Superfoods:Kale, Matcha, Gerstengras - Superfoods im Realitätscheck

Superfoods: Sollen super sein: Goji-Beeren, Grünkohl, Chia-Samen-Shake, Macha-Tee und Algen-Drink. Illustration: Bianca Classen

Sollen super sein: Goji-Beeren, Grünkohl, Chia-Samen-Shake, Macha-Tee und Algen-Drink. Illustration: Bianca Classen

Im Trend liegt, was als gesund gilt. Wir haben bei ein paar Mode-Produkten mal nachgeschmeckt

Von SZ-Autoren

Zehn Gebote? Lächerlich, den modernen Sünder konfrontiert das Leben mit Tausenden Geboten. Mehr Bewegung! Kein Alkohol! Und gefälligst gesund ernähren. Das Paradies? Das ist heute ziemlich diesseitig und nennt sich individuelles Wohlbefinden. Der Zugang zu diesem Paradies ist hart und exklusiv. Denn zuverlässig gibt der schwache Geist der Sünder den teuflischsten Verlockungen nach: Zucker, Fleisch, Weizen oder ein anderes aktuell verfemtes Lebensmittel.

Als Ablass kauft er dann sündteures "Superfood" - mit diesem Label wird eine längst unüberschaubare Zahl an Lebensmitteln vermarktet, die angeblich irre gesund sind. Kochbücher bedienen den Trend gerade mit einer Titel-Flut, Biomärkte erweitern ihr Superfood-Angebot, Imbisse verlegen sich auf Shakes und Körner, ja sogar auf braven Wochenmärkten knallen Händler neuerdings Goji-Beeren und Spirulina-Algen neben ihre "Linda"-Kartoffeln. Denn Superfood-Produkte bersten angeblich vor Nährstoffen.

Und die damit verbundenen Heilsversprechen sind enorm: Sie sollen Krebs bekämpfen, vor Alzheimer schützen, rosige Haut verleihen, kurzum: sehr, sehr gesund machen. Vor allem aber ist Superfood sehr, sehr teuer. Die Industrie hat nämlich schon in den Achtzigerjahren begriffen, dass Gesundheitsversprechen besonders hohe Profite garantieren. Bewiesen ist die Wirkung leider selten, und auch der Geschmack bleibt immer öfter auf der Strecke. Wir haben uns neun derzeit besonders heftig vermarktete Produkte genauer angesehen.

Gerstengras

Das Heilsversprechen: Der Mythos ums Gerstengras beruft sich im Wesentlichen auf die Forschungen des Japaners Yoshihide Hagiwara, der herausfand: Kein von ihm untersuchtes Lebensmittel enthält mehr Chlorophyll, Enzyme, Vitamine, Mineralien, Bioflavonoide und Spurenelemente. Im Salat oder als Saft gepresst soll das Gras wahre Wunder bewirken: Angeblich hilft es beim Zellaufbau und bei der Ausscheidung krebserregender Giftstoffe. Außerdem soll es das Herz-Kreislaufsystem unterstützen und die Konzentration von ADHS-Kindern fördern.

Superfoods: Angeblich hilft Gerstengras beim Zellaufbau und bei der Ausscheidung krebserregender Giftstoffe. Illustration: Bianca Classen

Angeblich hilft Gerstengras beim Zellaufbau und bei der Ausscheidung krebserregender Giftstoffe. Illustration: Bianca Classen

Die Realität: Umsichtigerweise kam nach Abschluss aller Untersuchungen bald der "Original-Bio-Gerstengrassaft Dr. Haigiwara" auf den Markt. Man kann sich die Gerste aber auch selbst ziehen. Hersteller entsprechender Pulver empfehlen, diese morgens in Wasser gerührt zu trinken. Geschmacklich erinnert das an eine bemooste Terrassenfuge nach einem Juniregen. Der Nährstoffgehalt von Gerstengras ist unbestritten, weshalb man es seit Langem in der Tiermast einsetzt, den Rindern muss es prächtig gehen. Dummerweise wurde die Gesundheitswirkung, etwa gegen Krebszellen, nur im Reagenzglas getestet.Klinische Studien gibt es nicht.

