Wohntrend:Alles muss rein

Designer-Möbel sehen neuerdings aus, als wären sie für draußen gedacht. Über die verschwimmende Grenze zwischen Haus und Garten.

Von Anne Goebel

Thomas Mann trug selbst im Liegestuhl Anzug, Krawatte und Einstecktuch. Es gibt Fotos von Mann auf der Terrasse im Schweizer Exil in Küsnacht oder im Garten von Pacific Palisades, die, würde es sich nicht um den Großschriftsteller handeln, als astreines Dandytum durchgingen: Ein Jackett aus weißer Schurwolle und fein gemusterte Socken bilden den größtmöglichen Gegensatz zur Lässigkeit der Möbel, der zwanglosen Sitzposition im Deck Chair oder Rattansessel. Die Schieflage zwischen Ambiente und Outfit ist ein Grundmerkmal des Dandys, der die Unangemessenheit zum Prinzip erhebt. Und die lässt sich besonders wirksam in Szene setzen, wo die Regeln und Codes eigentlich gelockert sind: außer Haus, im Freien.

Umgekehrt bringt Gartenmobiliar immer eine Spur Unaufgeräumtheit in den Innenbereich, wo es ja eigentlich nicht hingehört, und auch dieser Gegensatz hat seinen Reiz. Die Hängematte im Jugendzimmer als klassisches Auflehnungsaccessoire gegen die elterliche Einrichtung gehört da eher zu den vorübergehenden Phänomenen. Inzwischen machen sich aber gediegene Möbelfirmen diesen Twist zunutze, jüngstes Beispiel ist der italienische Platzhirsch Unopiù. Das Unternehmen aus dem Städtchen Soriano nel Cimino im Hinterland von Rom gehört in Europa zu den führenden Anbietern von Außeneinrichtung. Entstanden aus einem lokalen Handwerksbetrieb, verkauft die Marke ihre hochpreisigen Sonnenliegen, Pavillons und geflochtenen Lounge-Landschaften auch in Dubai oder La Réunion. Und zwei Klassiker aus dem Sortiment sind jetzt vom Garten- zum Vollwertmöbel aufgestiegen: Die luftigen Sitze "Emy" und "Ginger" bietet Unopiù neuerdings als lederbespannte Sessel an.

"It's about the outdoor area coming to the interior", sagt Geschäftsführer Maurizio Motta mit rollendem R im neu eröffneten Laden in München. Die verschwimmende Grenze also zwischen innen und außen in Design und Architektur - der viel beschworene Trend in den tonangebenden Magazinen ist für Leute wie Motta eine erfolgversprechende Entwicklung: Indem Terrassen seit einiger Zeit wie Zimmer eingerichtet und umgekehrt nun Gartenstühle salonfähig werden, vergrößert sich der Markt für die entsprechenden Produkte, wenn man es schlau anpackt.

Man holt sich ein Stück Landleben nach Hause - aber bitte in veredelter Form

Im Fall des italienischen Labels kam diese Mode zur rechten Zeit. Maurizio Motta, der zum Zweiteiler aus leichtem Cord mohnrote Socken trägt, hat die Firma nach schwierigen Jahren zurück in die Spur gebracht. Sehr konservativ seien Teile der angestammten Kundschaft gewesen, sagt der ehemalige Apple-Manager, und beim Durchblättern des Katalogs kann man das noch hier und da erkennen. Verzierte Eisenstühle, Rankgitter und Orangerien für den hauseigenen Park - solide, teuer, wie aus der Zeit gefallen. Heute gehört das Unternehmen zu Splendor Investment Holdings, und Motta verlagert den Schwerpunkt stärker auf klare Linien, reduzierte Formen. Stilistisch mehr Resort statt Villa. Eher St. Barts als Toskana.

