Oktoberfest 2016:Designer-Dirndl - zu teuer für die Bierdusche

Oktoberfest 2016: Im Bild mittig: Mit Rüschenblende, Karree-Ausschnitt und Seidenschürze: das "Wiesn und Wasen"-Dirndl von Boss. Links ein Dirndl von Hilfiger und rechts ein Riani-Dirndl.

Im Bild mittig: Mit Rüschenblende, Karree-Ausschnitt und Seidenschürze: das "Wiesn und Wasen"-Dirndl von Boss. Links ein Dirndl von Hilfiger und rechts ein Riani-Dirndl.

(Foto: Martin Moser; Hersteller; SZ)

Dirndl und Wiesn-Accessoires gibt es längst auch von Luxusmarken. Aber wer braucht eigentlich Designer-Dirndl?

Von Dennis Braatz

Was hat das Dirndl in den letzten Jahren nicht alles schon für Trends durchmachen müssen: Erst trugen es It-Girls und DJanes minikurz, dann klebten Spielerfrauen Strass, Federn und Totenköpfe drauf. Es gab Billig-Versionen aus knisterndem Polyester von Tchibo und Kik. Unter Modeleuten und Kunstlehrerinnen waren eine Zeit lang mal Dirndl aus bunt-gemusterten Afrika-Stoffen extrem angesagt. Nicht zu vergessen die Thomas-Sabo-Fraktion, die in weißen und schwarzen Spitzenschürzen mit Brezn- und Masskrugcharms am Handgelenk klimperte.

So gesehen ist das, was nun fürs Oktoberfest auf uns zukommt, ein stilistischer Hochgenuss, zumindest auf den ersten Blick: Noch nie war die Dichte namhafter Designer mit eigenen Dirndln so hoch. Tommy Hilfiger, eigentlich amerikanischer Spezialist für Sportswear, bietet gleich mehrere Modelle sowie Strickjacken und Blusen an. Wie schon in den letzten Jahren ist auch Hugo Boss wieder angetreten, dieses Mal mit einem roséfarbenen Brokatmuster. Steffen Schraut setzt bei seiner Interpretation zwar nach wie vor auf die Spitzenschürze, hält sie aber Ton in Ton mit dem Rest des warmgrauen oder blauen Dirndls.

Zwei Dirndl

wurden vergangenes Jahr im Fundbüro des Münchner Oktoberfests abgegeben. Unter den insgesamt 2948 Fundstücken waren übrigens auch exakt zwei Lederhosen.

Trachten und die große Modewelt haben eigentlich nicht besonders viel miteinander zu tun. Außer dass Designer wie Karl Lagerfeld, der 2013 übrigens auch schon ein eigenes Dirndl entworfen hat, gewisse Dinge wie das Mieder oder den Janker durchaus ab und zu auf dem Laufsteg zitieren. Davon abgesehen war das Dirndl eigentlich mal bäuerliche Arbeitskleidung, es wurde zum Teil sogar aus alten Tischdecken zusammengenäht.

Second Hand wird immer beliebter

Die originale Tracht sieht man fast nur noch auf dem Trachtenumzug zu Beginn des Oktoberfests. Unter Kennern gibt es deshalb auch nur zwei wirklich stilvolle Wege, um an ein Dirndl (oder eine Lederhose) zu kommen: Entweder man bekommt eines vererbt, oder man gibt es beim alteingesessenen Schneider in Auftrag. Second Hand wird immer beliebter. Wer zugezogen oder Tourist ist, läuft dagegen, seien wir ehrlich, zu den Angermaiers um die Ecke oder ins Dirndl-Outlet an der Autobahnausfahrt, wo die Stangenware nicht viel kostet und optisch halbwegs durchgeht.