Spirulina

Das Heilsversprechen: Spirulina ist eine Gattung der Cyanobakterien, besser bekannt als Blaualgen. Flamingos ernähren sich davon, neuerdings auch Models wie Miranda Kerr. Grünes Algenpulver wird gerne in Smoothies gemixt und in Salate gestreut. Vogelfutter für Menschen? Bewirkt laut Werbung von Nahrungsergänzungsmittel-Herstellern Fantastisches: Spirulina-Konzentrat sei "das vitalstoffreichste Lebensmittel der Welt", es enthalte eine "große Vielzahl an Mineralien, Spurenelementen und Vitaminen" und sorge für "mentale Klarheit, Energie und Konzentration". Die Algen-Präparate sollen als Anti-Aging-Mittel wirken, die Immunabwehr stärken, für gesunde Haut sorgen und sogar gegen Krebs und HIV helfen.

Die Realität: Das Pulver schmeckt fischig bis grasig. Bei seriösen Tests kam heraus, dass Blaualgen vielleicht für Flamingos ideal sind, aber für Menschen nicht unbedingt. Der Protein-Anteil mag hoch sein, um aber eine Wirkung zu erreichen, müsste man das grüne Zeug wohl kiloweise vertilgen. Davon ist aus verschiedenen Gründen abzuraten. Ob die Zufuhr von Vitaminpräparaten dem Körper nicht eher schadet als nützt, ist umstritten. Die WHO hat die Algenpräparate als potenziell krebserregend eingestuft. Die Stiftung Warentest fand in Nahrungsergänzungsmitteln wie Spirulina giftige Stoffe, die Leber, Nieren und Gehirn schädigen können.

Eine Wunder-Beere gegen Krebs

Goji-Beeren

Das Heilsversprechen: Goji-Beeren dürfen als eine Art Ur-Superfood gelten, so lange geistern die Früchte durch gesundheitsbewegte Kreise. Die Vermarktungsgeschichte ist prototypisch. Einst aßen die Menschen des fernen Ostens (je nach Version in Tibet oder im Himalaja) die Beeren und erlangten so Zufriedenheit, Gesundheit, spirituelle Höhen und enormes Alter. Mit Zutaten wie diesen lässt sich leicht ein vermeintlich unverdorbener Gegenentwurf zum vermeintlich so verdorbenen Leben in den westlichen Industriestaaten zusammenrühren. Die Goji-Beere soll gegen Krebs wirken, Diabetes bekämpfen, Bluthochdruck senken und die sexuelle Energie der Goji-Esser aufladen. Wer sagt da Nein, selbst wenn ein Beutel Schrumpelbeeren gerne 30 Euro kostet?

Superfoods: Die Goji-Beere hat auch einen deutschen Namen: Gemeiner Bocksdorn.

Die Goji-Beere hat auch einen deutschen Namen: Gemeiner Bocksdorn.

Die Realität: Die Goji-Beere hat auch einen deutschen Namen. Allein das lässt die Superfood-Seifenblase platzen. Gemeiner Bocksdorn heißt das Gewächs, an dem die verherrlichten Beeren wachsen. Das klingt eher nach Darmspiegelung als nach Wohlbefinden. Schlecht fürs Marketing. Das Heilsversprechen? Studien dazu sind so wertlos, dass sie zu einem PapierSmoothie zerschreddert werden sollten.

Chia-Samen

Das Heilsversprechen: Bei Chia-Samen hat die wissenschaftlich verbrämte Info zur 250-Gramm-Tüte heute den Umfang einer Proseminararbeit. Kein Wunder, dass alte lateinamerikanische Krieger aus den Samen der Salbeiart Energie schöpften! Die Wohltaten dieser Saat des Guten wollen kein Ende nehmen: zehnmal mehr Omega-3-Fettsäuren als Lachs, Antioxidantien, Ballaststoffe, Vitamine, Proteine, Mineralien und Aminosäuren in jeder Superfaser. Das soll blutverdünnend wirken und Infarktrisiko wie Cholesterinspiegel senken, um nur einiges zu nennen. Praktisch: Nebenbei soll die stark quellende Saat beim Abnehmen helfen.

Die Realität: Chia-Samen erinnern an Mohn und passen in Smoothies oder Müsli. Vorteil: Ein Shake gewinnt nach kurzem Quellen stark an Körper und wird so zu einer Art Mahlzeit. Nachteil: das Mundgefühl. In etwa so muss sich der Laich der Kolumbianischen Riesenkröte auf der Zunge anfühlen! Beruhigend: Die Samen sind fast geschmacksneutral, und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat ihre begrenzte Verwendung für Brot schon länger als unbedenklich eingestuft. Ihre Wirkung ist wissenschaftlich nicht abschließend beurteilt. Immerhin: Manche Forscher attestieren Chia-Samen einen ähnlichen Nährstoffgehalt wie der um ein Vielfaches günstigeren Leinsaat.

