Wohnen:Möbelrücken per Mausklick

Fabienne Hurst Wohnzimmer

Das Wohnzimmer vor der virtuellen Stilberatung.

(Foto: Fabienne Hurst)

Wer seine Wohnung umgestalten will, kann sich jetzt online von Experten beraten lassen. Doch was kommt am Ende dabei heraus?

Von Fabienne Hurst

Für alles beschäftigen wir Profis: vom Friseur bis zum Steuerberater, denn fast immer ist die Angst vor dem Selbermachen größer als der Geiz. Nur beim Wohnen doktern wir Amateure meistens noch selbst herum oder verändern jahrelang gar nichts, obwohl uns der unfreiwillige Stilmix aus Omas Nierentisch und Billy-Regal schon lange nervt. Ein bisschen schöner, moderner, aufregender könnte es schon sein, das eigene Heim, aber wo anfangen? Bei einem Innenausstatter? Viel zu teuer. Zudem ist der eigene Wohnstil ja etwas durchaus Intimes, sodass man ihn nicht einfach so einem fremden Berufsästheten anvertrauen mag.

Albtraumhaft die Vorstellung, wie eine übereifrige Tine Wittler im eigenen Zuhause einmarschiert, bunte Tapetenrollen unterm Arm und viele "freche Deko-Ideen" im Kopf. Katalogkulissen von Ikea nachbauen? Hat dann ja jeder. Do-it-yourself-mäßig Flohmarktschnäppchen aufmöbeln? Zu viel Arbeit. Am Ende reichen Budget und Motivation im besten Fall für ein Abo von Architectural Digest, im schlechtesten für ein paar Tischsets aus Kunststoff.

Probewohnen auf dem Bildschirm

Modsy

Rendering des virtuellen Wohnzimmers.

(Foto: Modsy)

Diese Einrichtungsträgheit will nun ein Start-up aus Kalifornien lösen. Mit Modsy soll jeder die Möglichkeit einer professionellen Stilberatung bekommen. "Möbel einfach ausprobieren - in Ihrem Zuhause in 3-D" heißt es auf der Webseite. Das Konzept: Grafiker schaffen auf der Grundlage von Fotos ein dreidimensionales Modell des Raumes, der umgestaltet werden soll; Innenausstatter und Stilberater richten ihn ein. "Jeden anderen großen Kauf in unserem Leben testen wir zuerst", sagt Modsy-Gründerin und Geschäftsführerin Shanna Tellerman. "Autos fahren wir Probe, Kleidung probieren wir an - aber bei der Wohnungseinrichtung spekulieren wir wild herum in der Hoffnung, dass zu Hause schon alles zusammenpassen wird."

Die 35-Jährige war jahrelang bei der Investmentfirma Google Ventures für 3-D-Technologien und die Zukunft des Einzelhandels zuständig. Im Frühling 2015 gründete sie zusammen mit Videospiel-Entwicklern, Grafikern und Einrichtungsberatern ihr eigenes Start-up. Heute arbeiten 25 Angestellte in dem Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco.

Die Verknüpfung von Interieur-Design und digitaler Technologie ist nicht neu: Eine ganze Reihe an Programmen soll Kunden durch virtuelle Planungsprozesse unterstützen, wobei der Nutzer häufig aufwendige Designprogramme lernen muss. Planungsapps wie Roomle oder die Ikea-App können Möbel zwar virtuell in die eigene Wohnung projizieren, aber da geht es nur um einzelne Einrichtungsgegenstände, nicht um ein neues Raumkonzept. Modsy hingegen ist wie ein personalisierter Möbelkatalog für die eigene Wohnung - inklusive aller architektonischen Details.

Experiment im Wohnzimmer

Mein Versuchsobjekt wird das Wohnzimmer: hohe Wände, Dielenböden, massiver Holztisch, altes Sperrholz-Sideboard. Ein gemütlicher Raum, nur etwas zu dunkel, Farbe und Platz für Bücher fehlen. Nach dem Login bei Modsy muss ich den Grundriss angeben und mein "Overall budget", das zwischen 1000 und 10 000 Dollar liegen kann. Ich wähle 1000 Dollar. Wie bei einem Quiz müssen Fragen zu Stilvorlieben beantwortet werden. Ich klicke Fotos von Einrichtungen an, die mir gefallen: mal schlicht und sehr ähnlich zu meiner aktuellen; mal eklektisch wie ein Weltmusikladen, mit peruanischen Kissen, bunten Teppichen und Holzstühlen; mal loftähnlich minimalistisch mit unverputzten Betonwänden und dunklen Industrielampen.

