Fördermittel der EU:Wie sich Osteuropäer Milliarden entgehen lassen

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Ein Mann geht an einem Poster in der bulgarischen Stadt Vidin vorbei. Es zeigt eine Brücke, die zwischen Bulgarien und Rumänien gebaut und von der EU bezahlt werden soll. (Foto: AFP)

In den Fonds der EU warten Milliarden Euro darauf, von den Empfängerländern abgerufen zu werden. Doch viele Staaten sind mit den Prozeduren überfordert. Einige müssen nun damit rechnen, Hunderte Millionen zu verlieren.

Von Klaus Brill und Javier Cáceres

Es ist ein Jammer: Das Geld liegt da, und niemand nimmt es. Und Bulgarien hätte es so dringend nötig. Für Zinaida Zlatanowa ist das ein Problem, das sie täglich umtreibt. Die 40-jährige Juristin aus Sofia ist seit Ende Mai Justizministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin ihres Landes, und sie hat eine ungewöhnliche Zusatzaufgabe: darauf zu achten, dass Bulgarien ohne Abstriche und Verluste all die Milliarden einstreicht, die dem Land aus den gemeinschaftlichen Fonds der Europäischen Union zustehen. Zinaida Zlatanowa bringt dafür besondere Eignung mit, denn vor der Berufung leitete sie die Vertretung der EU-Kommission in Sofia.

Wer meint, es müsste für ein armes Land doch eine Lust und ein Leichtes sein, in Brüssel aus dem Vollen zu schöpfen, der irrt gewaltig. An die Gelder, die die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer alle sieben Jahre beim Budget-Gipfel auf die einzelnen Nationen verteilen, kommen die Bezugsberechtigten nur nach einem Hindernislauf heran. Komplizierte Antrags- und Kontrollverfahren sind zu meistern, mit denen die EU-Bürokratie die korrekte Verwendung überwacht und Missbrauch auszuschließen hofft. Doch manches Land ist mit diesen Prozeduren überfordert - und deshalb bleiben Milliarden vorerst liegen.

Bulgarien gehört ebenso zu diesen Ländern wie Rumänien und Tschechien. Auch Italien erwies sich in der Vergangenheit im Abgreifen als ziemlich ungeschickt, Griechenland hingegen hat gewaltig aufgeholt. Nach der jüngsten Übersicht aus dem Haus des EU-Kommissars für Regionalpolitik, Johannes Hahn, haben die Griechen es mitten in der großen Krise durch Unterstützung aus anderen EU-Ländern und Brüssel geschafft, mit einer Abrufquote von 67,5 Prozent an die Spitze der EU-Nationen aufzurücken. Hahn äußerte sich darüber jüngst in Athen hoch erfreut, weil der dramatische Anstieg dieses Wertes einen wichtigen Fortschritt markiere und belege, dass in Griechenland die Kapazitäten der Verwaltung schlagartig verbessert worden seien.

Wer bekommt wie viel aus Brüssel?  (Foto: N/A)

Etwa 55 Prozent der Förderung abgerufen

Im Einzelnen geht es bei dieser Statistik um die Mittel aus den sogenannten Regional-, Sozial- und Kohäsionsfonds, die in dem zum Jahresende auslaufenden Sieben-Jahres-Etat 2007-2013 bereitgestellt sind. Und es geht um die sogenannte Absorption - im EU-Sprachgebrauch umschreibt dies einen abgeschlossenen Prozess: Ein Land hat Geld für ein Projekt oder Programm ausgegeben, es hat der EU den entsprechenden Betrag in Rechnung gestellt und aus Brüssel ein Zertifikat über die Korrektheit der Abwicklung erhalten. Nach der Statistik des Regionalkommissars sind von der Gesamtheit der bisher 27 EU-Staaten (ohne das Neumitglied Kroatien) bis Juli dieses Jahres rund 192 Milliarden Euro abgerufen und ausgegeben worden - das entspricht einem Anteil von 55 Prozent.

Bulgarien liegt derzeit mit einer Quote von 41,8 Prozent weit darunter. Die neue Ministerin Zinaida Zlatanowa ließ gleich eine Studie fertigen, um den Stand der abgeflossenen Gelder zu klären. Und danach sei es wahrscheinlich, dass dem Land bis Ende dieses Jahres etwa 200 bis 500 Millionen Euro vollends durch die Lappen gehen. Die Gründe sieht sie darin, dass die bis zum Februar amtierende konservative Vorgänger-Regierung dem Thema nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt habe - was der damals zuständige Minister natürlich bestreitet. Weiter hätten übermäßige Vorsicht und übermäßig komplizierte Verfahrensweisen eine Rolle gespielt.

Ein Problem stellt es nach Erkenntnis des EU-Kommissars Hahn in den postkommunistischen Ländern auch dar, dass nach Regierungswechseln die führenden Beamten ausgetauscht werden, oft geht enormes Fachwissen verloren. Immer wieder spielt auch Korruption hinein. In Bulgarien wurden deshalb 2008, nachdem ein umfangreicher Skandal aufgeflogen war, Dutzende Millionen Euro für eine Zeit lang gesperrt.

In Rumänien gab es ähnliche Vorfälle. Wiewohl das Land, ähnlich wie Bulgarien, schon seit zwei Jahren einen Sonderminister für EU-Angelegenheiten hat, ist die geringe Absorption der EU-Mittel nach den Worten des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Victor Ponta noch immer "eine Tragödie". Notenbank-Präsident Mugur Isarescu beklagte schon 2011 "Schluderei, Unwissenheit und Mutlosigkeit" auf diesem Sektor. Und erst jüngst rügte die EU-Kommission die "inkonsistente Strategie" der Bukarester Regierung für die Absaugung der Gelder im neuen Etat 2014-2020: Es würden keine Prioritäten gesetzt und bestehende EU-Regeln außer Acht gelassen. Falls nicht bis September Abhilfe geschaffen wird, riskiert Rumänien nach einer Meldung der Agentur Mediafax, dass es die bis 2020 bereitgestellten 40 Milliarden Euro nur mit ein- oder zweijähriger Verspätung abrufen kann.

Tschechien: nur ein Drittel abgeschöpft

Heftige Kritik hagelt regelmäßig auch auf Tschechien nieder. Erst vor Kurzem stellte der Oberste Rechnungshof in Prag fest, in den vergangenen sechs Jahren habe das Land nur knapp ein Drittel der bereitstehenden Gesamtsumme von 27 Milliarden Euro abgerufen. Und schon im Mai warnte der sozialdemokratische Europaabgeordnete Libor Roucek gegenüber dem Tschechischen Rundfunk: "Man kann schon jetzt sagen, dass Tschechien mehrere Hundert Millionen Euro verlieren wird - wegen Korruption und schlechtem Management. Anstatt sich aber mit diesen Angelegenheiten zu befassen, äußern sich die Regierung in Prag und der frühere Präsident skeptisch über Europa. Dabei liegt das Problem nicht in Brüssel oder Berlin, sondern in Prag."

In einem Prüfbericht der EU-Kommission wurde jüngst notiert, in Tschechien als einzigem EU-Land habe 2012 das Finanzministerium als zuständige Stelle für die Kontrolle der EU-Mittel komplett versagt. Und die Wirtschaftszeitung Hospodarske Noviny fand in einer Studie heraus, die tschechischen Förder-Strukturen seien völlig unübersichtlich und zersplittert, hohe Summen gingen verloren. Manchmal fragen Beobachter, ob mangelhafte Transparenz von den Verantwortlichen nicht geradezu gewünscht war, um Gelder in dunkle Kanäle abzuzweigen, wie bei Skandalprozessen mehrfach ruchbar wurde. Tschechische Förderprogramme wurden mehrfach auch aus Brüssel einfach gestoppt, und wie nun die neue provisorische Regierung in Prag mit den Mängeln in der laufenden Haushaltsperiode fertig wird, bleibt abzuwarten.

Nur eines tröstet: Wenn ein Land es bis Ende dieses Jahres nicht schafft, die Milliarden aus dem Haushalt 2007-13 komplett abzurufen, ist nach den Worten von Shirin Wheeler, der Sprecherin des EU-Kommissars Hahn, noch nicht alles verloren. "Eine unmittelbare Sorge haben wir derzeit nicht", sagt sie. Im Notfall kann nämlich eine Verlängerungsfrist eingeräumt werden, die bis zu drei Jahre betragen kann. Es wird Länder geben, die sie brauchen.

© SZ vom 12.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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