Thesen zunächst absurd klingen. Erst recht in Zeiten, in denen sich deutlich abzeichnet, dass Rohstoff- und Energiereserven nicht unendlich, sondern begrenzt sind. Sie sind auch das Limit für künftiges Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Verschwunden aus den Köpfen der Politiker sind die radikalen Ideen Londons deswegen aber trotzdem nicht. Wenn es darum geht, den Verfall von Produkten zu beschleunigen, mischt der Staat bis heute immer wieder kräftig mit. Ein Beispiel dafür ist die Abwrackprämie für Autos. Auslöser ist die Wirtschaftskrise von 2008, unter der auch die Autoindustrie schwer leidet. Die damalige schwarz-rote Bundesregierung beschließt deshalb eine Prämie von 2500 Euro für ältere Fahrzeuge. Primäres Ziel dieser Verschleißprämie ist es, den Umsatz der Hersteller anzukurbeln. Klimaschädliche Abgase zu reduzieren, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Als besonders gravierender Fall von staatlich verordnetem Verschleiß führt das wieder auf die Spur des Glühbirnenkartells: Als die EU-Regierung 2009 das endgültige Aus für die Glühbirne beschließt - angeblich aus Umweltschutzgründen und um Energie zu sparen -, reiben sich die Manager der Leuchtmittelindustrie die Hände. Konsumenten werden gezwungen, statt billiger Glühbirnen teure Energiesparlampen zu kaufen, die alles andere als umweltfreundlich sind, hochgiftige Stoffe wie Quecksilber enthalten und als Sondermüll entsorgt werden müssen. Der Industrie garantiert dieser staatlich angeordnete Verschleiß Milliardenumsätze, ohne dass sie viel dafür tun muss. Die Verschwörer des Glühbirnenkartells hätten bei einer solchen Nachricht vermutlich die Champagnerkorken knallen lassen.

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