Außerdem soll ich ein paar Gegenstände auswählen, die ich mir kaufen würde, darunter eine bunt bedruckte Filzdecke und ein lackierter, zu einem Beistelltisch umfunktionierter Baumstumpf. "Bist du sicher?", fragt der besorgte Freund. "Ein Baumstumpf? Dann machen die uns hinterher so einen Waldschratkram rein." Aber ich mag Natur, das müssen die da drüben in San Francisco unbedingt wissen. Ich schreibe noch dazu, dass ich einen Haufen Bücher besitze und mir mehr Licht wünsche. Fertig.

Am Ende der Umfrage wird mir zunächst bescheinigt, ich sei ein "Mod Visionary", dem Retro-Schick genau so gut gefalle wie schlichte Formen und Minimalismus. Es ist ein bisschen wie bei den Horoskopen in Klatschzeitschriften: schmeichelhaft, aber so vage, dass es auf jeden passen könnte - irgendwie auch auf mich. Dann muss ich nur noch aus allen Winkeln des Wohnzimmers ein Foto knipsen und hochladen.

Der Service kostet regulär 199 Dollar für einen Raum, zurzeit gibt es ein Einführungsangebot für 99 Dollar. Außerdem bekommt Modsy für jedes über die Seite vermittelte Möbelstück Provision von mehr als 100 Einzelhändlern, mit denen es zusammenarbeitet. Für jedes bereits vorhandene eigene Möbelstück, das die Designer in ihre Planung miteinbeziehen sollen, berechnen sie weitere zehn Dollar. Ich gebe also noch die Maßangaben von Sideboard und Esstisch an. In sieben bis zehn Tagen soll das Wohnzimmermodell fertig sein.

Kann das funktionieren: Einrichtungsberatung per Ferndiagnose? Sind wir in unserem Stilempfinden so leicht durchschaubar, dass jemand im 9000 Kilometer entfernten Silicon Valley weiß, was in ein 20-Quadratmeter-Altbauzimmer auf St. Pauli passt?

Diagnose vor Ort - fürs Zehnfache

Das Hamburger Einrichtungsbüro von Christin Schmidt ist hingegen nur wenige U-Bahn-Stationen entfernt. Hier kann man Möbel angucken, Vorhänge anfassen, die Beraterin persönlich kennenlernen. Wenn Schmidt einen Raum gestalten soll, geht sie zum Kunden nach Hause, spricht ausführlich über Wünsche und Vorlieben, kümmert sich von der Zeichnung bis zum Möbeltransport. Also all das, was nach 20 Minuten Symptombeschreibung am Computer eher nicht zu erwarten ist.

Was hält sie von der Ferndiagnose? "Wenn man einen Tipp für eine Wandfarbe sucht oder einen passenden Tisch, ist das sicherlich sinnvoll", sagt sie. "Aber wenn man sich konzeptionell ganz neu einrichten will, nützt eine Fernberatung wenig." Grob überschlagen, würde die Planung meines Wohnzimmers hier in etwa das Zehnfache kosten, wobei Planung und Beratung meist mit der Umsetzung und der Provision für die Möbel verrechnet werden.

Modsy Wohnzimmer vorher/nachher

Eine bahnbrechende Verbesserung konnte auch die Online-Stilberaterin nicht herbeiführen. Für viele Bücher ist immer noch kein Platz.

(Foto: Modsy)

Über Nacht sind die Vorhänge verschwunden

Als die 3-D-Modelle nach acht Tagen fertig sind, habe ich zunächst das Gefühl, jemand hätte sich unbemerkt in die Wohnung geschlichen und über Nacht alle Möbel ausgetauscht. Zwei "Designs" haben die Modsy-Experten für mein Wohnzimmer entwickelt. Das hellgraue Sofa wurde durch ein braunes aus Leder und eine weiße Stoffcouch ersetzt, der Teppich ist heller, an den Wänden hängen schlichte Leselampen, das Bücherregal aus Holz ersetzen zwei offene, mit allerlei Dekowerk geschmückte Strebenregale, die Vorhänge sind verschwunden, und die Wände schmücken schwarz-weiße Grafiken in dunklen Rahmen.

