Wohnen:#dreckweg - Wo bleibt der Putztrend?

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Das neue Trendaccessoire? Der Wischmop setzt sich einfach nicht durch. (Foto: Collage Jessy Asmus/SZ.de)

Detox, Smoothie, Yoga: Alles reinigt und räumt uns auf. Nur das Reinigen und Aufräumen selbst, das kann die Putzfrau machen. Was das über eine Generation sagt, die Ordnung liebt.

Von Tanja Mokosch

Chaos ist out, sowas von out, sein Gegenteil ist in. Wir lieben die Ordnung so sehr, wir machen sie zum Trend in allen Lebensbereichen. Detox räumt den Körper von innen auf, das Fitnessstudio von außen, Yoga von beiden Seiten. Die Work-Life-Balance stellt die Ordnung von Berufs- und Privatleben her. Und Zuhause? Da nennen wir Ordnung "Minimalismus", damit sie nicht so spießig klingt, nach Schrankwand oder Ablagekörben.

Zu viel Chaos draußen in der Welt, zu viel Zeug drinnen im Wohnzimmer. Das macht nervös. Weg damit. Schon wird das Herz um ein verstaubtes Bücherregal leichter. Netter Nebeneffekt: Die Wohnung wird ein bisschen hipper. Zum Vorschein kommt im besten Fall mehr Fischgrätmuster-Echtholzboden, im schlechtesten nur ein alter PVC und sehr viel Dreck. Das Problem am Wohn-Minimalismus: Er erfordert einen enormen Putz- und Aufräumaufwand. Unter nackte Holzböden kann man nichts kehren, in leeren Regalwänden nichts verstecken. Die Lösung, eigentlich simpel: putzen. Immer und immer wieder.

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Putzen ist für den Minimalismus wie Atmen für den Organismus - eine essenzielle, aber enorm unterschätzte Tätigkeit, die bei Weitem nicht das Ansehen genießt, das sie verdient. Kaum jemand tauscht sich übers Putzen aus: "Ich hab' da einen neuen Wischmop, der ist echt gut." - "Ach krass, woher denn, und wie teuer?"

Warum, kann man jetzt fragen, sollte einer so banalen Verrichtung mehr Aufmerksamkeit zuteil werden? Etwa, weil sie so viele andere, banalere Tätigkeiten in diesem digitalen Zeitalter auch bekommen? Eine 17-Jährige schminkt sich regelmäßig für Youtube: Aufmerksamkeit. Ein Pandababy niest, das Video verbreitet sich hunderttausendfach im Netz: Aufmerksamkeit. Frauen gucken nüchtern: die Aufmerksamkeit bekommt auf Instagram den Namen "Resting Bitch Face".

Noch ein Trend?

Nein, diese Belanglosigkeiten sind kein Argument für noch mehr Belangloses. Dabei hat Putzen die formal besten Voraussetzungen, endlich mal gehypt zu werden: Putzen ist normal, menschlich, eigentlich nicht der Rede wert. Etwa so, wie ungeschminkt aufzuwachen. Das auf Instagram boomende Hashtag dazu heißt #wokeuplikethis. Putzen ist simpel, sehr simpel - kann jeder, wenn er will, fast so wie ungeschminkt aufwachen. Für einen Trend ist das wohl zuträglich.

Und Putzen schafft das, was so viele andere Trends vorgeben zu tun, das, wonach wir uns offenbar so sehr sehnen: Es reinigt. Es räumt auf. Es schafft Strukturen, Ordnung und Sauberkeit. Nebenbei macht Putzen schlank. Sagt man zumindest. Eine frisch geputzte, saubere Wohnung muss doch mindestens so viel Seelenfrieden schenken wie ein Chia-Samen-Frühstück.

Das Ergebnis einer repräsentativen forsa-Umfrage im Auftrag der Minijob-Zentrale zeigte im vergangenen Jahr: Sieben Prozent der Deutschen putzen in ihrem Haushalt täglich - was eigentlich schon fast ein bisschen zwanghaft erscheint. Interessanter ist: Mehr als jeder zehnte der 1500 Befragten hat eine Haushaltshilfe. Die muss meistens die der Studie zufolge unbeliebtesten Aufgaben übernehmen: Boden wischen, Bad- oder Fensterputzen. Logisch.

