Unterwäsche:Chef oder Sahnetorte?

Singer Swift performs as model Kloss presents a creation during the 2014 Victoria's Secret Fashion Show in London

Weibliche Unterwäsche: ein ewiges Schlachtfeld für gesellschaftliche Fragen.

(Foto: REUTERS)

Einerseits wollen Frauen stark und selbstbestimmt sein. Andererseits kaufen sie weiterhin Lingerie, in der sie aussehen wie hingebungsvolles Backwerk. Ein Widerspruch?

Von Julia Werner

Es war im September 1968, als 400 Feministinnen mit der Parole "Frauen sind kein Fleisch" zum Schönheitswettbewerb "Miss America" fuhren. Sie verbrannten ihre Büstenhalter nicht, warfen sie aber zusammen mit Wischmopps und High Heels in einen großen Abfalleimer. Der BH, Anfang des 20. Jahrhunderts noch als Befreiung der Frau vom Korsett gefeiert, wurde so zum Politikum. Den Frauen, die ihn dazu machten, verdanken wir einen nicht unwesentlichen Teil unseres freien Lebens. Und was tun wir?

Wir Frauen laufen heute mit unserem eigenen Geld selbstbestimmt in den Lingerie-Laden um die Ecke. Nicht nur, um untendrunter auszusehen wie ein mit Schleifchen verziertes Sahnebonbon, nein - wir tragen den Verführungs-Look aus Spitze und Seide jetzt sogar in der Öffentlichkeit. Die Mode nämlich propagiert gerade das Negligé als Ausgehkleid und den Pyjama als City-Look. Konsequent ist das aus feministischer Perspektive nicht: Wenn man auf Augenhöhe mit dem anderen Geschlecht spielt, ist Verführung ja eigentlich überflüssig. Woran sich notwendig die Frage anschließt: Geht das überhaupt, stark und gleichzeitig sexy sein in Spitze?

Absolutely, findet Madonna. Als sie kürzlich in einem, äh, Kleid von Givenchy auf der Met Gala auftauchte, war das Entsetzen groß. Das lingerieartige Teil bestand aus Bändern, die ihren nur von einer Schicht schwarzer Spitze bedeckten Busen stramm nach oben schnürten - und ihren Hintern so gut wie frei legten. Madonna bezeichnete ihren Auftritt hinterher als feministisches Statement gegen zwei große Tabus: Das Altern der Frau. Und die freiwillige Sexualisierung des weiblichen Körpers als Ausdruck absoluter Gleichberechtigung. Och Madonna, möchte man da rufen, mach dich mal locker, daheim in Jogginghosen zum Beispiel! Hast du in deinem Spitzbusen-Korsett von Jean Paul Gaultier vor 25 Jahren nicht schon alles zum Thema gesagt?

Unterwäsche hat die weiblichen Formen schon immer zurechtgerückt. Aber eben nur so, wie die Mode, der Zeitgeist, das Patriarchat diese Formen gerade haben wollten. Was der Zeitgeist offensichtlich nicht will, ist die alternde, nackerte Madonna. Vielleicht haben die Frauen in Sachen Unterwäsche ja immer noch nicht genug mitgeredet?

Körperliche Zumutung, eingeschränkte Bewegungsfreiheit

Dass selten die männliche, aber immer die weibliche Wäsche ein Schlachtfeld für gesellschaftliche Fragen war, zeigt schon ein Blick in den Katalog der Ausstellung "Undressed: A Brief History of Underwear" im Londoner Victoria & Albert Museum (bis März 2017). Sie ist eine Reise durch all die körperlichen Zumutungen, die Frauen im Lauf der Geschichte ertragen mussten.

Unterwäsche, das bedeutete ja eine halbe Ewigkeit lang: Variationen des Korsetts. Es veränderte sich vom späten 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ständig, wurde mal enger, mal lockerer oder verschmälerte je nach Mode die Hüften gleich mit; als Rechtfertigung wurden ihm orthopädische Vorteile wie eine bessere Haltung zugeschrieben. Obendrauf: die Krinoline. In allen möglichen Formen betonte sie das Hinterteil oder verbreiterte das gebärfreudige Becken auf absurde Weise optisch.

Kurz nach der Französischen Revolution gab es tatsächlich mal eine kleine Gruppe rebellischer Frauen, welche die neue Freiheit am eigenen Körper spüren wollten und auf die luftabklemmende Verschnürung verzichteten - nur um wenig später ihr noch rigideres Comeback zu erleben. Zusammengefasst: Ob Walknochen, Metall oder Papier für die Modellierung eingesetzt wurden, immer war die Silhouette nichts anderes als die maximale Überzeichnung des weiblichen Körpers auf Kosten der Bewegungsfreiheit. Wie angenehm für die Herren! Um sich den verheerenden Effekt auf das körperliche und seelische Wohl von Frauen auszumalen, muss man sich nur die Röntgenaufnahmen in der Londoner Ausstellung anschauen: gebrochene Rippen, deformierte Organe. (Coco Chanel wäre bestimmt nicht halb so berühmt geworden, hätte sie die Frauen nicht endgültig vom Korsett befreit.)

