Smartphone:Ein Lächeln von gestern

Mit unzähligen Emojis lassen sich Gefühle heute so präzise ausdrücken wie nie. Der klassische Smiley hat so eine völlig neue Bedeutung bekommen.

Von Jan Stremmel

Smartphone: Früher gab es nur lachende oder weinende Emojis, heute hat der Smartphone-Nutzer es mit einer ganzen Gefühlsorgel zu tun. Abbildungen: PR

Früher gab es nur lachende oder weinende Emojis, heute hat der Smartphone-Nutzer es mit einer ganzen Gefühlsorgel zu tun. Abbildungen: PR

Lesen Sie diesen Text bitte noch nicht. Schauen Sie erst noch den Gesichtern oben in die Augen. Einem nach dem anderen. Dem mit dem Cowboyhut, dem mit der Hornbrille, dem mit den Dollarzeichen auf der Zunge. Fertig? Dann blicken Sie jetzt drei Sekunden in das große Gesicht unter diesem Absatz.

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Über das seltsame Gefühl, das Sie nun spüren, wird gerade rege im Internet diskutiert. Wie wirkt es, dieses klassische Lächelgesicht? Friedlich in sich ruhend? Oder eher hypnotisch starrend? Empathielos, mit fast schon grausamem Zug? Oder einfach abgeklärt, mit Tendenz ins unterschwellig Aggressive? Die Debatte ist noch nicht abgeschlossen, klar ist bislang nur: Auf unheimliche Weise hat sich in den vergangenen Jahren die Bedeutung dieses ältesten aller Emojis verändert. Die spannenden Fragen wären nun: Wohin genau? Und warum überhaupt?

Die Evolution des Emojis, früher einmal bekannt als "Smiley", schreitet rasend schnell voran. Was in den Sechzigerjahren begann mit kreisrunden gelben Ansteckern, die die Laune unter den Mitarbeitern eines amerikanischen Versicherungsunternehmens heben sollte, ist in der aktuellen Version des offiziellen Emoji-Alphabets (es umfasst mittlerweile 2666 Bildchen) längst eine fein ziselierte Klaviatur der Gefühle.

Man kann in allen Schattierungen lächeln: stolz, erleichtert, albern, schüchtern

Wo vormals nur der runde lächelnde Kopf verfügbar war, um gute Laune nonverbal auszudrücken, lässt es sich in der digitalen Kommunikation heute in Dutzenden Schattierungen lächeln: schüchtern, vorfreudig, erleichtert, albern, stolz, peinlich berührt, überlegen, besserwisserisch, verknallt, aufgegeilt, mit oder ohne Zähne, mit Speichelfaden, Zunge links oder zentral aus dem Mund hängend, mit oder ohne Unterstützung der Augenbrauen, mit zusammengekniffenen, tränenden, rollenden, herz- oder sternförmigen Augen. Und das wären nur die positiven Emotionen.

Was mit einer binären Entscheidung anfing (Lachen/Weinen), ist heute eine ganze Gefühlsorgel, mit allen denkbaren oder auch rätselhaften Zwischentönen. (Wo zum Beispiel liegt der Unterschied in der Aussage zwischen einem Lachen, bei dem nur die obere Zahnreihe sichtbar ist, und einem, das auch noch die untere zeigt?)

Dass wir allmählich den Gipfel erreicht haben könnten und Smartphone-Nutzer mit der Vielfalt tendenziell überfordert sind, zeigt auch ein Blick in die "Emoji Sentiment Analysis", bei der das Unternehmen Brandwatch die Nutzung von mehr als sechs Milliarden Emojis über die vergangenen zwei Jahre untersucht hat: Das bis heute mit Abstand meistverwendete der Welt ist das tränenlachende Gesicht, offiziell "Tears of Joy" (hier in der obersten Reihe, zweites von rechts). Das Oxford Dictionary hat es 2015 schon zum Wort des Jahres erklärt. Aber: Statt aus der seither immer präziser gewordenen Palette der Emotionen die genau passende zu wählen, fällt unsere Wahl weiterhin ständig auf den hysterischen Vollgas-Lacher. Statt mit einem der vielen Zwischentöne ein Missverständnis zu riskieren ("Was meint er bloß mit dem Cowboyhut?"), wählen wir weiterhin lieber den Tränenlacher.

Aber wie so oft, wenn sich etwas Neues zu schnell in Richtung Beliebigkeit entwickelt, lässt sich auch in den Chatverläufen neuerdings eine Gegenbewegung beobachten: In diesem Fall die Renaissance des Ur-Smileys. Wir gucken noch mal kurz nach links in seine schlichten, tränenfreien Augen und auf das angenehm zahnlose Lächeln: Tut das nicht gut?

Der Smiley bedeutet: "Wirklich toller Vorschlag, danke, den ignoriere ich einfach mal."

Die Beobachtung, die neuerdings in amerikanischen Blogforen diskutiert wird, ist also folgende: Seit wir uns an die immer feiner differenzierte Mimik des gelben Gesichts und das Dauerbombardement durch die tränenlachende Nervensäge gewöhnt haben, bekommt das klassische Smiley eine komplett neue Bedeutung. Es heißt offiziell "Slightly Smiling Face", also leicht lächelndes Gesicht, und drückt plötzlich einen Zwischenton aus, der bisher nicht per Emoji vermittelbar war. Im Folgenden einige beispielhafte Textnachrichten, die man nach Meinung der Diskutanten im Internet heute problemlos durch das leicht lächelnde Gesicht ersetzen kann:

"Danke für diesen wirklich völlig überflüssigen Hinweis, ich sehe selbst, dass wir viel zu spät kommen."

"Nein, gar kein Problem, dann verschieben wir unsere Verabredung eben einfach zum dritten Mal spontan."

"Wirklich toller Vorschlag, danke, den ignoriere ich einfach mal."

"Deine verkrustete Pfanne liegt jetzt den fünften Tag in Folge im Spülbecken, so macht das WG-Leben Spaß!"

"Wie das Date ist? Einfach super. Er erzählt seit einer Stunde vom Eishockey."

Das Lächelgesicht, vormals Ausdruck von Frohsinn und guter Laune, transportiert heute also eine passive Aggressivität, eine gekonnt unterdrückte Wut angesichts größerer oder kleinerer Hürden im Leben. Es ist freundlich, aber nicht freundlich genug, um die Augen mitlächeln zu lassen oder die Brauen zu heben. Wo alle anderen Emojis mit Requisiten wie Brillen oder Heiligenschein den Ursprung ihrer guten Laune ausweisen, bewahrt das Ur-Smiley sein Pokerface. Es guckt friedlich, aber nicht naiv. Klug, aber nicht besserwisserisch. Melancholisch, aber nicht gequält. Umgeben von exaltierten High-End-Emojis bewahrt es als einziges ein weises Mönchslächeln.

Als sich nach der US-Präsidentschaftswahl abzeichnete, wer da gewonnen hatte und welche Folgen das für die Welt haben würde, verbreitete sich im Netz ein Bild: ein gezeichneter Hund sitzt in einem brennenden Zimmer auf einem Stuhl. Er lächelt treudoof, die Pupillen sind groß und starr. Und während die Flammen am Stuhl lecken und über seinem Kopf der braune Rauch dichter wird, sagt der Hund den tollen Satz: "This is fine."

Wenn man so will, ist der gute alte Smiley heute der Hund im brennenden Zimmer. Eine friedliche, schicksalsergebene Reaktion auf den Horror der Welt. Zeitgemäßer war gute Laune noch nie.

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