Schönheits-OPs:Gesichter aus Seoul

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Optimierung nach Maß: Vieles ist möglich im "Beauty Belt" der südkoreanischen Hauptstadt. (Foto: Alex Hofford/dpa)

Südkorea gehört zu den führenden Märkten im Schönheitsgeschäft. Nun wollen die dortigen Unternehmer ins Ausland expandieren.

Von Tania Messner

Man sieht sie tagsüber auf den Straßen von Seoul auf dem Weg zur Arbeit und abends ganz selbstverständlich im Restaurant. Junge Frauen und Männer mit weißen Operationspflastern und frischen Blutergüssen auf Nase, Augen oder Kinn. Besonders viele im Gangnam-Viertel, dem Beverly Hills der südkoreanischen Metropole, besungen im Welthit "Gangnam Style" des Rappers Psy. In Gangnam reihen sich auf nur einem Quadratkilometer mehr als 500 Schönheitskliniken in kompakten sechs- bis 20-stöckigen Häusern an- und übereinander. Es sieht aus wie ein gigantisches Tetris-Spiel aus Glas und Beton.

Als "Beauty Belt" wird dieser Stadtteil auch bezeichnet, denn die hier ansässigen plastischen Chirurgen, Dermatologen und Kosmetikproduzenten pflastern das Viertel mit Anzeigen für ihre Adressen zu. Lange Namensschilder der Schönheitsdoktoren flattern in asiatischen Lettern wie Weihnachtsdekoration über dem Gehweg, und sogar in der U-Bahn suggerieren bunte "Vorher-Nachher"-Bilder den Passanten, dass allein die falsche Nase dem individuellen Glück im Wege steht.

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Beauty-Hotspot Asiens

Anscheinend mit Erfolg: Südkorea hat mittlerweile sowohl Brasilien als auch den USA den Rang als weltweit führendes Beauty-Industrieland abgelaufen. Vieles was in der Kosmetik und Schönheitschirurgie derzeit seinen Weg in die Tiegel, Tuben und Privatpraxen Europas findet, hat seinen Ursprung in Südkorea. Das Land ist zum Versuchslabor für Schönheitsprodukte aller Art geworden - mit allen Erfolgen und Risiken, die das mit sich bringt.

Der Mediziner Stefan Duve, Gründer des Haut- und Laserzentrums an der Oper in München und einer der bekanntesten Dermatologen Deutschlands, hat sich vor einigen Wochen selbst einen Eindruck vor Ort verschafft: "Ich wusste, dass die Koreaner da einen riesigen Markt haben." Duve hat sich einen Trainingsplatz bei Doktor Kwon Han Jin gesichert und drei Tage bei ihm hospitiert.

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Kwon, Gründer der Schönheitsklinik "Dermaster", wird in Korea wie ein Popstar verehrt. Seine Klinik liegt in einer weitläufigen Parkanlage, in seinem Imagefilm wird der Firmenname wie in goldenen Lettern eingeblendet. "Europäische Zurückhaltung ist den koreanischen Kollegen fremd", erzählt Duve. "Auf dem letzten großen Kongress in Seoul haben sich die einheimischen Ärzte vor den internationalen Zuhörern sehr selbstbewusst als Beauty-Hotspot Asiens bezeichnet." Zahlreiche Chinesen pilgern nach Seoul, um sich behandeln zu lassen, Kunden aus Singapur und Malaysia suchen hier ihr Glück und manchmal ein etwas anderes Gesicht. Deswegen hat der Unternehmer Kwon bereits Filialen in Hongkong, Malaysia und auf den Philippinen eröffnet. Nach Bangkok folgt Los Angeles als nächstes Ziel. Unterstützt wird diese Expansion von der südkoreanischen Regierung.

Der einheimische Beauty-Markt ist bereits so gut wie gesättigt. Mehr als 50 Prozent der unter 20-jährigen Koreaner - Männer wie Frauen - haben laut einem Bericht der BBC bereits eine Schönheits-OP hinter sich, Tendenz steigend. Unter koreanischen Frauen ist in der Hautpflege die sogenannte Layering-Technik verbreitet, bei der sie zwischen zwölf und 16 Beauty-Produkte in Lagen übereinander auftragen - mehr geht nicht. Die Männer stehen den Frauen, was ihr tägliches Pflegeritual betrifft, kaum in etwas nach.

Für den gesamten Markt hat Seoul eine beträchtliche Sogwirkung entwickelt. In Europa wurde man erst vor ein paar Jahren auf den Erfolg der sogenannten "BB-Cremes" (von "Blemish Balms") aus Korea aufmerksam. Leichte Pflegecremes mit Sonnenschutz und Anti-Aging-Wirkstoffen, die spezielle Farbpigmente enthalten und sich dem jeweiligen Hautton anpassen - egal ob die eigene Haut nun blass oder gebräunt ist. Innerhalb kurzer Zeit schickten sämtliche westliche Beautyfirmen, von Giorgio Armani, Chanel bis L'Oréal Paris ihre Trendforscher nach Korea und entwickelten ihre eigenen BB-Cremes.

Seitdem reißen die Innovationen aus Asien nicht ab: Koreanische Forscher arbeiten bereits an innovativen Texturen wie schaumartigen Foundations, Abschminke in Puderform auf Kohlebasis oder Anti-Aging-Cremes mit Stammzellen und Hormonen. Wobei letztere in Deutschland nicht so bald zugelassen werden, da Pflegeprodukte hierzulande strikten Bestimmungen unterliegen.

