Glitzer-Trend:Darum lieben kleine Mädchen Wendepailletten

Glitzer-Trend: Hinauf und hinunter, bis jede Paillette umgedreht ist. Und dann das Ganze noch mal von vorne.

Hinauf und hinunter, bis jede Paillette umgedreht ist. Und dann das Ganze noch mal von vorne.

(Foto: instagram @elbunikate)

T-Shirts mit funkelnden Metallplättchen sind derzeit irre beliebt. Woher kommt der plötzliche Hype zum Streicheln?

Von Jana Stegemann

Die Instagram-Videos sind meist nur wenige Minuten lang, aber zu hören ist immer das Gleiche - ein raues Rascheln. Auf bunten T-Shirts sind aufgenäht zu sehen: Motive mit schillernden Wendepailletten, die beim Darüberstreichen die Farbe wechseln oder hach, noch besser, gleich ein anderes Motiv enthüllen.

So wird mit einer einzigen Handbewegung aus einem silbrigen "Yes" ein rotes "No" - und umgekehrt. Eine lilafarbene Ananas verwandelt sich in eine gelbe, aus einem pinken Herz entsteht ein schwarzes, und so weiter und so weiter. Die Mädchen in den Videos machen nicht viel. Sie streichen sich bedächtig-versonnen über den Bauch - hinauf und hinunter, bis jede Paillette umgedreht ist. Und dann das Ganze noch mal von vorne. Inzwischen sind die Glitzerdinger nicht mehr nur im Netz zu finden - sondern auf sämtlichen Schulhöfen der Republik.

"Ich finde das Gefühl so cool, wenn man sich über den Bauch streicht und die Pailletten umdreht", sagt Greta aus München, stolze Besitzerin eines T-Shirts mit einer mehrfarbigen Wendepailletten-Katze. Ihre Cousine Nele ist erst fünf, aber sie spricht das Wort "Wendepaillette" aus, als würde sie darüber seit Jahren an der Uni Vorträge halten. Auf dem Shirt trägt sie einen Katzenkopf, der sich je nach Stimmung selbstbestimmt zu Katzenpfoten verwandeln lässt.

Wer die Pailetten umdrehen darf, gehört dazu

"Es ist so lustig, wenn dann jede in der Schule ankommt und fragt: 'Darf ich mal umdrehen?", findet Greta. Instinktiv hat Greta damit erklärt, was die Anziehungskraft von Wendepailletten ausmacht: Sie sind ein Körperkommunikationsmittel und bedingen eine Intimität zwischen zwei Mädchen. Wer der anderen die Wendepailletten umdrehen durfte, ist eine Verbündete. Verbündete im Kampf gegen Mitschüler, gegen Eltern, gegen die ganze Welt.

Die neunjährige Samantha hat ein T-Shirt mit Matrosenstreifen und zwei Herzen aus Wende-Pailletten von ihrer Mutter bekommen. Immer wieder wischt sie über die unterschiedlich großen Herzen, die einerseits silbrig glänzen und nach dem Darüberstreichen in Regenbogenfarben glitzern. Wieder und wieder fährt Samantha hingebungsvoll über die Herzen, malt Muster hinein. Die Sonne verfängt sich in den Pailletten, sie glitzern und funkeln und blinken, als gäbe es kein Morgen - hypnotisierend schön.

Die Mutter stupst die Tochter an und seufzt: "Das ist aber nix für die Schule, dann konzentrierst du dich ja gar nicht." Und erkennt gleich noch ein Problem: "Wie bekomme ich das Shirt überhaupt sauber?" "Mit der Hand, damit es nicht kaputt geht", sagt Samantha. Die Mutter schnaubt, leicht empört. Willkommen in der Glitzer-Hölle.