Im Regal sitzt ein schwarzer Rabe aus Plastik, neben dem Fernseher hängt ein Hirschgeweih. Der große Esstisch steht quer, sonst hat sich an der Möbelanordnung nichts verändert. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu wohnen, auch wenn das Zimmer in beiden Versionen recht kühl wirkt und ich immer noch nicht weiß, wo die Bücher hinsollen. Und dass man in zugigen Hamburger Altbauten ungern mit dem Rücken zum Fenster sitzt, können die Ferndiagnostiker ja nicht wissen.

Zusätzlich bietet Modsy eine Style Consultation per Skype an, bei der die Kunden sich persönlich beraten lassen und die vorgeschlagenen Designs modifizieren können. Auf dem Monitor erscheint Ermelinda Wood, eine Frau Mitte 50, mit langem, graublondem Haar und Hornbrille, die sich fröhlich als "Style advisor" vorstellt. Typisch amerikanisch lobt sie überschwänglich meinen Geschmack, den tollen Nussbaumtisch und die rustikalen Dielen - she loves it. Ihr eigenes Büro ist vollgestellt mit alten Holzmöbeln, auf dem Schreibtisch stapelt sich Papier.

"Und, haben Ihnen die Designs gefallen?" fragt sie. Ja, doch, vielleicht etwas sehr clean, nüchtern, kahl. "Es fehlt Ihnen also an Wärme", konstatiert sie und kritzelt etwas auf ein Stück Schmierpapier. "Sie haben diese kleine Sammlung von Familienfotos über dem Sideboard. Damit sollten Sie unbedingt weiterhin arbeiten." Kurz muss ich nun doch an Tine Wittler mit ihrem überschwänglichen Deko-Optimismus denken.

Warum sollte ich eigentlich ein Budget angeben, wenn später allein ein Sofa mehr als 1600 Dollar kostet? Natürlich könne man nicht davon ausgehen, dass eine ganze Einrichtung für 1000 Dollar möglich wäre, sagt Ermelda Woods. Die Budgetfrage sei eher ein Richtwert für die einzelnen Stücke. Außerdem müsse ich ja nicht alles kaufen und könne mit dem "Editor" Möbel per Mausklick austauschen oder umstellen.

Seit dem neuesten Update kann man über den Account auch selbst komplett neue Einrichtungen in seinem 3-D-Raum gestalten. Dafür sucht sich der User aus dem Katalog Möbel aus und zieht sie per Maus in den Grundriss. Am Ende schickt man den eigenen Entwurf an die Grafiker und erhält 48 Stunden später ein Foto. In meinem Fall zeigt der Selbstversuch, wie sinnvoll ein Profi dann doch sein kann, denn mein selbstdesigntes Wohnzimmer besitzt den Charme einer Zahnarztpraxis.

So gesehen bedeutet Modsy eine echte Demokratisierung des Interior-Design-Luxus: ein bisschen Schöner Wohnen für alle. Oder zumindest für diejenigen, die ihre Stilunsicherheit mit Geld kompensieren können. Die Frage ist, ob die 99 Dollar in einem Eimer Wandfarbe nicht genauso gut investiert wären, oder sogar besser.

Als ahnte sie bereits, dass ihr Service nicht ganz so perfekt ist, wie sie ihn verkauft, will Shanna Tellerman auch Modsy selbst künftig aufmöbeln. Die Gestaltungsmöglichkeiten sollen individueller, die Bedienung einfacher, die Angebote an den internationalen Markt angepasst werden. Eine Hamburger Wohnung würde dann mit Möbeln ausgestattet, die tatsächlich auch in Deutschland zu bekommen sind.

Sollte sich das Konzept durchsetzen, bleibt nur zu hoffen, dass nicht allzu viele "Mod Visionaries" in meiner Gegend wohnen - die würden dann ja alle die gleiche Einrichtung verschrieben bekommen. Und noch mehr Hirschgeweihe können wir hier echt nicht brauchen.

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