Schreibgeräte:In Schönschrift

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(Foto: Hersteller)

Trotz Smartphones und Laptops werden in Deutschland immer mehr edle Füller verkauft - oder vielleicht gerade wegen ihnen. Das Schreiben mit Tinte ist auch eine Abwehrhaltung gegen das uniformierte Display-Blau.

Von Hannes Vollmuth

Dem Füller ergeht es in den meisten Fällen wohl wie dem ganzen Inventar des ersten Lebensabschnitts: Nach dem Schulabschluss verschwindet er für immer im Kinderzimmerschrank oder in Kisten auf dem Dachboden. Als gäbe es für dieses Schreibgerät in der Welt der Erwachsenen keinen Platz.

Es gibt ihn aber. Vielleicht mehr als je zuvor. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) meldet, dass der Markt für Füller 2014 um neun Prozent gewachsen ist, inzwischen werden zwölf Millionen Exemplare hergestellt - pro Jahr. Fast alle Firmen haben auch neue, aufwändig gemachte Schreibgeräte im Programm: Lamy macht etwa auf sich aufmerksam mit seinem "Dialog 3" samt 14-Karat-Goldfeder, die man per Drehmechanik versenkt. Bei Pelikan gibt es den schreibenden und markierenden "Classic M205 Duo Highlighter", und in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal eine Reihe von Liebhaber-Treffen, die "Pelikan Hubs": zum Fachsimpeln und Schwärmen. Und für Montblanc hat Stardesigner Marc Newson einen markanten neuen Füller entworfen (Foto).

Das Schreiben mit Tinte wird zur Abwehrreaktion gegen den digitalen Zeitgeist

Wobei es nicht unbedingt die teuren Modelle sind, die sich gut verkaufen. Am besten läuft das Segment, das zwischen Schule und Luxus angesiedelt ist und ungefähr bei 50 Euro beginnt. Im Zeitalter von Smartphone und Laptop einen Füller als gutes, verlässliches Schreibinstrument neu zu entdecken, ist aber mehr als ein liebenswerter Anachronismus. Wer das elegante Schreiben mit Tinte wieder aufleben lässt, darf sich wie ein kleiner Rebell fühlen. Das Schwingen des Füllers wird so zur identitätsstiftenden Abwehrhaltung gegen den Zeitgeist in Displayblau.

Doch bei aller Nostalgie ist der Füller vor allem auch praktisch. Seine wichtigste Eigenschaft ist das leserliche und vorzeigbare Ergebnis, das er ermöglicht: eine saubere Handschrift. In den ersten Tagen nach dem Umstieg torkeln die Worte zwar noch wie betrunken, weil es Zeit braucht, bis aus der Klaue wieder eine Handschrift wird. Nach einem Monat aber richten sich die Wörter wieder auf, werden erneut symmetrisch, einst verzitterte Os und Us werden zu lesbaren Lettern, und auch Striche wirken wie frisch gebügelt, wenn man sie mit dem Füller zieht.

Am deutlichsten wird der Unterschied, wenn man die Füllerschrift dem Geschreibsel eines Kulis gegenüberstellt. Für Christian Marquardt, Handschriftenexperte am Schreibmotorik Institut in Nürnberg, liegt der Kugelschreiber wie tot in der Hand: "Ein Faustkeil, mit dem man etwas ins Papier ritzt", sagt er. Man muss die Kulispitze mit der Kugel übers Papier drehen, damit die zähe Paste sich löst. Das kratzt und hackt, die Hand verkrampft, der Schreibrhythmus verebbt und die Lesbarkeit ist weg. Am Ende wirken Buchstaben und Wörter wie mit Gewalt verbogen, grotesk verdreht. Wer beruflich schnell und sauber schreiben muss, arbeitet deshalb mit dem Füller. Die Stenografen des Deutschen Bundestags zum Beispiel schaffen 400 Silben pro Minute. Sie setzen den Füller gar nicht mehr ab, sondern lassen ihn nonstop über den Block gleiten.

Verantwortlich für das gleichmäßige Fließen ohne Tintenkleckse sind das Tintenleitsystem und die fein geschliffene Füller-Feder mit ihrem hauchdünnen Spalt. Ganz vorne ist eine Iridiumkugel angeschweißt, das sogenannte Schreibkorn, das schon bei zartesten Papierberührungen seine Tinte abgibt. "Ein ausbaldowertes Schreibgerät", nennt Reiner Timter, Chefredakteur von Kult, einem Magazin für Schreibtischkultur, den Füller. "Sehr praktisch."

Das Praktische steht durchaus in historischer Tradition: Denn es war der unglückliche Versicherungsagent Lewis Edson Waterman, der am Ende des 19. Jahrhunderts aus purer Not den modernen Füller erfand. Waterman hatte jahrelang auf einen Vertrag hingearbeitet, ihn beim Unterschreiben aber mit einem Tintenschwall versaut. Er fand darauf ein Schreibgerät, bei dem die Tinte mittels eines Röhrchens zur Feder gelangt, während in einem anderen Röhrchen Luft nach oben steigt: Dank dieses Kapillarsystems fließt es stetig. Den Vorläufer, den Gänsekiel, musste man sogar noch ständig anspitzen und ins Tintenfass tauchen. "Da siz ich, spize Federn, und käue Gedanken", schrieb vor 200 Jahren Friedrich Schiller an seinen Schwager.

Kein Wunder, dass Schriftsteller bis heute zu den begeisterten Füller-Schreibern zählen. Ilija Trojanow, der gerade seinen Roman "Macht und Widerstand" veröffentlich hat, besitzt zwei Exemplare: einen Pelikan und einen Parker, der eine befüllt mit Königsblau, der andere mit Spätburgunder-Rot. "Der Füller ist schon eine gewisse Erhöhung des Notierten", sagt Trojanow. Füller rausholen, aufschrauben und im richtigen Winkel aufs Papier setzen: Trojanow nennt das "dem Füller seinen Raum geben". Ein eigenes Ritual. Manchmal sitzt er mit Kollegen zusammen und registriert, wer da welche Waffe zückt, die meisten einen Füller. Und völlig unabdingbar ist der Füller dann auf Lesereise, beim Signieren. "Was für ein feierlicher Moment", sagt Trojanow, "der Schriftsteller verewigt sich im Buch-Exemplar des Lesers."

Kugelschreiber verschleißen, der Füller wird mit jedem geschriebenen Satz wertvoller

Ein bisschen pragmatischer sieht es Daniel Kehlmann, der seit seinem ersten Roman mit einem Montblanc-Meisterstück-Füller schreibt. In einem Interview gestand Kehlmann einmal: "Das wäre tatsächlich von allen Dingen, die ich besitze, jenes, über dessen Verlust ich mich am meisten aufregen würde - und zwar nicht nur aus Sentimentalität. Die Goldspitze ist so gut auf meine Handhaltung eingeschrieben, dass im Vergleich dazu jede andere Feder kratzt. Es wäre wirklich furchtbar, wenn ich diesen Füller verlieren würde."

Was Kehlmann hier beschreibt, ist eine intime Verbindung, die man zum Füller entwickelt kann, ein handwerkliches Verhältnis: Man schreibt sich in ihn ein. Wie der Schreiner Handhobel und Fäustel so kennt man als Füller-Mensch das Griffprofil, die Schreibspur und den Winkel, mit dem man aufs Papier treffen soll. Was auch erklärt, warum die Kollegen immer zurückzucken, wenn man für kurze Notizen den Füller reichen will. Kulis besitzt man nicht, man verschleißt sie. Der Füller dagegen wird einem wertvoller mit jedem geschriebenen Satz.

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