Transgendering in der Modewelt:Spiel mit den Geschlechtern

Eine Dessous-Kampagne ist normalerweise eher sexy als befremdlich. Auf den Werbefotos des spanischen Wäschelabels Jane Pain allerdings wurden die weiblichen Genitalien der Models wegretuschiert. Übrig bleibt weder Mann noch Frau.

Nadine Himmelsbach

Mode provoziert seit jeher, indem sie mit etablierten gesellschaftlichen Normen spielt. Aktuell ist es das Spiel mit den Geschlechtern. Auf den Laufstegen in Mailand, Paris und New York laufen androgyne Models, die sowohl Männer- als auch Frauenmode präsentieren.

Jane Pain

Die aktuelle Kampagne Lomo des spanischen Unterwäschelabels Jane Pain.

(Foto: Natasha Ygel)

Als androgyn werden Menschen bezeichnet, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen. Die Looks der neunziger Jahre ließen Männer eher weiblich aussehen und die Frauen eher männlich, beide aber auf eine sehr jugendliche, wenn nicht sogar kindliche Weise. Die Kindfrau Kate Moss ist wohl das bekannteste Gesicht dieser Zeit.

Heute bedeutet Androgynität auf dem Laufsteg eine herausfordernde Unbestimmheit und hat eine neue Dimension erreicht: Die Mode wird jetzt vollends geschlechtslos, die beiden Geschlechter fließen in einem zusammen.

Zu beobachten ist diese Entwicklung in der aktuellen Kampagne Lomo des spanischen Lingerie-Herstellers Jane Pain. Die Bilder zeigen Damen in aufreizender Unterwäsche und noch aufreizenderen Posen: Sie liegen mit gespreizten Beinen auf Bett oder Fußboden. Die Arbeiten der Fotografin Natasha Ygel zeigen so alles - und doch nichts. Denn die Fotos wurden zerschnitten und schief wieder zusammen gefügt, so dass die unbedeckten Genitalien vollkommen verschwinden. Selbst die Brustwarzen sind retuschiert.

Das Motto der Kampagne lautet: "Alles was du nicht sehen kannst, ist was du sehen willst." Aber möchte man stattdessen unnatürlich deformierte Körper sehen, bei denen die Hälfte des Beckens fehlt, oder ein Bein seltsam absteht? Fotografin Ygel jedenfalls gewann damit, kurz nachdem sie die Fotos veröffentlichte, den diesjährigen argentinischen Werbepreis "Lapiz de Oro" beim "Grand Prix de Bronce Clarín".

Dass die Auflösung des Geschlechts nicht nur mit Photoshop, sondern auch am eigenen Körper machbar ist, zeigt das Model Lea Tisci aus Brasilien. Tisci wurde als Leonardo geboren bevor, sie sich zu einer Geschlechtsumwandlung entschloss. Als erstes transsexuelles Model auf dem Cover der Elle machte sie sich einen Namen. Auf dem Titelblatt des Modemagazins Love reizte sie indes nicht mehr mit ihrer Metamorphose, sondern mit purer Weiblichkeit: Ein inniger Kuss zwischen Tisci und Supermodel Kate Moss zierte das Cover und sorgte für Schlagzeilen.

Schon länger bewegt der Geschlechterwechsel die Mode. Unter anderem legte sich Marlene Dietrich in den dreißiger Jahren unerhört männliche Attribute zu: Sie mischte weibliche und männliche Modeelemente, trug Smoking und Zylinder und fiel durch ihr "unziemliches" Hosentragen auf. Dafür ist sie im Modelexikon mit der "Marlene-Dietrich-Hose" verewigt.

Heute brechen auch Männer mit ihrer konventionellen Rolle, allen voran das Model Andrej Pejic. Der Australier sorgte bei der Pariser Fashion Week 2011 für Aufsehen. Bei der Schau des Designers Jean Paul Gaultier präsentierte er das Brautkleid, welches den Höhepunkt jeder Show darstellt. Sein androgynes Aussehen verwirrte und überraschte gleichzeitig. Inzwischen ist der 21-Jährige hochbezahlt und verkörpert auf dem Laufsteg sowohl Männlichkeit als auch Weiblichkeit. "Damenmode ist viel anspruchsvoller. Es kommt darauf an, wie man schreitet, wie man sich bewegt. Bei Männer-Shows muss man einfach nur loslaufen", sagt Pejic. Zuletzt warb er sogar für einen Push-up-BH. "Als Frau bin ich sexy, als Mann schlicht", beschreibt er sich selbst.

Gaultier liebt das Spiel mit Frauen- und Männerbildern. Er lässt seine männlichen Models nicht nur weiblich aussehen, sondern seine weiblichen Models auch männlich. So wie Raquel Zimmermann, die für ihn bereits 2009 in einer Kampagne sowohl als Mann als auch als Frau posierte.

Und Pejic ist nicht der einzige "Femiman" der Modewelt. Konkurrenz bekommt er unter anderem von Stav Strashko. Dieser bricht ein weiteres Tabu der Modebranche: Die Vorstellung, nur Frauen könnten in Unterwäsche für Autos werben. In einem Toyota-Werbespot, der nur in Japan ausgestrahlt wird, zeigt er, wie sexy-weiblich ein Mann sein kann. Das ukrainische Model trägt dabei nur einen roten Slip und eine Lederjacke, die er lasziv zu Boden wirft. Erst am Ende des Clips wird er als Mann erkennbar.

Von einer Voraussetzung rückt die sonst so wandlungsfähige Modebranche aber bei all den Geschlechterspielen nicht ab: Size Zero scheint Pflicht zu bleiben. Die männlichen Models, die mit ihrer Androgynität Karriere machen, sind genauso dünn wie ihre Kolleginnen. Die "Femimen" können sogar noch schlanker sein, denn ihre Hüften sind schmaler als die einer Frau. Damit wird der fragwürdige Magerwahn sogar noch für die Modewelt optimiert - und die männliche Figur könnte zur allgemeingültigen perfektionierten Körperform der nahen Zukunft werden.

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