Energiewende:Deutschland legt seiner Energiewende Fesseln an

Hochspannungsleitung

Im Norden, wo sich Windstrom am günstigsten erzeugen lässt, soll es weniger neue Windräder geben, mit Rücksicht auf die Belastung der Netze.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Eigentlich könnte man stolz auf die Vorreiterrolle beim grünen Strom sein. Doch die Reform des EEG gibt den Gegnern der Erneuerbaren einen neuen Hebel.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Die Energiewende kommt mit einem Affenzahn voran. Überall entstehen neue Windräder und Solarparks, ein Rekord jagt den nächsten - außerhalb Deutschlands. Allein im vorigen Jahr entstanden weltweit Anlagen mit der Leistung von 150 Atomkraftwerken, Firmen investierten mehr als 250 Milliarden Euro. Das aber vor allem in China, den USA, Japan oder Indien. Deutschland, das Heimatland der Energiewende, behandelt den Ökostrom mittlerweile wie einen lästigen Verwandten, der ständig neue Ansprüche stellt. Das Land könnte stolz sein auf seine Vorreiterrolle. Aber es redet den eigenen Erfolg schlecht.

Nichts spiegelt das besser als die Debatte über eine Reform des Ökostrom-Gesetzes EEG. Die Reform an sich ist in Ordnung, sie zwingt auch Windmüller in einen Wettbewerb um die begehrte Förderung. Wenn sie ihre Windparks auf Kosten der Stromkunden errichten wollen, sollen sie das so günstig wie möglich tun; schließlich sind neue Windräder und Solaranlagen mittlerweile billig wie nie. Folgerichtig werden künftig diejenigen Parks gefördert, die Ökostrom am günstigsten erzeugen können. Doch die Diskussion wird dominiert von angeblich explodierenden Kosten für Ausbau und Transport des vielen Ökostroms. Der grüne Umbau geht vielen plötzlich zu schnell. In Wahrheit geht es um anderes: um das Wesen einer Wende.

Zwangsläufig hat so eine Wende zwei Seiten. Sie beginnt Neues, lässt aber dabei Altes zurück. Bei der Energiewende sind es dezentrale, erneuerbare Energien, die zentrale, fossile Kraftwerke ablösen sollen. Doch diesen zweiten, unangenehmeren Teil der Energiewende blendet die große Koalition bislang systematisch aus. Sie behandelt die Energiewende, als bestehe sie nur aus dem Ausbau erneuerbarer Energien. Vom Atomausstieg abgesehen, tut sie nichts dafür, das Werden und Vergehen halbwegs zu balancieren. Allein deshalb sind Debatten über die Zukunft der Ökostrom-Förderung stets auch Schauplätze eines Überlebenskampfs - jener Energiewelt, die untergehen muss, wenn tatsächlich dereinst aller Strom aus grünen Quellen kommen soll. Je schneller die Energiewende vorankommt, desto schneller naht das Ende fossiler Energie. Dummerweise gilt auch das glatte Gegenteil.

Die Koalition fürchtet Ärger mit Industrie und Gewerkschaften

Umso perfider, dass konventionelle Großkraftwerke derzeit so manches der Probleme verschärfen, die ihrer erneuerbaren Konkurrenz zur Last gelegt werden. Viele von ihnen laufen rund um die Uhr und verstärken so das Überangebot an Strom. Die Folge: Der Strompreis an der Börse ist im Keller. Das aber treibt die Ökostrom-Förderung in die Höhe - schließlich muss sie die Differenz ausgleichen zwischen den gesetzlich garantierten Vergütungen für Ökostrom und dem, was dieser an den Strombörsen einbringt. Entsprechend groß klafft die Lücke.

Nicht anders bei den Stromnetzen: Ohne Zweifel müssen sie ausgebaut werden, wenn wachsende Mengen Ökostrom transportiert werden sollen. Das Problem ließe sich aber entschärfen, würden auch Großkraftwerke auf ein Überangebot flexibel reagieren - oder gleich ganz vom Markt verschwinden. Diese Debatte aber scheut die Koalition. Sie fürchtet den Ärger mit Industrie und Gewerkschaften.

Stattdessen soll der Ausbau von Windparks nun in "Engpassgebieten" gedrosselt werden. Im Norden, wo sich Windstrom am günstigsten erzeugen lässt, soll es weniger neue Windräder geben, mit Rücksicht auf die Belastung der Netze. Das ist nicht nur ökonomisch fragwürdig, es gibt den Gegnern der Energiewende auch einen ganz neuen Hebel. In Zukunft müssen sie nur neue Leitungen verhindern, um den Ökostrom auszubremsen. Die Energiewende mag global in vollem Gange sein. In ihrem Heimatland gerät sie in Not.

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