Mandelmilch

Das Heilsversprechen: Manchmal entsteht der Wunsch nach einer Alternative erst durch ein anständiges Horrorszenario. Wie bei der Mandelmilch: Das pflanzliche Getränk aus Wasser und Mandeln wird vor allem als Gegenprodukt zur Kuhmilch gepriesen. Und normale Milch gilt vielen Gesundheitsfans als erzböses Produkt schlechthin. Wer sich gruseln möchte, googelt kurz mal nach den Folgen verantwortungslosen Milchkonsums: Asthma, Atemwegsinfekte, Mittelohrentzündung - und das ist nur das Leidenspräludium. Dazu taucht die Warnung auf, Milch fördere Krebs, Alzheimer, Parkinson. Der angeblichen Bedrohung gehen Menschen gefühlt aus dem Weg, wenn sie Mandel- statt Kuhmilch trinken. Antioxidantien seien da drin und zwar nicht zu knapp, dafür fehle die böse Laktose, heißt es gern.

Superfoods: Mandelmilch wird vor allem als gesündere Alternative zur Kuhmilch angepriesen. Illustration: Bianca Classen

Mandelmilch wird vor allem als gesündere Alternative zur Kuhmilch angepriesen. Illustration: Bianca Classen

Die Realität: In der Wirklichkeit ereignen sich leider manchmal auch Katastrophen. Wie Anfang des Jahres in Spanien. Dort fütterte eine Mutter ihren Säugling nach dem Abstillen ausschließlich mit Mandelmilch. Im Alter von elf Monaten erkrankte das Baby an Skorbut. Die Krankheit entsteht durch einen akuten Vitamin-C-Mangel. Einst starben daran Seeleute, heute existiert die Krankheit in entwickelten Ländern nicht mehr, weil alle Menschen ausreichend mit Vitaminen versorgt sind. Außer ein Kleinkind wird ausschließlich mit einem einzigen Superfood ernährt.

Kokoswasser

Das Heilsversprechen: Wer viel Kokoswasser trinkt, halbiert sein optisches Alter, sein Gewicht und den inneren Schweinehund. Könnte man zumindest meinen, will man dem Gerücht glauben, dass Sängerin Madonna (57, optisch 28,5 Jahre) eigentlich nichts anderes trinkt und bei einem amerikanischen Produzenten Millionen in diesen Jungbrunnen investiert haben soll. Unter weiblichen Stars und Models hat die Kokoswasser-Tüte den obligatorischen Coffee-to-go-Becher abgelöst.

Superfoods: Kokoswasser aus der Tüte schmeckt je nach Hersteller süßlich, säuerlich, schlimmstenfalls modrig - aber nie so gut wie frisch von der Palme.

Kokoswasser aus der Tüte schmeckt je nach Hersteller süßlich, säuerlich, schlimmstenfalls modrig - aber nie so gut wie frisch von der Palme.

Die Realität: Schmeckt je nach Hersteller süßlich, säuerlich, schlimmstenfalls modrig, und nie so gut wie frisch von der Palme. Eine US-Studie belegt, dass der Drink vor allem wegen seines hohen Kaliumgehalts mit anderen (oft günstigeren) Sportgetränken mithalten kann. Der Gehalt an Kalzium, Magnesium und Natrium ist eher mit dem von (viel günstigerem) Mineralwasser zu vergleichen, der an Eiweiß und Vitaminen zu vernachlässigen. Dass Kokoswasser den Stoffwechsel anregt, ist nicht belegt. Und derweil noch untersucht wird, ob ein darin enthaltenes Pflanzenhormon Zellen schützt und die optische Alterung verlangsamen kann, drängt schon neues Wunderwasser ins Sortiment: Birkenwasser. Fehlt nur noch ein Star, der angeblich kaum etwas anderes trinkt.

Grünkohl als Ernährungsoffenbarung

Kale

Das Heilsversprechen: Eigentlich ist Grünkohl (mit Speck und Wurst) deftige deutsche Hausmannskost und Schnaps-Grundlage. Als "Kale" gilt das Wintergemüse aber nun als Ernährungsoffenbarung. In den USA ist der Trend fast schon alt, nun hat er deutsche Supermärkte erreicht. In Ampullen, Smoothies, Pulvern und Suppen soll Kohl gegen Übergewicht, Krebs, Diabetes, Demenz und Depression helfen. Fans nennen sich Kalevangelists, kaufen Kochbücher namens "50 Shades of Kale" und unterschreiben Petitionen für einen Nationalen Grünkohltag.