Einer jungen, hippen Klientel dürfte das gefallen, genauso wie die Grundidee hinter den aufgemöbelten Freiluftmodellen: ein Stück Land im Haus, aber bitte in veredelter Form. Ein Zwittersessel wie Emy, der mit seinem zusammenklappbaren Holzgestänge klar nach Sanddüne oder Blumenwiese aussieht, jedoch durch den Ledersitz (und den Preis von 1200 Euro) etwas hermacht, bedient genau den Zeitgeist. Einerseits das Verlangen nach Natur, all die Baum-Bücher und Selbsterfahrungen beim Angeln und auf der Alm - andererseits sehen unsere Gärten immer ordentlicher und abgezirkelter aus mit Zierkies, schmutzreduzierenden Hochbeeten. Und Bäume lässt man anstatt aus dem Gras jetzt gern aus Steinpflaster wachsen wie einen mit Bedacht ausgewählten Deko-Gegenstand.

Die erweiterte Form dieser gezähmten Naturbegegnung ist das Außenmöbel am inadäquaten Ort, also drinnen. Auf den Zug sind viele Hersteller aufgesprungen und verkaufen mit ihren Produkten den Kunden ein durchgelüftet entspanntes Outdoor-Gefühl, ohne dass die das Haus überhaupt zu verlassen brauchen.

Der Klappsessel aus Holz signalisiert: Die "New Nomads" sind immer im Aufbruch

Da ist der wiederbelebte Acapulco-Chair, der aussieht wie ein großer bunter Makramee-Trichter (zum Beispiel vom dänischen Label OK Design). Der transportable Hocker Hilo von Knoll in Sonnenorange ähnelt einer Mischung aus Garten- und Fitnessgerät. Neue Beistelltische bei B&B Italia heißen "Formiche", Ameisen, und erinnern an ein nachlässig auf der Terrasse abgestelltes Tablett mit Untersatz. Der Regiestuhl feiert ein Comeback. Und vor allem: überall Filigranes, geflochtene Strukturen, weil das die Urform für das leichte Leben an der frischen Luft ist. Günstige Variante: Avsiktlig von Ikea aus Rattan. Teuer und edel: Colette von Minotti, eine Mischung aus Polsterstuhl und Gartengitter.

Es ist auch das Flüchtig-Provisorische, das solchen Stücken selbst in der Nobelvariante noch anhaftet, das heutzutage gut ankommt. Die urbanen New Nomads verkörpern, wenigstens theoretisch, einen Lebensstil, bei dem es um wenig (wertigen) Besitz und ständigen Aufbruch geht. Da darf die Einrichtung nicht nach Ewigkeit aussehen - ein, zwei lässige Sessel mit Klappmechanismus sollten schon signalisieren, dass man die Zelte jederzeit abbrechen könnte, auch wenn in Wahrheit der Bankvertrag für die Wohnung über drei Jahrzehnte läuft. Und falls es der Geldbeutel zulässt: Es gibt auch einen goldgeflochtenen Hängesitz von Louis Vuitton.

Im Übrigen bringt Mobiliar, das von außen in den Wohnbereich wandert, immer die Botschaft mit: Bitte alles etwas zwangloser sehen. Garten und Parks gelten seit jeher als Orte des Übergangs zwischen Zivilisation und ungezügelter Natur, zwischen Vernunft und Wildnis. Von Shakespeares "Sommernachtstraum" bis zur ausufernden Poolparty ist die Grenzüberschreitung im Freien ein wiederkehrendes Motiv. Und das dressierte Gartenmöbel liefert sozusagen die Kulisse dazu, und sei es in der Fantasie. Die Dekadenz muss dabei ja nicht so weit gehen wie in dem Film "La Grande Bellezza", wo der Held in einer gigantischen Hängematte über den Dächern von Rom relaxt. "Diese berühmte Szene", sagt Maurizio Motta. Er kennt sie gut, schließlich liegt der Hauptdarsteller im Modell "Amanda" seiner Firma.

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