Bulgaren und Rumänen in Deutschland:Angst und Arbeit

Innenminister Friedrich warnt vor Armutsmigration aus Osteuropa, der Städtebund will mehr Geld, um sich um Rumänen und Bulgaren zu kümmern. Diese dürfen von 2014 ausnahmslos in Deutschland arbeiten. Experten halten die Sorgen für überzogen. Denn nicht alle Neuen bekommen automatisch Hartz IV.

Von Artur Lebedew

Vom 1. Januar 2014 an kommen die Bulgaren und Rumänen. Als Nachzügler der bislang letzten EU-Integrationswelle von 2007 dürfen sie dann in Deutschland nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten. Bisher ist vielen von ihnen das nicht erlaubt; die meisten Länder der Europäischen Union beschränken den Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt.

Prompt ergreifen Politiker die Chance zum Poltern: "Man muss vor Ort stärker hinschauen und den Mut haben, EU-Bürger, die das Freizügigkeitsrecht missbrauchen, dann eben zurückzuschicken", sagt etwa Innenminister Hans-Peter Friedrich (CDU). Der Städte- und Gemeindebund fordert vom Bund Hilfe bei der Bewältigung der Massen: Die Kommunen könnten aus eigener Kraft den zu erwartenden Ansturm aus Südosteuropa nicht bewältigen. Dafür fehlten die finanziellen, aber auch rechtlichen Rahmenbedingungen, sagte Geschäftsführer Gerd Landsberg an diesem Donnerstag der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Die Sorge, Bulgaren und Rumänen könnten kommendes Jahr den deutschen Arbeitsmarkt überrennen und die hiesige Sozialversicherung überlasten, ist groß. Wirklich berechtigt ist sie nicht.

Rumänien hat das Pro-Kopf-Einkommen von etwa Costa Rica

Nach der EU-Osterweiterung 2004 und 2007 schotteten viele Länder ihre Arbeitsmärkte ab. Zu groß erschienen damals die Unterschiede zwischen den entwickelten Ländern im Westen und den wirtschaftlich schwachen Staaten im Osten. Mit Erklärungen wie der "Gefahr schwerwiegender Störungen des Arbeitsmarktes" begründete etwa die Bundesregierung den Entschluss.

Zweifel an der Aufhebung der restriktiven Regelungen scheinen auf den ersten Blick berechtigt: Die betroffenen Länder sind verhältnismäßig arm. Rumänien hat das Pro-Kopf-Einkommen von Costa Rica, Bulgarien steht in der IWF-Statistik noch weiter unten. Zudem ist der Anteil der Menschen ohne Berufsabschluss in den beiden Staaten groß (40 Prozent) und liegt deutlich über dem der übrigen EU (23 Prozent).

Rumänen und Bulgaren sind schon heute zwei der stärksten Gruppen, die nach Deutschland einreisen und hier bleiben: Im Jahr 2011 wanderten 38.000 Rumänen mehr ein als das Land wieder verließen, aus Bulgarien etwa 22.000 Menschen. Aktuellere Zahlen gibt es nicht, Experten vermuten aber, dass sie in der Folgezeit deutlich gestiegen sind.

Unklarheit beim Anspruch auf Sozialhilfe

Die neuen Einwanderer kommen jedoch nach Deutschland, um zu arbeiten. Das ist Folge der EU-Regelungen. Denn die Arbeitsmarktbeschränkungen gelten nicht für jeden Bulgaren und Rumänen. Neben Akademikern dürfen auch ausgebildete Arbeiter und Auszubildende in allen Branchen schon heute hier arbeiten. Jeder von ihnen kann sich zudem als Selbständiger niederlassen.

Die Beschränkungen, die 2014 fallen, gelten also nur für ungelernte Arbeiter. Sie dürfen bislang nur für sechs Monate als Saisonarbeiter kommen, etwa als Verpacker bei Amazon im Weihnachtsgeschäft oder Spargelstecher auf deutschen Feldern.