Unterwäsche als süßes Überraschungsmoment

Was die Dekoration angeht: Erst im 19. Jahrhundert kamen zu den schlichten Leinen- und Baumwollmodellen auch Elemente aus Spitze hinzu, bald wurde Seide zum Hauptmaterial in den Boudoirs der wohlhabenden Damen. Das Konzept der Verführung war geboren: Unterwäsche als süßes Überraschungsmoment für die männlichen Financiers des goldenen Käfigs.

Und so ging das ja immer weiter! In den Fünfzigerjahren trugen Frauen Büstenhalter, die ihren Busen anspitzten, weil das in den Augen des Chefs eine Sekretärin doch erst zu einer Sekretärin machte. Erst in den Achtzigern stellten Designer wie Jean Paul Gaultier und Gianni Versace die richtige Frage, indem sie den BH und das Korsett zu eigenständigen Kleidungsstücken adelten - genauso wie die aus der Punk-Szene kommende Vivienne Westwood, die Dessous-Elemente offensiv blitzen ließ. Die Frage lautete: Wie viel Macht darf eine Frau über ihren eigenen Körper haben?

Allzu lange hielt die wäschepolitische Aufwallung freilich nicht an. Dass ausgerechnet Westwoods Sohn Joseph Corre 1994 das Dessous-Label "Agent Provocateur" gründete, das berühmt wurde für besonders aufreizende Strapse, passt ganz gut ins Bild: Unterwäsche scheint heute nur noch eine schöne Verpackung zu sein.

Klar gibt es zum Milliarden-Geschäft mit aufreizender Lingerie auch die Gegenbewegung. Den Klassiker Schiesser zum Beispiel: Baumwollhöschen und -Bustiers ohne Chichi. Oder das Label Neon Moon, das laut Claim "feminist underwear" anbietet - weitgehend dekorationsfreie Teile, die von den üblichen Konfektionsgrößen befreit wurden. Körbchengröße 70 A heißt bei Neon Moon "lovely", extrabreite Slips kauft man nicht in XL, sondern in "stunning". Das vereinfacht zwar die BH-Suche nicht, trifft aber den Nerv derer, die die Schnauze voll haben vom ewigen Diktat der Idealmaße.

Eine Frage der zugrundeliegenden Idee

Doch zurück zur Ausgangsfrage: Ist es unfeministisch, teure Spitze in Puderfarben und glänzende Satinseide zu tragen (die man von Hand waschen muss, als hätten Frauen heute nichts anderes zu tun)? Antwort: Es kommt auf das Motiv an. Unabhängige Frauen rüschen sich heute untendrunter nicht mehr auf, um sich dem Ehemann oder dem Lover im Bett als willige Kurtisane auszuliefern. Sie tun es aus Lust und Laune - weil sie es eben nicht mehr müssen. Und wenn man heute als Frau die Verantwortung auf den Schultern trägt, aber unter dem Business-Kostüm diese passive Tussi-Hilflosigkeit in Seiden- und Spitzenform, dann hat das nicht zuletzt auch etwas Tröstliches: die Schale ist hart, aber darunter liegt ein weicher Kern. Den Männern ist Unterwäsche mehrheitlich sowieso egal: Der Typ, der im Laden steht und die Körbchengröße seiner Frau mit einer auf Brusthöhe ausschweifenden Handbewegung zu definieren versucht, dazu "Rot" murmelnd: der macht das nicht für sich, sondern meist aus einer Notlage heraus, noch fünf Stunden bis Heiligabend.

Die Industrie hat das Schlachtfeld derweil längst neu verortet, sie verlagert es vom Körper weg, hin auf das, was er produziert. Schamhaare! Menstruationsblut! Geruch! All das, möchte uns die Industrie einreden, ist bäh. Die Message lautet: Du tropfst die ganze Zeit, Baby! Schäm dich, du brauchst Slipeinlagen mit Erdbeerduft! Unterwäsche soll uns also auch in Zukunft optimieren: Der Trend geht zu Hightech-Materialien, die Performance-steigernd wirken, Medikamente an unseren Körper abgeben und Bio-Daten aufnehmen sowie zu Dessous, die mittels einer chemischen Zusammensetzung Pupsgeruch neutralisieren (gibt es tatsächlich schon, von der britischen Firma Shreddies).

Madonna hatte also wieder mal recht: Frauen sind niemals gut genug, egal wie dick, dünn, jung oder alt sie sind. Nur hätte sie auf dem roten Teppich besser einen fahren lassen sollen, anstatt im Boudoir-Look für Frauenrechte zu kämpfen. Die sündige Spitze ist, seit wir sie selbst finanzieren, schon lange nicht mehr das Problem.

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