Umsätze brechen ein:Kaugummikauen ist geschmacklos geworden

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Erst mal richtig ankauen, dann klappt es mit der optimalen Blasenbildung. Besonders gut geht das mit jenen Marken, die viel Zucker enthalten. (Foto: plainpicture/Cavan Images)

Früher war es cool, Kaugummi zu kauen. Heute gilt das klebstoffbedingte Schmatzen in der Öffentlichkeit als eher unfein. Die Geschichte einer geplatzten Blase.

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Youtube ist ja nicht nur für das Gucken von Schminktipps und Katzenvideos ein Segen, man kann dort auch wunderbar nach alten Werbespots stöbern, von denen die jüngere Generation sonst nicht glauben würde, dass sie so tatsächlich über den Äther gelaufen sind.

In den Achtzigerjahren waren im Fernsehen zum Beispiel ständig Menschen zu sehen, die eine ampelgroße Kaugummipackung durch die Gegend trugen. Sie spazierten damit so selbstverständlich umher, als hätten sie ein extracooles Surfbrett unter dem Arm, und die Packung, das war deutlich zu sehen, machte sie dermaßen glücklich und beschwingt, dass sie so verrückte Dinge taten wie der Partnerin im Vorbeigehen das Regenwasser von einer Markise vor die Füße zu schütten. Untermalt wurde das Ganze von einem maximal deskriptiven Jingle: "Nimm die große echte Frische!", schmetterte ein Chor a cappella. "Alles geht frischer mit Wrigley's Spearmint. Du hast es immer dabei, es macht dich frisch und frei." Gekrönt von einem dreifachen "Gum, Gum, Gum."

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Damals schien die große Frische grenzenlos zu sein, aber etwas ist mit ihr passiert in den vergangenen Jahren. Entweder ist sie nicht mehr ganz so groß oder nicht mehr ganz so frisch. In Deutschland, aber auch in Italien brach der Verkauf seit 2012 deutlich ein, im Mutterland USA verloren die Hersteller 15 Prozent. Tendenz: weiter fallend.

Womöglich wird die Frische einfach nicht mehr ganz so dringend gebraucht. Die "Heavy User" dieses Produkts sind ja bis heute oft Raucher, die ihren Atem aufbessern wollen oder einen Placebo für zwischendurch benötigen. Carlo Ancelotti, ehemaliger FC-Bayern-Trainer und Kettenraucher, bekannte einmal, er würde pro Spiel so an die 13, 14 Stück verbrauchen, weshalb die tz einmal ein sehr lustiges Interview mit seinem Kaugummi veröffentlichte, der über Ancelotti sagte: "Man merkt schon, dass er taktisch sehr versiert ist. Er variiert das Tempo, er verschiebt blitzschnell von links nach rechts. (...) Manchmal denkt man sich schon: Au Backe, wo will er denn jetzt schon wieder hin?"

Irgendwann Ende der Neunzigerjahre kam außerdem heraus, dass diese klebrige Kunststoffmasse auch deshalb so gut schmeckte, weil sie - Überraschung - jede Menge Zucker enthielt. Der quaderförmige Hubba Bubba kommt in der Geschmacksrichtung "Crazy Cherry" bei 100 Gramm angeblich immer noch auf 71 Gramm Zucker - dafür sind allerdings auch spektakuläre Blasen garantiert. Es war natürlich eine folgenschwere Entdeckung, dass man da nicht auf purer Minze und verrückter Kirsche, sondern auf dem Geschmacksverstärker schlechthin herumkaute und sich dabei womöglich ordentlich Karies einfing. Der Weltmarktführer Wrigley's erweiterte sein Angebot zwar mit Orbit und Extra erfolgreich auf zuckerfreie und "Zahnpflege-Kaugummis". Trotzdem hatte das saubere Image gelitten. Heute können die Hersteller gar nicht genug darauf hinweisen, dass ihre Produkte zuckerfrei sind und den Zahnschmelz härter und robuster machen.