Den Trend zum hochpreisigen Markendirndl meldete der Einzelhandel schon vor zwei Jahren. Damals hatte der von der Jahrtausendwende ausgelöste Traditionsboom seinen Höhepunkt erreicht, das Geschäft mit den günstigen Einstiegsmodellen lief schlechter. Jeder hatte schließlich bereits ein Dirndl im Schrank. Händler wie Kunden suchten nach etwas Neuem, und wer nicht zu den bereits erwähnten Geschmacksverirrungen greifen wollte, bediente sich bei Trachten-Newcomern wie Julia Trentini. Oder ließ es einfach ganz bleiben.

Schließlich will nicht jede Frau 300 Euro und mehr zahlen für ein Kleid, das sie nur zwei- bis dreimal im Jahr trägt, immer in der Gefahr, Opfer einer Bierdusche zu werden. Das Boss-Dirndl kostet übrigens fast das Doppelte und man zählt inzwischen tatsächlich wieder mehr Oktoberfest-Besucher in Bluejeans und T-Shirt.

Was sich eine bekannte Marke ohne Trachtenbezug vom Oktoberfestgeschäft erhofft, ist in erster Linie Image und PR. Zu einem Großevent ein bisschen Merchandising anzubieten ist dafür ein bewährtes Mittel; siehe etwa auch all die Fansocken, Sonnenbrillen und sogar Luxusuhren zu den Olympischen Spielen.

"Festlich, fesch und feminin"

Beim größten Volksfest der Welt kommen die vielen prominenten Gäste hinzu, die später die Klatschspalten und Bildergalerien im Internet füllen. Sie gehen längst über die C-Kategorie hinaus und haben immer öfter internationale Strahlkraft (Kim Kardashian war ja auch schon mal da). Die Wiesn ist eben auch ein roter Teppich, und um darauf richtig angezogen zu sein, greifen Stars am liebsten zu großen Namen.

Für die Durchschnittskundin sieht so ein Dirndl nicht anders aus als all die anderen. Das Boss-Dirndl zum Beispiel ist durch und durch zuckrig-süß mit seinem dezenten Muster und der Schürze aus schimmernder Seide. Im Online-Shop wird es beschrieben als "festlich, fesch und feminin". Mit der stilistischen DNA der Marke hat das nichts zu tun.

Boss bedeutet in erster Linie immer noch Business. Jetzt ist natürlich die Frage, ob ein Nadelstreifen-Dirndl eleganter gewesen wäre. Origineller wäre es in jedem Fall gewesen. In Tommy Hilfigers Entwürfen erkennt man wenigstens seine typische Farbwelt, nämlich Rot, Weiß und Blau.

Womit wir bei den Herstellern wären, die das Fest in München ein wenig bewusster thematisieren. Es sind die Marken, die ihre Finger gleich vom Dirndl lassen und sich auf das konzentrieren, was sie am besten können. Allude und Iris von Arnim etwa liefern Strickteile, Pullover mit Rüschenärmeln oder Jacken mit Blumenmustern. Jimmy Choo hat Samtschuhe im Programm.

Von Falke kommen Rippsöckchen mit kleinen Bommeln. Sogar ein italienischer Luxusriese leistet in diesem Jahr seinen Beitrag: Fendi verkauft eine auf 20 Stück limitierte Taschenkollektion. Die Baguette, der Fendi-Klassiker schlechthin, gibt es in vier verschiedenen Varianten, zum Beispiel mit weißen und blauen Rauten. Seit Wochen sind alle vorbestellt.

Solche Teile lassen sich zum Dirndl kombinieren, aber eben auch zu Jeans und T-Shirt, wenn das Wiesn-Outfit einfach nur ein bisschen trachteln soll. Dem strengen Ur-Münchner dürften diese dezenten Accessoires besser gefallen als die künstlich bajuwarisierenden Frontal-Dirndln. Und für die Kundinnen gibt es dabei noch einen Vorteil: Die teuren Designerstücke mit München-Twist können auch noch ausgeführt werden, wenn die Bierzelte wieder abgebaut sind.

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