Anspruch auf Sozialhilfe in Deutschland haben Bulgaren und Rumänen von kommendem Jahr an in den meisten Fällen, genau wie jetzt schon Polen, allerdings bei weitem nicht automatisch. Die Regeln sind nicht eindeutig: "Das deutsche Recht sieht vor, dass Migranten in den ersten drei Monaten keine Sozialhilfe oder Hartz IV bekommen", sagt Rechtsanwalt Aiko Petersen, der sich mit Sozialrecht für Migranten auskennt. "Wer jedoch dagegen klagt, bekommt in den meisten Fällen recht - weil das gegen europäische Gesetze verstößt." Gerichte müssten klarere Regeln schaffen, sagt Petersen. Das dürfte demnächst passieren. An mehreren deutschen Gerichten laufen Klagen von Osteuropäern auf Hartz IV.

Kommen die Einwanderer also wegen deutscher Sozialleistungen? "Es gibt nicht nur Armutswanderung aus Bulgarien und Rumänien", sagt Gunilla Fincke, Geschäftsführerin des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. "Über ein Fünftel der Zuwanderer, die hier bleiben, haben einen Hochschulabschluss."

Allerdings arbeite ein Teil der Zuwanderer als Scheinselbständige, etwa auf Baustellen. Wenn die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft trete, werde es zwar zu einem Anstieg der Zuzüge in den Statistiken kommen, sagt Fincke, "aber in Wirklichkeit ist ein Großteil der Zuwanderer schon da. Sie legalisieren lediglich ihre Arbeitssituation." Das zeigten die Erfahrungen mit der Zuwanderung aus früheren EU-Beitrittsländern wie Polen.

Großbritannien hat von polnischen Einwanderern profitiert

Warum also die Angst? "Das Image der bulgarischen und rumänischen Neuzuwanderer ist von Armutswanderung geprägt, weil sie in der Öffentlichkeit sichtbarer ist als ein bulgarischer Student oder ein rumänischer Hochqualifizierter", sagt Fincke. Bei einem Teil der aus Armut Eingereisten handele es sich um Roma, die in Rumänien prekäre Existenzen am Rand der Gesellschaft führten. Fincke hat Verständnis für die Ängste der Kommunen. Der Zuzug von Romafamilien stelle sie vor große organisatorische Herausforderungen, etwa in Schulen und bei der Gesundheitsversorgung: "Die Kommunen dürfen mit diesen Problemen nicht allein gelassen werden, sie müssen aber auch selbst Lösungsansätze entwickeln, die auf die Probleme vor Ort zugeschnitten sind."

Großbritannien hat von der Einwanderung aus Polen profitiert

Die Sorgen vor einer Überflutung durch Arbeitsmigranten aus dem Osten sind nicht neu. Nach der EU-Beitrittswelle 2004 durch Länder wie Polen, Lettland oder Ungarn schirmten aber nicht alle alten EU-Staaten ihre Arbeitsmärkte ab. Länder wie das Vereinigte Königreich oder Schweden blieben offen.

Michael Knogler vom Institut für Ost- und Südeuropaforschung in Regensburg hat die Auswirkung der ersten Osterweiterung in verschiedenen Ländern der EU untersucht (PDF). Sein Ergebnis: Dort, wo Osteuropäer unbeschränkt arbeiten durften, haben die Länder auf lange Sicht davon profitiert. "Zwar drückten die Einwanderer im Niedriglohnsektor in den ersten Monaten die Löhne", sagt Knogler, "aber schon kurze Zeit später bemerkten wir Vorteile, die sich auf die gesamte Wirtschaft auswirkten." Ihm zufolge stieg in diesen Ländern durch die liberale Einwanderungspolitik das Brutoinlandsprodukt um etwa 0,2 Prozent.

"England, Irland oder Schweden suchten nach Arbeitskräften, Polen oder Bulgaren besetzten die leeren Stellen", erklärt er den Anstieg. So funktioniere der Arbeitsmechanismus in Europa "im Idealfall".

Ähnlich große Vorteile von den Einwanderern aus Bulgarien und Rumänien erwartet der Wissenschafter für Deutschland nicht. Dafür sei die Zahl nämlich einfach zu gering. Knogler hält die Befürchtungen für "völlig verfehlt".

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