Selbstdarsteller in der Modeszene:Ah, Ruhm!

DSquared2 - Front Row - MFW F/W 2013

Aktuelles Lieblingsmotiv aller Streetstylefotografen: Anna Dello Russo.

(Foto: Getty Images)

Die Mode ist unter das Joch der Selbstdarsteller geraten: In der Modeprominenz werden heute vor allem jene gefeiert, die berühmt fürs Berühmtsein sind. Die britische Modekritikerin Suzy Menkes über die fatalsten Viren, die ihr Milieu verseucht haben: grassierende Profilierungssucht und galoppierende Stümperei.

Übersetzung: Rebecca Casati

Es gab mal eine Zeit, da glichen wir Modemenschen einem Schwarm Krähen. Immer wenn Saison war, versammelten wir uns vor abbruchreifen Häusern, uniformiert in Comme des Garçons oder Yohji Yamamoto. "Wer wird hier denn beerdigt?" flüsterten Passanten in einer Mischung aus flüchtiger Anteilnahme und morbider Neugier, während wir uns aufreihten, um eingelassen und wenig später Zeugen einer hippen Underground-Modenschau zu werden. So war das jedenfalls damals, in den Neunzigern.

Wenn heute Modewoche ist, versammeln sich vor den Veranstaltungsorten keine Krähen mehr; mittlerweile sind es Pfauen, die dort, in siebzehnfach gemusterten Kleidern posierend, auf und ab stolzieren.

Das große Idol: ein italienischer Kleiderständer

Spinnendünne Beinchen balancieren auf clubsandwichdicken Plateauschuhen, stecken in oberschenkelhohen Stiefeln, gucken unter Mantelskulpturen vor, auf denen überdimensionale Blumen blühen. Früher oder später verursacht eine Gruppe junger Japanerinnen einen Tumult. Sobald nämlich in der Pfauenparade ihr großes Idol auftaucht: der italienische Kleiderständer Anna Dello Russo, neuerdings selber Designerin und Moderedakteurin der japanischen Vogue.

Groß ist sie, dünn, gebräunt und durchtrainiert. Vor allem aber ist sie ein wandelndes Schaufenster für Designerkleidung. Je breiter ihr Gürtel, desto kürzer bauscht sich ihr Rock. Und je unerhörter ihre Schuhe aussehen, desto besser. Die Menge um sie herum twittert sofort wie verrückt: Was trägt sie? Hat sie sich seit der letzten Schau umgezogen? Wann wird sie endlich die Teile ihrer neuen Kollektion für H&M tragen? Und von wem hat bloß sie diese meterhohen Schuhe?!

Das Trara, das sich heute vor jeder großen Modenschau abspielt, scheint mittlerweile wichtiger zu sein als das, was drinnen, in den scharf bewachten Austragungsorten, gezeigt wird. Sich in Paris oder Mailand ohne Einladung in eine dieser Schauen zu schmuggeln, ist heute immer noch genauso schwierig wie in den 80er-Jahren, als leidenschaftliche Modejünger aus aller Welt sich so ruhig und unauffällig wie möglich in die Karawane der Eingeladenen einfädelten; in der Hoffnung, eines Tages vielleicht doch mal den Einlass passieren und eine Jean-Paul-Gaultier-Show live miterleben zu können.

Heute herrscht vor denselben Eingängen riesiges Geschiebe und Gemache, weil ein Wesen in Samtcape und Hotpants mal wieder alles gibt, um einer Aufmerksamkeits-Konkurrentin mit riesigen Blusenärmeln und superengen Hosen die Show zu stehlen.

In New York finden die Schauen im Lincoln Center statt, und dort kommt man mittlerweile kaum mehr die Treppen hoch. Auch die Wege in den Tuilerien, wo die Pariser Modewochenzelte stehen, sind viel zu eng geworden: Überall drängeln sich Fotografen, die Posierende ablichten. Kameras, die sich aggressiv auf Beute richten, kennt man seit den Ur-Paparazzi in Fellinis "La Dolce Vita". Allerdings werden die Subjekte von heute allzu gerne zu Objekten, die, statt sich jagen zu lassen, geradezu nach Aufmerksamkeit röcheln.

Ah, Ruhm! In der Arena der Modeprominenz werden heute vor allem jene gefeiert, die berühmt fürs Berühmtsein sind. Man kennt sie über Facebook-Seiten, Blogs oder weil Streetstyle-Fotograf Scott Schuman sie auf seiner Website The Sartorialist verewigt. Schuman, bekannt geworden als Fotograf "echter Leute", hat ganze Legionen von Nachahmern auf den Plan gerufen; so ähnlich wie die aufgemandelten Moderedakteure mehr und mehr in Konkurrenz getreten sind zu den aufgemandelten Bloggern.

Blogger ohne Individualität

Ich bin in der Punk-Ära sozialisiert, in Londoner Underground-Clubs, und dort verschlugen einem die modische Individualität und die Phantasie einfach nur den Atem. Waren das Zeiten, als die coolen Jungs und Mädels sich noch füreinander schick machten! - oder auch schlicht: für sich selber. Heute werben sie mit ihren Outfits. Wie zum Beispiel der überstylishe philippinische Blogger Bryanboy, der im echten Leben Bryan Grey Yambao heißt. Leute wie er promoten jene Modelabels, die gerissen genug waren, sich im multimedialen Zeitalter rechtzeitig die Macht der Masse zunutze zu machen. Doch leider haben auf die Art selbst Blogger mit sogenanntem Streetstyle ihre Individualität verloren.

