Energiewende:Jeder will die Reform - aber bitte zuerst bei den anderen

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Stell dir vor, es ist Energiewende - und alle machen mit: Kanzlerin Merkel kommt heute mit den 16 Länderchefs zusammen, Koordination wäre das Gebot der Stunde. Aber es geht um Milliarden, und so wird jeder in eigenem Interesse handeln, was gesamtstaatlich mehr schaden als nutzen dürfte. Dabei muss der Energiegipfel mehr leisten als nur den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Michael Bauchmüller

Als erstes Industrieland weltweit könnte sich Deutschland schon weit vor 2050 komplett mit Ökostrom versorgen - vorausgesetzt, alle arbeiten zusammen. (Foto: dapd)

Das Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin an diesem Freitag, es lässt sich wohl am ehesten vergleichen mit einem Kaffeeklatsch hungriger Mäuler. In der Mitte des Tisches ein Traum von einer Torte. Rundherum 16 Länderchefs, von denen die meisten für sich schon ein hübsches Stückchen eingeplant haben. Nur reicht die Torte nicht für alle. Was tun?

Genau so wird es der Runde an diesem Freitag ergehen. Jeder einzelne Ministerpräsident hat seine eigenen Pläne für den Ausbau der Energiewende: Schleswig-Holstein will den Süden mit Windstrom versorgen. Niedersachsen wittert ein Milliardengeschäft mit Windkraft im Meer. Thüringen will bis 2020 mehr als 45 Prozent Ökostrom selbst erzeugen, Bayern mehr als die Hälfte bis 2021. Rheinland-Pfalz träumt von der Energieautarkie, wie übrigens auch viele hundert Gemeinden in ganz Deutschland. Stell dir vor, es ist Energiewende - und alle machen mit.

Koordination wäre jetzt das Gebot der Stunde, doch die Verlockung ist groß: Es locken Milliarden aus dem Topf des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Und wenn sie nicht in Land A fließen, landen sie in Land B. So handelt jeder Ministerpräsident im Interesse seines Bundeslandes, und das dürfte gesamtstaatlich mehr schaden als nutzen.

Länder stecken im Dilemma

Den Ländern ist das bewusst, zumindest in der Theorie. In der vorigen Woche verständigten sich die Ministerpräsidenten - in Vorbereitung auf das Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel - sogar darauf, "im Interesse einer gemeinsamen Lösung ihre eigenen Planungen zu modifizieren". Viel interessanter als dieser Satz aber ist eine Protokollerklärung Bayerns dazu. Danach könne der Freistaat nichts modifizieren, solange das geltende Recht jedem Betreiber einer Ökostromanlage Vergütung und Netzanschluss garantiert. Nichts umschreibt das Dilemma der Länder besser als diese kleine Notiz.

Denn einerseits ist auch den Ländern bewusst, dass ein Wildwuchs zu gigantischen Mehrkosten führen wird. Andererseits nehmen sie genau diesen Wildwuchs auch gerne hin: Solange nur kräftig neue Windräder, Biomasseanlagen und Solardächer errichtet werden, kann jedes Bundesland auf kräftige Zuflüsse aus dem ganzen Bundesgebiet rechnen. Und nach geltender Rechtslage hat jeder, der baut, Anspruch darauf. Nicht die Länderziele entscheiden über den Öko-Ausbau, sondern letztlich nur die Investoren.

Nebenbei entstand eine Strukturpolitik von neuer, ungeahnter Dimension: Im Norden haben Häfen wieder Arbeit, die zuletzt Jahr für Jahr weniger umschlugen, und eine gebeutelte Werftenindustrie sieht erstmals seit den Siebzigern wieder eine Perspektive. Im Süden entdeckten Bauern den Reiz konstanter Biogas-Einnahmen oder zapfen Sonnenstrom vom Scheunendach. Der Osten hofft immer noch auf ein Überleben seiner Solarindustrie. Wohin das in der Praxis führt, ist klar: Eine Reform der Förderung wollen alle - aber bitte nur bei den anderen. Warnungen von Stadtstaaten wie Berlin, deren Bürger kaum Ökostrom erzeugen, aber massiv zu seiner Förderung beitragen, verhallen ungehört.

Energiewende als "Gemeinschaftswerk"

Noch schwieriger ist die Lage für Merkel selbst. Sie wird auf die Länder wohl kaum zählen können bei der Reform der Ökostrom-Förderung, sie kann sie aber auch nicht vollends umgehen. Auch deshalb will ihr Umweltminister Peter Altmaier nun zuerst mal ein paar Monate mögliche Lösungen diskutieren, die dann 2014 von der nächsten Bundesregierung durchgesetzt werden könnten - sollte diese dann nicht nur die Kraft dazu, sondern auch die nötigen Mehrheiten besitzen.

Die eigentliche Leistung aber, das muss allen Beteiligten klar sein, liegt nicht im Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Dynamik der jüngeren Vergangenheit nach zu urteilen, kann sich die Bundesrepublik weit vor 2050 komplett mit Ökostrom versorgen; als erstes Industrieland der Welt.

Ob aber andere diesem Beispiel folgen, hängt nicht in erster Linie von ingenieurtechnischem, sondern viel mehr von politischem Vermögen ab: Nämlich davon, ob es gelingt, den Umbau so zu bewerkstelligen, dass er nicht zu ausufernden volkswirtschaftlichen Kosten erkauft ist. Und davon, dass ein Rahmen entsteht, in dem die saubere Energie planvoll und sukzessive die alte ersetzt. Nicht umsonst hat die Ethikkommission die Energiewende einst als "Gemeinschaftswerk" bezeichnet. Das verbietet Egoismen jeder Art. Und sei der Appetit noch so groß.

© SZ vom 02.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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