In Deutschland gilt noch immer: Was oberflächlich wirkt, ist Kosmetik. Alles was unter die Haut geht, unterliegt dagegen dem Arzneimittelgesetz. Und eine Creme, die den Hormonhaushalt manipuliert, kann zwar wirksam sein, doch ihre Nebenwirkungen sind nicht absehbar. In Korea ist man da weniger zimperlich.

Es gilt das Ideal des "Bagle Girls" - ein zusammengesetztes Kunstwort aus "babyfaced" und "glamourös". (Foto: Prisma Bildagentur)

Es gilt das Ideal des "Bagle Girls"

Die Konzentration auf den Beauty-Markt hatte in Seoul nach den Olympischen Spielen 1988 begonnen. Das Land öffnete sich der Welt, kurz darauf galt der "Western Style" - das westliche Schönheitsideal mit großen Kulleraugen - als erstrebenswert. Das kann man als Asiate oft nur chirurgisch erreichen. Doch der ganz große Boom kam mit dem Erfolg des "Korean-Pop-Styles", der mit operierten Stars aus einheimischen Soap-Serien den gesamten asiatischen Markt eroberte.

Als schön gelten seither kindliche Gesichter in Manga-Variationen: große Augen mit doppelter Lidfalte, eine schmale Nase, ein spitzes Kinn. Es gilt das Ideal des "Bagle Girls" - ein zusammengesetztes Kunstwort aus "babyfaced" und "glamourös". Der Münchner Stefan Duve liefert die Erklärung: "Alle Asiaten, die nach Korea fahren, wollen das Gleiche: ein 'Korean Face', das meist Nasenkorrektur, Lidplastik und neues Kinn beinhaltet. Dafür wird dann häufig auch der Kiefer gebrochen und verschmälert."

Einen weiteren Grund für den gesteigerten Beauty-Tourismus nennt die Ärztin Sonja Sattler von der Rosenpark Klinik in Darmstadt: "Bereits 25-Jährige wollen dort keine Lachfalten haben, deshalb wird es oft übertrieben. Wir Deutschen wollen einen natürlichen Look, während Koreaner eine grundsätzliche Typ-Veränderung anstreben, für die ihre Gesichtsform eigentlich nicht geschaffen ist."

Die Koreaner erfinden nicht nur, sie optimieren auch. Etwa Laser- oder Radiofrequenzgeräte zur Hautverjüngung und Gewebestraffung. "Koreanische Wissenschaftler haben diese Technologien aus Israel und den USA aufgegriffen und perfektioniert", sagt Neil S. Sadick, Medizinischer Direktor der Sadick Research Group in New York. "Die Geräte der Koreaner sind dann nicht nur besser, sondern auch wesentlich günstiger als ihre Vorläufer."

Dass das eigene innovative Potenzial der Koreaner aber groß ist, zeigt sich auch bei der sogenannten Fadentechnologie. Dabei werden neue chirurgische Fäden aus Polydiaxonon und Poly-L-Milchsäure mit kleinen Widerhaken mit einer Nadel unter die Haut gespritzt und im richtigen Winkel angebracht. Erschlafftes Gewebe im Gesicht, aber auch an Armen, Bauch und Beinen kann so wieder gestrafft werden. "Die Fäden sind tatsächlich faszinierend", bestätigt Duve, der die Technik mittlerweile auch seinen Münchner Kunden anbietet. "Der Eingriff ist im Gegensatz zu denen aus der ersten Generation minimalintensiv, fast schmerzfrei und mit keinen Ausfallzeiten verbunden und daher bei asiatischen Celebrities extrem beliebt."

Doch bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten: Der deregulierte koreanische Markt hat seine Schattenseiten. "Es gibt viele sehr gute Ärzte dort, aber andere spritzen auch Olivenöl statt Hyaluronsäure unter die Haut, um Falten zu glätten", sagt Sonja Sattler. "Das ist ethisch nicht vertretbar."

Nasen-OP zum Schulabschluss

Auch die Hygienebedingungen in koreanischen Kliniken sind häufig schlechter als in Europa. Da es aufgrund von Infektionen oder Betäubungsfehlern immer wieder zu Todesfällen nach Schönheitsoperationen kommt, warnt mittlerweile selbst die chinesische Regierung vor dem Beauty-Tourismus. "Brasilianer, Amerikaner oder Europäer werden auch zukünftig für ihre Eingriffe nicht nach Korea reisen", sagt Duve, "denn spätestens in ein, zwei Jahren werden in allen Ländern die gleichen Techniken angeboten." Der Mediziner hat bisher nur eine seiner Patientinnen nach Seoul geschickt, die, wie viele Koreanerinnen, an dicken Waden litt. Dort wurde für diese Indikation ein spezielles Verfahren entwickelt, bei dem den Patientinnen mit elektrischem Strom bestimmte Wadenmuskeln und Nerven geschädigt und teilweise gelähmt werden. "Mit guten optischen Ergebnissen, aber eben auch nicht ohne Risiko", sagt Duve.

Warum ausgerechnet in Asien so rigoros für ein Schönheitsideal gelitten wird? Gesellschaftlicher Druck wäre eine naheliegende Antwort. Es könnte aber auch eine geradezu konfuzianistische Ebene geben: das große Thema von Konfuzius war die menschliche Ordnung, die durch Achtung vor anderen Menschen zu erreichen ist. Seinem Mitmenschen sei man schuldig, so schön wie möglich auszusehen. Daher die Nasen-OPs zum Schulabschluss. Wer möglichst jung einem gemeinschaftlichen Schönheits- und Leistungsideal genügt, kommt besser durchs Leben. Radikale Selbstoptimierung, wenn man so will.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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