Der Kampf der Gewerkschaften:Große Haie, kleine Fische

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Angriff auf die Kleinen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Arbeitgeber verbünden sich - sie wollen kleinere Interessenverbände verdrängen.

Sibylle Haas

Wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften verbünden, dann sind sie oft in Not. Rufen sie sogar gemeinsam nach einem Gesetz, dann ist die Not besonders groß. Beim Tarifrecht ist das derzeit so. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) setzen alles daran, eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu torpedieren: Die obersten Arbeitsrichter urteilten, dass es in einem Unternehmen durchaus mehrere Tarifverträge für ein und dieselbe Berufsgruppe geben darf.

Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften - und wer profitiert? (Foto: Collage: Michael Mainka)

Das ist neu. Denn bisher galt das Prinzip "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag". Ins Gesetz hat es dieser Grundsatz nie geschafft, doch er hat die deutsche Tarifpolitik beeinflusst wie kaum ein anderer. Er hat die DGB-Gewerkschaften stark gemacht und den sozialen Frieden in den Betrieben gesichert. Wettbewerb unter Gewerkschaften gab es lange nicht; doch dann scherten einige Spezialisten aus und gründeten eigene Ärzte-, Lokführer- und Pilotengewerkschaften.

Das ist Konkurrenz für den DGB, der Mitglieder verliert, und ein Risiko für die Arbeitgeber, die durch rivalisierende Gruppen mit mehr Streiks und einer Lohnspirale nach oben rechnen.

Deshalb ziehen DGB und BDA an einem Strang. Sie fordern eine gesetzliche Regelung für die Tarifeinheit - und es sieht ganz so aus, als ob ihnen das gelingen könnte. Am 20. Januar tagt der Koalitionsausschuss von Union und FDP auch zu diesem Thema, wie es heißt. Ob dann schon etwas entschieden wird, ist allerdings unklar. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte auf dem Arbeitgebertag Ende November nicht nur eine "Regelungsnotwendigkeit" in der Sache eingeräumt, sondern auch einen Zeitplan vorgegeben: Ende Januar solle es eine politische Antwort geben.

Nicht von ungefähr also bringen sich BDA und DGB in Stellung. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt betont, gerade in der Krise habe sich die Tarifeinheit bewährt. "In vielen Fällen hat die gesamte Belegschaft Arbeitszeit-Reduktionen akzeptiert und auf Sonderzahlungen verzichtet, um bedrohte Arbeitsplätze im Betrieb zu retten. Mit Spartengewerkschaften, denen es allein um Partikularinteressen geht, hätte ein solcher Akt der betrieblichen Solidarität nicht funktioniert", sagt Hundt. Auch DGB-Vorsitzender Michael Sommer fordert: "Die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit sollte von der Bundesregierung jetzt endlich auf den Weg gebracht werden. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch."

In einem gemeinsamen Entwurf schlagen BDA und DGB vor, die Tarifeinheit im Tarifvertragsgesetz zu regeln. Dort soll stehen, dass derjenige Tarifvertrag gilt, der von der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb geschlossen wurde. Gewerkschaften, die eine betriebliche Minderheit vertreten, sollen nicht zum Streik aufrufen dürfen, wenn für die andere Gewerkschaft noch die Friedenspflicht gilt.

Die dosierte Macht

Die Tarifeinheit bröckelt schon lange. Der Münchner Arbeitsrechtler Volker Rieble hat schon seit einiger Zeit damit gerechnet, dass sie vom Bundesarbeitsgericht gekippt wird. Die Tarifpluralität wird in der Tat schon längst praktiziert. Spartengewerkschaften bei Lufthansa, Bahn und Flugsicherung mischen schon seit Jahren mit. Die Arbeitgeber versuchen, die Tarifkonkurrenz auszuschalten, indem sie mit den Gewerkschaften annähernd gleiche Tarifverträge schließen. Dass dies nicht immer leicht ist, hat der Tarifkonflikt um die Lokführer bei der Bahn vor einigen Jahren gezeigt. Auch die Lufthansa hat Ähnliches mit Piloten und Flugbegleitern erlebt.

Die im Grundgesetz verankerte Freiheit zur Bildung von Koalitionen gilt nicht nur für die DGB-Gewerkschaften, sondern auch für andere, urteilten die obersten Arbeitsrichter. Und das sind ebensolche, die den Gewerkschaftsstatus noch nicht so lange haben: Piloten, Lokführer, Flugbegleiter, Fluglotsen, Ärzte, Arzthelferinnen - allesamt Spezialisten an Schlüsselpositionen. Sie haben sich aus dem DGB-Verbund, in dem die meisten einmal waren, verabschiedet. Denn die Großgewerkschaften haben es nicht geschafft, gerade sie durch maßgeschneiderte Tarifergebnisse an sich zu binden. Die Spezialisten haben ein Recht auf Eigenständigkeit. Doch sie haben auch die Pflicht, mit ihrer Macht dosiert umzugehen. Denn wenn sie streiken, lähmt das den ganzen Betrieb - und schadet womöglich den Beschäftigten, die weniger spezialisiert und mächtig sind.

© SZ vom 15./16.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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