Womöglich zeigt der Umsatzrückgang aber vor allem eines: Kaugummi kauen ist irgendwie geschmacklos geworden, das klebstoffbedingte Schmatzen in der Öffentlichkeit gilt als unfein. Konnte das laszive Kreisenlassen des Unterkiefers früher durchaus sexy rüberkommen, wirkt es in einer zunehmend antiseptischen Gesellschaft eher wie eine Zumutung. Online darf alles Mögliche geteilt werden, offline bitte nicht. Vor allem Jugendliche, so heißt es in dem Euromonitor-Bericht, können mit Kaugummis wenig anfangen. Zumal die Dinger ja immer schon eine etwas unappetitliche Seite hatten, wenn es um die Entsorgung geht. Ausspucken, wenn gerade keiner hinschaut, oder dezent ins Papier kleben und wegwerfen? Alles eine Frage des Stils, von kleben und kleben lassen. In Amerika nennt man die Maschinen, mit denen man versucht, die gräulichen Fladen von Gehwegen und Laternen zu entfernen, übrigens "Gumbusters".

Das Kaugewerbe ist im Grunde uralt, schon in der Steinzeit haben die Menschen auf irgendwelchen Harzen herumgebissen - um den Hunger zu unterdrücken oder um ein wenig Zahnhygiene zu betreiben. Später wurden Kautschuk, Harz und Milchsaft südamerikanischer Bäume zu Kaugummi-Masse verarbeitet. Ein Pionier der Industrie war der amerikanische Seifenfabrikant William Wrigley, der Ende des 19. Jahrhunderts dem neuen "Chewing Gum" Minze zufügte. Diese Streifen legte er als Beilage anderen Bestellungen bei, was so gut funktionierte, dass er schließlich nur noch Kaugummi produzierte: Wrigley's Spearmint und Juicy Fruit. 1915 schickte er Kostproben an alle im amerikanischen Telefonbuch enthaltenen Haushalte sowie zum zweiten Geburtstag jedes amerikanischen Babys. Herrliche Vorstellung, was bei so einer Werbeaktion heute in einem Bezirk wie Prenzlauer Berg los wäre.

Wer jetzt noch frischen Atem braucht, nimmt kleine Pfefferminz-Pastillen

Nach Europa kamen die Streifen vor allem durch die dort stationierten Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg, die sie an die Kinder verteilten. "Gum" hatte also eine durch und durch amerikanische Note und war schon allein deshalb cool. Gekaut wurde entsprechend großspurig, gewissermaßen mit amerikanischem Akzent. Aber das alles ist als Vorbild ja auch eher rückläufig.

Was hängen bleiben wird: die Szene aus "Einer flog über das Kuckucksnest", einer der rührendsten Kaugummi-Momente aller Zeiten. Jack Nicholson gibt dem "Häuptling", seinem taubstummen Mitpatienten in der psychiatrischen Klinik, einen in Aluminium verpackten Streifen, woraufhin der mit einem genüsslich brummenden "Mhhmm ... Juicy Fruit", zum ersten Mal offenbart, dass er entgegen allen Erwartungen durchaus sprechen und hören kann. Kaugummi verband die Menschen irgendwie, die Packung lud geradezu zum Teilen ein - vor allem, wenn es sonst nichts zu tun gab und man Zeit im Überfluss hatte.

Das ist womöglich noch so ein Punkt: Wir sind kaum noch gelangweilt, sondern stets vollbeschäftigt, im Zweifelsfall mit unserem Smartphone. Wer jetzt noch frischen Atem braucht, nimmt kleine Pfefferminz-Pastillen. Deren Umsätze sind in Amerika deutlich gestiegen, die Leute lutschen lieber statt zu kauen. Die alten Kaugummi-Automaten, früher eine ständige Verheißung an jeder Straßenecke, wirken heute wie aus der Zeit gefallen: Erinnerungen an eine Zeit, als Kaugummikauen noch Spaß machen durfte.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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