Und wer hat sie wohl, die Putzfrau? Die gestressten Besserverdiener. Unter den Befragten mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 3500 Euro holen sich nämlich doppelt so viele eine Haushaltshilfe, und damit beinahe jeder vierte (22 Prozent). So gesehen ist klar: Die haben das Geld und gleichzeitig keine Zeit oder Lust.

Was ihnen dabei entgeht ist die Erfahrung, dass Putzen entspannt. Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen: Die Schweizer Ethnologin Katharina Zaugg zum Beispiel forscht seit mehr als 20 Jahren am "postmodernen Raumpflegeverhalten". Sie sagt, Putzen habe einen hohen Wellness-Faktor. Und Wellness ist toll, oder? Dieses befriedigende Gefühl, das einen überkommt, wenn die Krümel vom Küchenboden geräuschvoll das Staubsaugerrohr hochsausen - na?

Womöglich liegt es also schlicht an den fehlenden Accessoires, dass sich ein Putztrend bisher nicht etablieren konnte: So ziemlich alle Dinge, die einst einem simplen Zweck dienten, gibt es inzwischen in schön, weil sie trendy geworden sind: Trinkflaschen, Regenjacken und Gummistiefel, Zahnbürsten, Kochtöpfe, Bohrmaschinen. Nur die Auswahl an ansehnlichem Putzzeug ist klein.

Die Google-Suche nach "Design-Putzeimer" zum Beispiel ergibt: ein zylinderförmiges Gefäß mit Henkel, oben offen in den Farben Pink, Grün oder Blau mit 70er-Jahre-Kringeln - maximal hässlich. Gibt es den vielleicht in schlicht, in eckig, in schwarz oder weiß, matt, aus recycelten Plastikflaschen? Hallo, ihr Berliner Jung-Entrepreneure, die ihr diesen Text nicht lest, weil Putzen uncool ist: Euch entgeht da etwas wirklich Großes!

Alles ist hip, was Bodenständigkeit verkörpert, Sinn in basalen Tätigkeiten findet, uns "back to the roots" bringt. Nicht-Schminken gehört dazu, normale Sachen anzuziehen (Stichwort Normcore und Noncore) oder zwei Berliner, die in ihrer Metzgerei das Fleischerhandwerk zur Kunstform erheben. Was, bitteschön, gibt es Bodenständigeres als Putzen? Wo bleibt er also, der Putztrend?

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Was Gelehrtes, Kreatives halt, aber mit Maß

Er kommt nicht. Und man kann nur mutmaßen, warum. Vielleicht weil er, noch deutlicher als die anderen stumpfen Beschäftigungen, denen wir nachgehen, zeigen würde, was wir so gerne wären und nicht sind. Die hippen jungen Leute, das waren mal Chaoten. Künstler waren sie, Freigeister, Intellektuelle, Wissenschaftler sowieso. Keine Zeit zum Aufräumen und Putzen, zu viele Ideen im Kopf, die sofort umgesetzt werden müssen. Zu viele Rebellionen, die nicht warten konnten. Die Bude voll mit Leinwänden, Gitarren, Platten, Büchern und Notizen. Die brauchten keine Designputzeimer, sie hatten Wichtigeres zu tun.

Schon Einstein sagte einmal: "Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos."

Doch heute sind die hippen jungen Leute "Akademiker" oder "Freiberufler", was Gelehrtes, Kreatives halt, aber mit Maß. Die Bude voll von Minimalismus: Glänzende Edelstahlarbeitsflächen, leere Holztische, schlichte Designerstühle, weiße Wände. Der Rest bleibt am Arbeitsplatz, der Work-Life-Ordnung zuliebe. Einmal die Woche kommt die Putzfrau - auf dem leeren Boden sieht man die Staubmäuse so schnell.

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