Zigaretten in der Mode:Der Nikotin-Chic

Sabisha, Jessica Stam, Vogue Italy,
Paris, France, 2007

Sabisha und Jessica Stam inszenierte Peter Lindbergh 2007 mit Kippe.

(Foto: Peter Lindbergh/courtesy Schirmer/Mosel)

Früher rauchten Models auf dem Laufsteg, nun versucht sich die Branche ein gesünderes Image zuzulegen. Doch ausgerechnet in der stilbewussten Modewelt ist die Zigarette nicht totzukriegen. Warum eigentlich?

Von Silke Wichert

Das Foto wirkt zwar leicht vernebelt, so als sei es in einer Camel-Lounge am Flughafen aufgenommen worden, und im ersten Moment sieht auch die Hand von Kate Moss so aus, als würde sie eine Zigarette halten. Aber da ist kein Rauch, der aus dem halbgeöffneten Mund entweicht, das Ganze ist nur eine Andeutung, eine phantomrauchende Kate Moss.

Zur Abwechslung wirbt das Label Saint Laurent also mit einer ziemlich sauberen Kampagne für die Frühjahrssaison, und für die Nichtraucherbewegung gibt es sogar noch weitere gute Neuigkeiten aus der Mode: eine No-Smoking-Brosche - Mund mit Zigarette, doppelt durchgestrichen -, ebenfalls von Saint Laurent, und das "Cigarette Case" der Marke Roger Vivier. Eine Mini-Handtasche aus vergoldetem Messing, die offensichtlich an eine Schachtel erinnert, aber null Nikotin erhält. Dafür kostet sie rund 250-mal so viel wie ein Päckchen Marlboros. Natürlich ist die Box trotzdem heiß begehrt.

Das sind also deutliche Entzugserscheinungen in einer Branche, die bis vor wenigen Jahren eher dafür bekannt war, Kette zu rauchen. Legendär ist etwa der Auftritt von eben jener Kate Moss bei ihrem Laufstegcomeback für Louis Vuitton 2011. Damals hieß der Designer noch Marc Jacobs, und für sein übliches Spektakel hatte er das Setting eines alten Grand Hotels gewählt: Mit einer Horde Pagen vor schmiedeeisernen Aufzügen, denen die Models im fetischisierten Dienstmädchen-Look entstiegen. Moss erschien als letzte, quasi als Oberzofe in Hotpants, und tat das, was man als verruchtes Ding eben so machte: Sie rauchte, mitten auf dem Laufsteg, in vollen Zügen. Es gab eine satte Geldstrafe, vor allem aber ziemlich viel Applaus.

Lara Stone und Stella McCartney hingen mit Kippe im Waschraum ab

Mitte Januar lief das britische Model wieder für Louis Vuitton, bei den Männerschauen in Paris. Überflüssig zu erwähnen, dass sie dieses Mal nicht rauchte. Man hätte es sonst mitbekommen, die digitalen Rauchmelder wären in sämtlichen sozialen Medien losgegangen. Undenkbar so eine Geste in Zeiten, in denen nach diversen Nichtraucherschutzgesetzen sogar darüber nachgedacht wird, die Zigarette von der Leinwand zu verbannen. Und in einer Branche, die neuerdings versucht, sich ein gesünderes Image zuzulegen. Models sollen nicht mehr ganz so jung, nicht mehr ganz so dünn sein, und nebenbei auch endlich besser behandelt werden.

Aber mit den schlechten Angewohnheiten ist das so eine Sache, und in Wahrheit kann sich die Mode das Rauchen leider doch nur schwer abgewöhnen. Wenn die Models nach einer Laufstegshow auf der Straße stehen, sieht man viele von ihnen erst mal an einer Zigarette ziehen. Im Onlinevideo zur erwähnten Saint-Laurent-Kampagne wird am Ende natürlich doch wieder gepafft.

Vergangenen Mai sorgten bei der glamourösen Met-Gala im New Yorker Metropolitan Museum eine Reihe von Selfies auf Instagram für Aufsehen, weil sie ein bisschen zu anschaulich protokollierten, wie und wo dort die eigentliche Party steigt: Schauspielerin Dakota Johnson, die Models Bella Hadid und Lara Stone, Designerin Stella McCartney - alle hingen mit Kippe im Waschraum ab. Auch Marc Jacobs teilte ein Bild von sich mit seinem Unterwäschemodel-Freund, Courtney Love und deren Tochter Frances Bean Cobain, das doppelt erschütterte: Sie rauchten da auf dem Frauenklo nicht nur, sie qualmten offensichtlich Menthol-Zigaretten, was einen an der Geschmackssicherheit dieses Designers nachhaltig zweifeln lässt.

Der öffentliche Aufschrei war entsprechend groß. Einige sorgten sich um die Kunstwerke, die am Ende eingeräuchert würden, die meisten um das miserable Vorbild, das die Modewelt hier ablieferte. "Ihr solltet euch was schämen!", "Cool aussehen wollen, aber das Gegenteil erreichen - trashy und uncool", lauteten die Kommentare auf Instagram. Jacobs selbst sieht das offenbar anders, gelöscht hat er das Selfie jedenfalls bis heute nicht.

Die Branche hängt weniger am Stoff als an der Ästhetik

Wie kann es sein, dass die Zahl der weltweiten Raucher einerseits immer weiter abnimmt und Nikotingeruch gemeinhin den Sex-Appeal einer Gefäßverengung versprüht, die Zigarette aber ausgerechnet in der Modewelt nicht totzukriegen ist? In einer Industrie, die wohlgemerkt davon lebt, bei gesellschaftlichen Strömungen ganz vorne mit dabei zu sein.

Zum einen hängt die Branche weniger an dem Stoff, sondern vor allem an der Ästhetik. Man muss nur einmal einen Blick auf das Poster zur Peter-Lindbergh-Ausstellung vergangenes Jahr in München werfen: Eine legendäre Schwarz-Weiß-Aufnahme von, richtig, wieder Kate Moss. Mit, noch mal richtig, Zigarette. (Falls sich das jetzt noch jemand fragt: Ja, sie raucht auch privat.) Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Helena Christensen - sie alle hat Lindbergh rauchend fotografiert. Mal halten sie die angezündete Zigarette gedankenverloren in der Hand, mal pusten sie den Qualm lasziv durch die Lippen. Mit dieser Requisite passiert eben automatisch ein bisschen mehr im Bild, und unterschwellig wabern alle möglichen Assoziationen mit: Verletzlichkeit, Lasterhaftigkeit, Gleichgültigkeit, Erotik und natürlich diese Extralänge Freiheit.

Denn bevor Rauchen auch bei Frauen irgendwann mal "cool" war, war es für sie ja vor allem: tabu. Nur Männer durften rauchen, die Herren zogen feierlich ihr Raucherjackett an, wenn sie sich zurückzogen. Daher übrigens auch der Begriff "Smoking". Erst die "Flappers" in den Zwanzigern wagten es, sich auch mal eine öffentlich anzustecken, woraufhin Zigaretten in den Medien zu "Fackeln der Freiheit" stilisiert wurden. In den Sechzigern rauchte dann knapp die Hälfte der amerikanischen Erwachsenen, also auch halb Hollywood. Lana Turner, Lauren Bacall, Audrey Hepburn in "Frühstück bei Tiffany's" - das alles hat beim Frauenbild in der Modefotografie natürlich Spuren hinterlassen.

Models und Zigarette, beides: ultra light

Schon rein optisch passte es auch einfach zu gut, das weiße, dünne Ding, die schlanken, eleganten Models. Beides: ultra light. Wirklich elegant findet die Zigarette heute kaum jemand mehr. In den meisten Filmen, etwa in "Aus dem Nichts" mit Diane Kruger, ist sie längst vor allem das Accessoire der kaputten, gebeutelten Figuren. Und dass man damit langfristig nicht hübscher wird, haben die meisten mittlerweile auch begriffen. Aber Nikotin hilft nun mal angeblich dabei, den Hunger zu unterdrücken und schlank zu bleiben. In der Mode immer noch Grundvoraussetzung. Schon die erste an Frauen gerichtete Zigarettenwerbung von Lucky Strike lautete in den Dreißigerjahren: "Reach for a Lucky instead of a sweet." Nimm lieber eine Lucky als etwas Süßes. So viel dazu, ob Werbeverbote für Zigaretten eigentlich sinnvoll sind.

Womöglich bildet die Mode mit dem Gelegenheitsrauchen sogar doch wieder den Zeitgeist ab. Wenn Zigaretten immer auch ein Symbol der Rebellion waren, bei Frauen für Gleichheit, bei Jugendlichen für Auflehnung, dann brennen sie derzeit wahrscheinlich gegen eine überregulierte, vordergründig überkorrekte Gesellschaft. Ein Fünf-Minuten-Eskapismus, der danach zwar mit Kaugummi überdeckt werden muss, einem aber ein paar ähnlich verwegene Komplizen im Waschraum oder auf dem Bordstein vorm Restaurant einbringt.

Immerhin: Auf den Seiten der großen Modemagazine wird heute nur noch selten geraucht. Die Titelgeschichte der Februarausgabe der italienischen Vogue war eine Homestory mit Gisele Bündchen in betont natürlichem Ambiente. Das brasilianische Model erschien weitgehend ungeschminkt, wurde beim Baumpflanzen mit den Kinder gezeigt und in Yogapose. Qualmen durfte auf diesen Bildern höchstens ein veganes Barbecue.

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