Klar - die Eltern, das sind die Unwissenden. Nur die Trägerinnen, die Eingeweihten, erkennen die Faszination. T-Shirts mit Wendepailletten sind bei fünf- bis zwölfjährigen Mädchen gerade so begehrt wie sonst nur Dinge von und mit Eiskönigin Elsa. Kein Wunder, immerhin sind sie Kleidung und Spielzeug in einem. Doch auch für Jungs halten die großen Modeketten Angebote bereit: vor allem Superhelden aus matten, meist schwarzen, roten oder nachtblauen Pailletten.

Neu ist die metallene Fischhaut zum Spielen allerdings nicht: Schon 2005 gab es im Münsterland Kleider und Blazer aus dem Material zu kaufen. Woher also der plötzliche Hype um die glänzenden Metallplättchen? "Wendepailletten sind der absolute Anti-Trend. Sie kommen ohne Bildschirm aus, sind nicht digital. Und: Sie sind an deinem Körper, du kannst sie selbst beeinflussen", sagt Sabine Resch, Modetheoretikerin und Studienleiterin an der Akademie Mode & Design in München. Das Digitale könne 2017 alles, fast. Nur Haptik nicht.

Wie wichtig dieses eigene Gefühlserlebnis ist, sollte man nicht unterschätzen. Die Pailletten umdrehen, das können die Mädchen selbst machen. "Hinzu kommt natürlich auch noch ein bisschen Glitzer, Glamour und dadurch etwas Magisches", sagt Resch. Wendepailletten als Möglichkeit, offline zu gehen, sich in die analoge Welt zurückzuziehen. Das erinnert an das derzeit begehrteste Spielzeug bei Kindern: der Fidget-Spinner, ein Geschicklichkeitsspiel für die Finger - ebenfalls komplett analog.

Die Demokratisierung der Pailletten

Bling-Bling ist indes keine Erfindung der modernen Gesellschaft, nein, die Geschichte der Paillette (von französisch "paille", was "Stroh" oder "Flecke" bedeutet) reicht Tausende Jahre zurück. Schon die Ägypter nähten kleine Plättchen aus purem Gold auf ihre Kleider. Jahrtausendelang galt diese Technik als Privileg der Reichsten - bis sich das St. Gallener Textilunternehmen Jakob Schlaepfer 1963 das Weltpatent für die industrielle Produktion von Paillettenstoffen auf Stickmaschinen sicherte. Von da an war die Paillette demokratisiert und für die Masse erschwinglich.

Heute sind die Plättchen - winzige Scheiben von durchschnittlich sechs Millimetern Durchmesser, mit einer Ausstanzung in der Mitte - aus metallisierter Polyesterfolie. Ihren Glitzer-Effekt erhalten sie durch einen Metallüberzug, der sogar wasch- und bügelbar ist. Zur Fixierung werden sie entweder aufgeklebt oder maschinell mit einem Perlon-Faden aufgenäht, darin unterscheidet sich dann auch der Preis des Kleidungsstücks. Sehr viel teurer und fast nur noch an Haute Couture-Kleidern zu finden sind Pailletten, die von Hand aufgenäht werden. Bei Wendepailletten für Shirts wird das Loch zur Befestigung am oberen Rand ausgestanzt, der Faden maschinell extra locker genäht. Die Haltbarkeit solcher Shirts ist trotzdem nicht allzu hoch.

Längst sind in dieser Saison auch Luxuslabels aktiv geworden: Christian Louboutin brachte bereits im Mai eine 800-Euro-Stiefelette heraus, deren Trägerin mittels Wendepailletten deren Farbe ändern kann. Die US-Stylistin Samantha McMillen kreierte für das Material des Schuhmodells "Moulamax" den überaus passenden Namen "Unicorn-Skin" ("Einhornhaut").

In den Herzen kleiner Mädchen haben sich die drehenden Plättchen längst einen Platz gesichert. Sabine Resch findet das überhaupt nicht schlimm: "Besser, die Kids streichen über ihr T-Shirt, als immer nur übers Smartphone."

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