Stilkritik - Für den Chuck:Gipfel der Schönheit

Nach fast hundert Jahren legt Converse zum ersten Mal eine neue Version seines "All Star"-Turnschuhs vor. Eine guter Anlass, um den wichtigsten Sneaker der Welt zu würdigen.

Von Jan Stremmel

Ich habe die Chucks gehasst, jahrelang, diese Scheißtreter. Bis vor Kurzem. Jetzt liebe ich sie wieder. Der Hass begann an meiner Abifeier. Ein Sportlehrer trug Chucks zum dunklen Anzug. Genau wie ich. Ich hörte damals die Strokes und fuhr Skateboard. Der Sportlehrer trug Freundschaftsbändchen und eine blond gesträhnte Mecki-Frisur. Kurz darauf waren der Chuck und ich geschiedene Leute.

Das ist nun zehn Jahre her. Es war eine schlimme Phase für den Chuck. Er war zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Schuh für Menschen jenseits der 40. Er war nicht mehr der Schuh der Skateboardfahrer, er war der Schuh der Väter, die "Kids" sagen. Vor zwei Jahren ließ sich Bild-Chef Kai Diekmann in einem Paar Chucks fotografieren. In einer neuen Variante, die ohne Schnürsenkel auskommt. Es war schlimm.

Heute weiß ich, das ist normal. Mit dem Chuck verhält es sich nämlich tatsächlich so, wie Hersteller es gerne von ihren Luxusuhren behaupten: Er gehört einem nie ganz allein. Man muss ihn irgendwann abgeben. An die Älteren, an die Blondierten, an wen auch immer. Hätte man den Basketballspielern in den 40er-Jahren gesagt, dass ihre Schuhe zehn Jahre später von einem Schauspieler namens James Dean und noch mal zehn Jahre später von Hippies getragen werden würden, und denen wiederum von Diekmann berichtet - die hätten einem was erzählt.

Photo of Hunter S. Thompson

Er steht drauf: der Journalist und Waffennarr Hunter S. Thompson in den Siebzigern in seinen Chucks. Er besaß angeblich mehr als 70 Paar.

(Foto: Getty)

Aber es ist schon so: Man wird als Schuh nicht ohne Abnutzungserscheinungen zum Klassiker. 98 Jahre alt, da knirscht es eben mal, da spannt es. Und als Träger muss man das aushalten. Genau wie man es in der Schule aushalten muss, dass die schöne Anna eine Zeit lang mit dem Idioten-Olli aus der Oberstufe geht. Wer käme auf die irre Idee, sie deshalb später nicht mehr schön zu finden? Den Chuck nun für erledigt zu erklären ist, als erklärte man die Idee des Bauhauses für gescheitert, nur weil in ihrem Namen irgendwann auch mal Plattensiedlungen in die Landschaft geschandelt wurden.

Es gibt eine Phase, da ist der Schuh perfekt abgenutzt

Der Chuck und ich sind jedenfalls wieder Freunde. Unten in meinem Haus ist nämlich ein Skateshop. Dort sitzen den ganzen Tag Jungs, deren Stil das Gegenteil meines Sportlehrers von damals ist. Sie haben Tattoos auf den Handrücken, mit denen man bestimmt nie als Sportlehrer eingestellt wird. Sie sind mir sehr sympathisch, vor zehn Jahren hätten die bestimmt die Strokes gehört. Diese Jungs jedenfalls tragen seit ein paar Monaten wieder Chucks. Die schwarzen knöchelhohen. Keine Ahnung warum, aber sie tun es. Und sie tun es wieder genau richtig.

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Doch, man kann ihn nämlich richtig und falsch tragen. Der Chuck kommt hässlich strahlend und steif aus dem Karton und ist bei korrekter Nutzung ziemlich genau ein Jahr später kaputtgelatscht. Er hat einen Gipfel der Schönheit, einen exakten Moment zwischen steifer Neuheit und völliger Verwahrlosung. Diese Phase dauert vier, fünf Wochen, in denen sich Getragenheit und Kaputtheit genau die Waage halten. Es ist die Phase, in der jeder Agenturchef ihn schon entsorgt hat. Dabei ist der Chuck genau dann perfekt. Dann bricht der kleine Zeh seitlich durch den Stoff.

Und weil der Chuck lebt, und weil er verdammte 98 Jahre alt ist, kann er auch problemlos ein paar Jahre mit Sportlehrern und Co. zusammen gewesen sein. Für mich ist das okay. Ich habe gerne gewartet. Die Skater in meinem Haus sind meine Kronzeugen: Der Chuck wird jetzt wieder umgedeutet. Wir kriegen das schon hin.

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