Schnittblumen:Von der Wiese in die Vase

Lesezeit: 3 min

Trend zu mehr Natürlichkeit: Pompöse Bouquets aus der Gärtnerei sind out, Blumensträuße kauft man jetzt woanders. (Foto: AP)

Kein Mensch braucht noch Angebersträuße. Blumengebinde sollen heute aussehen, als sei man am Tag zuvor über eine Ranunkelwiese gelaufen - auch wenn sie Tausende von Kilometern im Lkw hinter sich haben.

Von Vera Schroeder

Man kann schimpfen, wie man will. Sehr viele Dinge sind durch das Internet einfach besser geworden. Zum Beispiel unser Geschmack. Wer sich hübsch einrichten will, schaut Freunde von Freunden an. Wer sich gut anziehen will, guckt bei Journelles vorbei. Und wer gerne schöne Blumen mag, findet bei The Flower Appreciation Society so viele großartige Ideen, dass man am liebsten gleich auf der Stelle (nochmal) heiraten mag.

Der liebevolle, von einer Illustratorin und einer Floristentochter gestartete Blog zeigt in Perfektion, was auch bei uns mittlerweile überall zu beobachten ist: Der pompöse, in durchsichtige Knisterfolie verpackte und mit Schilf-Assoziationen verkünstelte 80er-Jahre-Strauß hat ausgedient.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Stattdessen gefallen einem heute bunte Wiesenblumen. Oder ein Bund Kornblumen, ohne alles. Schlicht muss es sein. Ohne extra Grün, locker gebunden, ganz so, als hätte man die Pflanze am Wegrand aufgesammelt statt in der Erwachsenenquengelzone am Supermarkteingang. Anemone, Mohnblume, Margerite statt Lilie, Strelizie oder Nelke mit extra Farn. Hippieblümchen statt Gartenkunst. Rosa Wildröschen statt dunkelrote Baccara-Rosen mit langem Stiel.

Omas Bester

Damit ist auch bei Blumen der Trend gelandet, dass man heute vor allem das haben will, was natürlich und damit irgendwie ehrlicher wirkt. Kuchen von der Bäckereikette, die "Omas Bester" heißen und aussehen wie direkt aus dem Backofen gefallen. Hübsch abgeschrammte Möbel mit bunten Schubladen, wie drei Mal liebevollst im Laufe der Jahrzehnte von Hand übermalt. Kindermalbücher, die ohne Kinderhand schon so perfekt einfach vorskizziert sind, dass ein dickes rotes Kreidenkritzekratzel reicht und das Ganze irgendwie aussieht wie Picasso.

Endlich, so die Idee, kann man sogar das kaufen, was mit Geld eigentlich nicht zu bekommen sein soll. Dinge, die wie selbst gemacht aussehen. In denen Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe stecken.

Wellness
:Warum die Menschen Blumen schenken

Rund drei Milliarden Euro geben Menschen in Deutschland im Jahr für sie aus - Schnittblumen und Sträuße gehören einfach dazu. Man muss sie sich ja nur einen Moment wegdenken: Auf der ganzen Welt blieben Feste, Tische, Altäre, Gräber, Bräute ...

Ob das ganze Natürlichkeitsding nun die andere Seite der Medaille einer ziemlich entfremdeten Konsumwelt ist, oder einfach nur hübscher anzusehen, darf jeder für sich entscheiden. Natürlich im Sinne von nachhaltiger ist es auch im Falle der Blumen sicher nicht. "Back-to-the-Roots-Style", "Basic-Style" oder "Factory-Style" für die Zielgruppen "Cosiness Seeker (vergleichbar bürgerliche Mitte)" oder "Cultivated Performer (moderne Performer)" sind die gruseligen Wörter, mit denen der Deutsche Fachverband für Floristik das Phänomen einzufangen sucht.

Der Trend kommt, wie fast alles, was das Blumengeschäft betrifft, ursprünglich aus England und Amerika. Und während es am Anfang, vor etwa sechs, sieben Jahren, vielleicht wirklich noch einzelne Blogger waren, die den Sommerklee vom echten Feld gepflückt mit einem Foto im Netz durch die Welt schickten, sendeten gleich danach trendbewusste Großhändler die Kübelware hinterher.

Instagram

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von Instagram angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von Instagram angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Ein kleiner Selbstbetrug also, aber ein hübscher. Kein Mensch braucht diese hässlichen Angebersträuße, die höchstens noch von Großunternehmen an Mitarbeiter verschickt werden, mit freundlichen Grüßen zum 15. Jahr Betriebszugehörigkeit.

Viel schöner sind rosa Ranunkeln in einem schlichten Glas vor dem Computer, die so aussehen, als wäre man gestern (und vielleicht auch den Rest der nächsten 15 Jahre) nicht im Büro gesessen, sondern auf einer Ranunkelwiese herumgelaufen. Dass die Ranunkel zum Kaufen eine Zuchtpflanze ist, die meist aus Holland oder Italien importiert wird, und, bevor sie bei uns ihre liebliche Schlichtheit verbreitet, erst mal Tausende Kilometer im Lkw verbringt, spielt für das Gefühl keine große Rolle.

Liebe am Stiel

Eine Blume ist eine Blume - selbst wenn sie für 4,99 Euro aus dem Edeka kommt. Blumen sind einfach ein anderer, aufgeladener Gegenstand als zum Beispiel ein Bauernbrot. Sie sind symbolische Liebe am Stiel. Und Hippieblumen natürlich ganz besonders.

Abbott "Abbie" Hoffman hieß der Mann, der im Mai 1967 in New York die erste Blumenbrigade organisierte, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Nachdem die Brigade von Umstehenden gewaltsam attackiert wurde, gingen Bilder von Menschen um die Welt, die sich mit Blumen im Haar ohne Gegenwehr verprügeln ließen. Flower-Power war geboren. Hoffmann schrieb ein paar Tage später: "Die Blumenbrigade verlor die erste Schlacht.

Aber pass auf, Amerika. Es gibt Pläne, den East River mit Narzissen zu verminen. Ketten aus Löwenzahn werden um Zufahrtsstraßen gespannt. Löcher werden in die Bürgersteige geschlagen, Samen eingegraben. Der Schlachtruf Flower-Power wird durch das Land ertönen. Wir werden nicht welken. Lasst tausend Blumen blühen!"

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: