Terrazzo-Muster:Bunter Konfettihimmel oder kunstvoll Erbrochenes

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Unregelmäßiges Steinmuster als Tasche: die Terrazzo-Tote-Bag von Ferm Living. (Foto: PR)

Das Terrazzo-Muster hat sich vom Boden aus verbreitet und ist heute allgegenwärtig: auf Taschen, Schuhen, Smartphones. Das sagt viel über unseren Zeitgeist.

Von Max Scharnigg

Statt von einem Trend sollte man im Falle des Terrazzo eigentlich besser von einem neuen Kapitel in einer unendlichen Geschichte sprechen. Denn das Prinzip Terrazzo begleitet die Menschheit quasi von Anfang an: Bei Ausgrabungen wurde in Anatolien ein Kalkboden mit kunstvoll eingelegten Steinen gefunden, dessen Entstehung Forscher auf 7000 v. Christus schätzten - mittlere Steinzeit!

Seitdem hat der geschliffene Boden mit den unregelmäßigen Einsprengseln regelmäßige Comebacks erlebt. Die Römer mochten ihn, weil er so robust war, die Venezianer machten aus dem Bodenbelag bis zum 18. Jahrhundert ein aufwendiges Kunsthandwerk. Es dauerte damals Monate, bis die gewünschte Oberfläche mit der Hand erschliffen war. Schließlich wurde der wesentlich schnellere Zementterrazzo in den Fünfzigerjahren Zweckbelag in vielen Treppenhäusern und Empfangshallen von Behörden. Von dort retteten ihn die wilden Memphis Designer rund um Ettore Sottsass mit ihren Remixen in den Achtzigerjahren und machten ihn sozusagen wieder ästhetisch satisfaktionsfähig.

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Die Praxis-Vorteile des Bodens sind dabei immer gleich geblieben: Der Estrich (meist auf Kalk-, Zement- oder Magnesitbasis) als Matrix lässt sich auch in knifflige Grundrisse fugenlos gießen, das Material für die Einlage kann aus billigem Bruchstein oder Kieseln, in Mustern oder monochrom, eng mit großen Marmorstücken oder sehr lose mit farbigen Glassplittern gestaltet sein und individuell an den Ort angepasst werden. Wichtig ist, dass sich der ausgehärtete Materialmix dann gut schleifen lässt, um am Ende schließlich jenen speziellen, polierten Charme zu bekommen: Als wäre in der Antike eine Tüte mit Gummibärchen geplatzt und der Inhalt hätte sich, wie man so sagt, festgetreten.

Als wäre in der Antike eine Tüte Gummibärchen geplatzt

Neu ist tatsächlich, dass sich das Terrazzo-Muster in den letzten Jahren vom Boden auf alle Lebensbereiche ausgewachsen hat. Zunächst erachteten um das Jahr 2015 herum Mode-Avantgardisten wie die Labels Acne oder Maison Kitsuné das unruhige Retro-Muster wohl als passend zu ihrer eigenen Retro-Unruhe und kleideten erst ihre Boutiquen damit aus, später dann auch ihre Kunden damit ein. Schuhe, Taschen und Sweatshirts sahen danach einen Sommer lang aus wie mit bunten Schnipseln willkürlich paniert. Davon ausgehend verbreitete sich der Terrazzo-Hype über nahezu alle Wohnaccessoires, von Duschvorhängen (z.B. bei Junique), über Möbel (Max Lamb, Hay) bis hin zu iPhone-Hüllen, sodass man heute in angesagten Department Stores auf die unterschiedlichsten Konglomerat-Dessins treffen kann, die alle irgendwie Terrazzo sind.

Dabei macht das Muster jenseits von Boden und Estrich eigentlich nicht viel Sinn, das Wort kommt vom italienischen terrazzare, was abstufen oder einebnen bedeutet und sich auf den Vorgang des Abschleifens und haptischen Verschmelzens der unterschiedlichen Materialien bezieht. Auf einem Duschvorhang ist es einfach nur ein Muster, das mit den unterschiedlichen Größen und Formen seiner Partikel spielt und mal an einen bunten Konfettihimmel erinnert, mal an kunstvoll Erbrochenes.

Irgendwie scheint der immer zufällig und spontan wirkende Charakter des Terrazzo aber ganz gut zum Zeitgeist zu passen. Es ist improvisiert, nicht festgelegt, lässt sich je nach Stimmung als kitzelnde Abwechslung oder homogenes Geflitter betrachten. Und es ist als Muster nun mal im wahrsten Sinne zerstreut, wer könnte sich damit nicht identifizieren!

Dass aber nicht nur die Optik, sondern auch die Terrazzo-Böden selbst neu entdeckt werden können, beweist die niederländische Hightech-Firma Aectual. Auf dem Flughafen Schipohl hat sie gerade mit einem großen Roboterarm einen Terrazzoboden mit einer Methode verlegt, die vom 3-D-Druck inspiriert wurde. Ermüdungsfrei verteilt der Roboter dabei Granit- oder Marmorgranulat auf beliebigen Flächen, gestaltet Geometrien und Muster und schleift am Ende - Steinzeit trifft Zukunft.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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