Die Realität: Die Kohlsorte zählt zu den Vitamin-C-reichsten Lebensmitteln überhaupt, eine Tasse deckt den Tagesbedarf. Zudem enthält Grünkohl besonders viele A-, und B-Vitamine, Kalzium und Eisen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass er wegen des hohen Anteils an Omega-3-Fettsäuren Entzündungen vorbeugen und mit hoch konzentrierten Antioxidantien womöglich das Krebsrisiko senken kann. Ob man den Kohl deshalb als Chip in Öl oder Erdnussbutter frittiert essen sollte und ob 100 Gramm sieben Euro kosten müssen, ist eine andere Frage.

Macha-Tee

Das Heilsversprechen: Grün-Tee geht immer, der neue Twist lautet: Macha-Tee. Die oberfernöstliche Variante besteht aus feinst gemahlenem Teepulver, das mit einem Bambuswedel (sieht aus wie ein Rasierpinsel) in heißes Wasser gerührt wird. Der vegan kochende Fitness-Trainer Attila Hildmann nennt das Pulver "grünes Kokain" und verkauft seine eigene Macha-Linie (Bio-Qualität!), mit 15,95 Euro je 30 Gramm auch nur unwesentlich günstiger als echtes Kokain. A, B, C und E - Macha enthält enorm viele Vitamine. Aber vor allem stecken da Antioxidantien drin, die so wissenschaftlich klingende Namen wie Tee-Katechine oder Epigallocatechingallat tragen. Das kann zwar niemand aussprechen, dafür trinkt die Hoffnung mit.

Die Realität: Die Frage des gesundheitlichen Effekts von Antioxidantien ist nicht abschließend geklärt, Heilsversprechen sind deshalb allenfalls lauwarm zu genießen. Anbieter wie Attila Hildmann verweisen auch auf den sogenannten ORAC-Wert, um Macha-Tee und anderes Superfood zu verkaufen. Dieser beziffert - grob vereinfacht - die Konzentration von Antioxidantien in einem Lebensmittel. Es handelt sich jedoch um einen reinen Laborwert, der keinerlei Aussagekraft darüber besitzt, was dieses Super-Essen dann im Körper anstellt. Ach, und ja: Macha-Tee schmeckt okay. Edler grüner Tee eben.

Teff

Das Heilsversprechen: Alte Getreidesorten wie Urdinkel, Amaranth und Einkorn sind schon länger in Mode. Industriell hergestelltes Weizenmehl halten viele Menschen für böse, weil es angeblich Allergien auslöst und dick macht. Vollkorn-Ur-Getreide indes gilt als ökologisch hochkorrekt, auch soll es sehr gut verträglich und vitaminreich sein. Neu auf dem Markt der mythischen Körner ist Teff, aus Äthiopien stammende Zwerghirse. Das kleinste Getreide der Welt - 150 Teff-Körner entsprechen der Größe eines Weizenkorns - ist angeblich glutenfrei und reich an Eisen, Kalzium, Eiweiß, Magnesium und Zink.

Superfoods: Teff ist eine aus Äthiopien stammende Zwerghirse und das kleinste Getreide der Welt - 150 Teff-Körner entsprechen der Größe eines Weizenkorns. Illustration: Bianca Classen

Teff ist eine aus Äthiopien stammende Zwerghirse und das kleinste Getreide der Welt - 150 Teff-Körner entsprechen der Größe eines Weizenkorns. Illustration: Bianca Classen

Die Realität: Bei Übersäuerung und Magen-Darm-Problemen ist Teff leichter bekömmlich als andere Getreidesorten. Niederländische Wissenschaftler vom Leiden University Medical Center haben herausgefunden, dass Teff Zöliakie-Patienten besonders gut tut. Durch einen sehr hohen Gehalt an Kieselsäure wirkt Teff regenerierend auf die Schleimhäute. Die Körnchen eignen sich zum Brotbacken, für Pizzateig, Pfannkuchen, Kekse, Bratlinge, Müsli, Brei und als Soßenbinder. Bei 12,90 Euro pro Kilo Bio-Teff-Mehl sollte man allerdings ein lohnenswertes Rezept zur Hand haben. Teff ist Grundlage für ein äthiopisches Nationalgericht: das besonders weiche Fladenbrot Injera.

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