Smartphones sind so phantastisch, dass jeder dämlich klingt, der sich nostalgisch auf die Ära besinnt, als ein Bild noch nicht binnen einer Nanosekunde durch die ganze Welt geschickt werden konnte. Ich kann mich noch genau an die ersten Digitalfotos Mitte der Neunziger erinnern. Plötzlich musste ich nämlich nicht mehr Hals über Kopf, direkt von einer Show ins nächste Fotolabor hetzen, um einen Film entwickeln zu lassen. Damals segnete ich die Technologie und war überzeugt, dass mein Arbeitsalltag davon nur profitieren würde.

Antonio Marras - Front Row - MFW F/W 2013

Suzy Menkes schreibt für International Herald Tribune und New York Times und gilt als die einflussreichste Modekritikerin der Gegenwart.

(Foto: Getty Images)

Ich hatte ja auch nicht den leisesten Schimmer, welche Rolle diese Technik mal übernehmen würde; und dass durch sie Einkäufer und Modekritiker, die sich Modenschauen aus professionellen Gründen ansehen, in Konkurrenz stehen würden zu einer Art Online-Gerichtsbarkeit. Denn während Modeprofis Modenschauen im Rahmen ihres Arbeitsalltag ansehen, wollen Blogger vor allem Meinungen austauschen. Und die können sich viral ausbreiten.

Vieles an diesen neuen Zeiten ist sehr anregend. Ich liebe die Kommentare intelligenter Blogger, vor allem, wenn sie aus Ländern wie China oder Russland kommen, wo man in der Vergangenheit kaum Gelegenheit hatte, Gedanken oder Träume über Mode auszutauschen. Nichtsdestotrotz misstraue ich dem Urteil von Menschen, die eine Schau lediglich im Netz, also eindimensional und mit verfälschten Farben, gesehen haben.

Zu der Situation, dass eine Modenschau immer mehr zur Zoovorstellung wird, haben allerdings zwei andere Faktoren geführt: Die Posierenden, die wie auf einem Viehmarkt darauf harren, ob die Fotografen sie knipsen oder ignorieren. Und die Rolle der Labels, die versuchen, sich ihre multimedial abhandengekommene Kontrolle zurückzuerobern.

Marc Jacobs hat die Macht der neuen Technologie besonders früh erkannt. Als er im Jahr 2008 eine Tasche nach Bryanboy benannte, erhob er den Blogger damit zur Autorität und öffnete zeitgleich die Schleuse zu einer seitdem gar nicht mehr versiegenden Quelle von Geschenken und Gefallen, zu denen, beispielsweise auf Bryanboy.com, auch begeistert aufgerufen wird. Viele Blogger sind - oder waren eingangs - analytisch und bündig in ihren Kommentaren. Mittlerweile, in der Erwartung auf Freigeschenke und Einladungen für die nächste Schauen-Runde, können aber nur noch die allerwenigsten Blogger als Kritiker bezeichnet werden, zumindest nicht in der ursprünglichen Rolle eines ästhetischen und kulturellen Vermittlers.

Selbsterhöhung der Online-Aktivisten

Theyskens' Theory - Front Row - Fall 2013 Mercedes-Benz Fashion Week

Setzt sich in Pose, sobald eine Kamera auf sie gerichtet ist: Michelle Harper.

(Foto: AFP)

Laut einer althergebrachten Journalisten-Regel haben Reporter keine Geschenke anzunehmen (man nennt es auch: Bestechung). Schon deswegen bin ich jedes Mal aufs Neue überrascht, wie freimütig Blogger darüber schreiben, welche Designer ihnen gerade mal wieder was geschenkt haben. Die Selbsterhöhung mancher Online-Aktivisten hat etwas geradezu Lachhaftes. Und verstößt gegen ein Mantra, das mir gleich in meinen Anfangstagen als Modejournalistin eingebläut wurde: "Etwas ist nicht deshalb gut, weil es dir gefällt. Weil etwas gut ist, gefällt es dir."

Diese Lehre hat bei Modebloggern nicht den Hauch einer Chance. Sei es die geistreiche Suzy Bubble oder die intelligente Tavi Gevinson, in ihrem Urteil über Mode spielen sie alle selbst die wichtigste Rolle: Schaut mal, ich, in diesem Kleid! Guckt mal, was ich für Schuhe entdeckt habe! Und hier könnt ihr auf 15 verschiedenen Motiven sehen, wie sehr mir dieses Outfit gefällt!

In gewisser Weise ist die Mode damit unter das Joch der Pöbelherrschaft geraten - oder zumindest dem ausgeliefert, der sich im Gerangel des Crowdsourcing am besten durchsetzen kann. Ein anderes Beispiel ist die Casting-Serie "Project Runway", bei der sich Leute bewerben, die zumindest Rudimentärkenntnisse über Mode haben. Weltweit gesehen wird das Format allerdings von Initiativen à la "Popstar", und die dürfen dann wiederum darüber abstimmen, in welchem der Kandidaten der beste Designer steckt. Warum sollte eigentlich noch irgendjemand seinen Abschluss auf Central Saint Martins in London oder am Fashion Institute of Technology in New York machen, wenn ein Outfit, das Laien in ihren eigenen vier Wänden herstellen können, auf Youtube Millionen Klicks erzeugt?

Der Versuch, die Flut des digitalen Modeblablas einzudämmen, ist zum Scheitern verurteilt. Aber in einer Welt, in der der Protzigste die Parade anführt, ist nun mal etwas verloren gegangen. Vielleicht wäre die beste Erwiderung: die Pfauen stolzieren zu lassen, während man die Schauen unauffällig an einen anderen, geheimen Ort verlegt. Im Publikum säße dann nur eine kleine Gruppe hochspezialisierter Profis. Von Kopf bis Fuß in Schwarz, versteht sich.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: