Zeitloses Design:Der Mann, der nutzlose Zeitmaschinen baut

Schlumpf Uhren

Weil einem die Zeit manchmal auf den Zeiger gehen kann, lässt eine typische Schlumpf-Uhr die Uhrzeit offen.

(Foto: Schlumpf)

Ein Schweizer Erfinder entwirft teure Stand- und Wanduhren. Doch sie haben weder Zeiger noch Zifferblätter.

Von Titus Arnu

Nichts hilft gegen die Zeit. Man kann seine Armbanduhr zertrümmern, die Uhr-Funktion auf dem Smartphone ausblenden und absichtlich wegschauen, wenn man an einer Bahnhofsuhr vorbeihetzt. Die Zeit schreitet trotzdem voran. Dieses schreckliche Gefühl, dass sie gnadenlos weitertickt, ohne dass man etwas dagegen tun kann, wird durch den Blick auf eine Standuhr mit einem großen Pendel nur noch verschlimmert. Zeit kann einem wirklich manchmal auf den Zeiger gehen.

Während getriebene Menschen von dem ewigen Tick-Tack genervt sind und sich beunruhigt fühlen, wenn die Kirchenglocke Viertel vor zwölf schlägt, verhält es sich bei Florian Schlumpf umgekehrt. Das Knacken des Pendels, das metallische Klicken der Zahnräder ist für ihn wie Zen-Meditation.

Der Schweizer Erfinder und Maschinenbauingenieur baut sehr teure, komplizierte Stand- und Wanduhren, die eigentlich nutzlos sind. Die Apparate verfügen zwar über Pendel, Zahnräder und fast alles Sonstige, was eine Uhr ausmacht - doch sie haben keine Zeiger. "Zeitmaschinen" nennt Schlumpf seine Apparate. Das kleinste Modell kostet 6000 Euro, größere sind für 25 000 bis 50 000 Euro zu haben.

Für die berühmte Schweizer Uhrenindustrie sind die Apparate aus dem Hause Schlumpf eine Zierde, aber ob sie genau gehen, weiß kein Mensch. Andererseits: Es gibt Atomuhren, die eine Abweichung von einer Sekunde in 20 Millionen Jahren haben - wem soll das jemals etwas nutzen? Schlumpfs hochkomplizierte Geräte können einem nicht sagen, wann das Dreieinhalb-Minuten-Ei fertig ist, aber sie können einen zum Nachdenken bringen.

Alle seine Erfindungen entstehen in Handarbeit

"Unser Denken ist immer zu sehr der Zeit verhaftet", findet Florian Schlumpf, der eine deutsche Armbanduhr trägt und beim Interview nicht den Eindruck vermittelt, als sei er zeitlich sehr unter Druck. Der Firmenchef hat vor Kurzem erst ein neues Atelier im beschaulichen Graubündner Ort Trimmis bezogen und widmet sich dort seinen Erfindungen. Er stellt nur wenige Exemplare pro Jahr her, alle in Handarbeit.

Schlumpf stammt aus einer Tüftlerfamilie. Sein Urgroßvater Johann Georg Schlumpf erfand einen der ersten Filmprojektoren und den sogenannten hydraulischen Widder, eine Wasserpumpe, die ohne Strom und Motor funktioniert. Sein Vater machte die Firma groß, unter Hans Schlumpf expandierte "Schlumpf Innovations" zu einem der wichtigsten Hersteller von Spezialmaschinen für die Papierindustrie.

Schlumpf-Urenkel Florian besuchte die Kunstgewerbeschule Luzern, absolvierte ein Maschinenbaustudium, bastelte an selbstkonstruierten Apparaten herum und fuhr in seiner Freizeit gerne mit einem Eigenbau-Motorrad herum, das er "Optibrumm" taufte. Kommerziellen Erfolg hatte er mit einem Fahrradgetriebe. Als er die Tretlager-Firma 2012 an einen deutschen Konkurrenten verkaufte, hatte er auf einmal sehr viel Zeit.

Das monotone Ticken von Uhren fasziniert ihn

Schon als Kind hatte er sich mit Uhren auseinandergesetzt, sie aufgeschraubt und auseinandergebaut. "Räume mit großen Wanduhren haben mich immer fasziniert", sagt er. "Ich fühle mich wohl in einem Zimmer, in dem eine Uhr tickt." Dieses monotone Geräusch erzeuge ein "harmonisches Ambiente", findet er.

Außerdem war er schon immer von den wunderlichen Maschinen des Schweizer Künstlers Jean Tinguely fasziniert, der riesige mechanische Kunstwerke baute, an denen sich überall etwas bewegt. Schlumpfs erste Zeitmaschine, TM 1 genannt, sah dagegen recht schlicht aus, wie eine sehr große, massive Standuhr. Nur halt ohne Ziffernblatt und Zeiger.

Das Klicken und Klacken lasse die Zeit als "etwas sinnlich Erfassbares" erscheinen, schwärmt Schlumpf, "zum Hören, zum Sehen, zum Staunen". Es ist eine eher emotionale, ästhetische Herangehensweise an diese innere Sanduhr, die jeder Mensch irgendwann rieseln hört, wenn es mal still ist. Erstaunlicherweise kam die erste Zeitmaschine so gut an, dass Schlumpf weitere Exemplare in seiner Manufaktur fertigte und andere Modelle entwickelte.

Am Wochenende soll man die Uhrzeiger abnehmen

Mittlerweile bietet er sechs Varianten an - frei stehende Modelle, Wandmodelle, dreidimensionale Maschinen. In Moskau baute er eine Monumentaluhr mit einem zwölf Meter langen Pendel und Zahnrädern mit einem Durchmesser bis zu vier Meter. Bei der russischen Auftragsarbeit musste er allerdings Zeiger anbringen, das wollte der Geldgeber so, ein Uhrenhersteller.

Schlumpf verkauft neuerdings auch Zeitmaschinen mit Zeigern. Das neue Modell TM3 ist gut 1,30 Meter hoch, wahlweise frei stehend oder als Wandmodell lieferbar. Sie zeigt ganz diskret auch Minuten und Stunden an. Die Zeiger und die Zeigerpunkte sind leicht demontierbar, man kann die Magnethalterungen mit einem Handgriff abnehmen. Der Kunde kann wählen, ob er lieber weiß, wie viel Uhr es ist, oder ob er sich der Magie der Geräusche und der Optik der bewegten Räder hingeben will. Der Erfinder empfiehlt, die Zeiger am Freitagnachmittag abzunehmen und wenigstens am Wochenende zeitlos zu leben.

Die Philosophie des Schweizer Perfektionisten ist eine Aufforderung für mehr Gelassenheit: Zeit lässt sich viel besser genießen, wenn man nicht genau weiß, wie spät es ist.

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