Schmuck:Muster der Massai

Bunte Perlarbeiten gelten in Europa als typisch afrikanisch. Eine Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich zeigt nun ihre wahre Bedeutung.

Von Julia Rothhaas

Hunderte bunte Perlen, spiralförmig aufgefädelt, die in verschiedenen Größen übereinander um den Hals getragen werden: Kaum etwas hat unser Bild von Afrika so geprägt wie die Emangeki-Ketten der Massai aus Kenia oder Tansania. Dabei hat dieser Schmuck nur vermeintlich etwas mit der "traditionellen Handwerkskunst" zu tun. Die Glasperlen erreichten das ostafrikanische Hinterland in großer Stückzahl nämlich erst in den 50er-Jahren - und stammen überwiegend aus dem Fichtelgebirge, Venedig oder aus Tschechien.

Perlkunst aus Afrika

Die Musterkarte für Glasperlen aus Tschechien kam ab 1918 zum Einsatz.

(Foto: Rainer Wolfsberger/Museum Rietberg)

Mit keinem Kontinent der Welt sind so viele Klischees verbunden wie mit Afrika. Angefangen damit, dass ständig von dem einen "Afrika" die Rede ist anstatt von den einzelnen Ländern, immerhin 54, die zum Teil unterschiedlicher nicht sein könnten. So scheint also auch der farbenprächtige Schmuck eng verwoben mit der Geschichte vieler afrikanischer Kulturen. Zu dem Bild beigetragen haben Postkarten aus dem frühen 20. Jahrhundert, die den Europäern suggerierten, dass die Perle zur gängigen Zierde der Zulu, Kuba oder Mfengu gehört. "Dass die Perlen mitunter aus Deutschland kamen und ihre Produktion stark von afrikanischer Seite mitbestimmt wurde, überrascht viele. Das hat mit einem bestimmten Bild von Afrika zu tun, an dem wir noch heute festhalten," sagt Michaela Oberhofer. Die Kuratorin arbeitet am Museum Rietberg in Zürich, dort werden bis zum 21. Oktober 400 afrikanische Perlarbeiten aus der Sammlung Mottas gezeigt, etwa Halsketten, Pfeifen, Lendenschurze, Figuren und Gefäße.

Perlkunst aus Afrika
7. Juni - 21. Oktober 2018

Die südafrikanische Tabakdose war Gefäß und Fruchtbarkeitsfigur.

(Foto: Rainer Wolfsberger/Museum Rietberg)

Das Auffädeln von Perlen ist eine der ältesten Schmucktechniken, nachdem zuvor Ketten aus Muschelschalen, Knochen, Samen, Schnecken und Tonkugeln gefertigt wurden. Anders als afrikanische Schnitzereien oder Metallarbeiten galten die Perlen lange als Souvenir oder Ethnographica, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts massenhaft in europäische Völkerkundemuseen getragen wurden. Die gläsernen Kügelchen und Quader waren dabei nicht nur Dekor, sondern auch Zahlungsmittel. Zudem gaben Farbe und Muster Auskunft über die Identität ihres Trägers.

Perlkunst aus Afrika
7. Juni - 21. Oktober 2018

Für den Massai-Ohrring aus Kenia wurden Knöpfe und ein Stück Telefonkabel verarbeitet<QA0>

(Foto: Rainer Wolfsberger/Museum Rietberg)

In zahlreichen Regionen markierte der Schmuck den Übergang in eine andere Lebensphase, etwa bei Hochzeiten oder vom Übertritt von der Kindheit in die Pubertät. Die "Muttertränen" der Ndebele in Südafrika etwa bestanden aus langen, mit Perlen verzierten Bändern, die Frauen bei der Initiation ihres Sohnes um den Kopf trugen. Damit sollte zum einen gefeiert werden, dass das Kind zum vollwertigen Mitglied der Gesellschaft wurde. Es war gleichzeitig der Versuch, die Mutter mit dem Schmuck über den "Verlust" ihres Sohnes hinweg zu trösten. Die ham pilu aus Kamerun, auch "Holzkinder" genannt, waren hingegen eine Art Verlobungsgeschenk: Die kleinen Puppen wurden von jungen Männern mit Perlschnüren verziert, ihre Auserwählte trug die Figur dann als Anhänger um den Hals, bis das erste Kind auf die Welt kam.

Perlkunst aus Afrika
7. Juni - 21. Oktober 2018

Auf dem Laufsteg zeigt Designer Laduma Ngxokolo Strickmode, die an die Perlarbeiten der südafrikanischen Xhosa erinnern.

(Foto: Simon Deiner / SDR Photo)

Der Schmuck konnte aber auch ein Symbol des Protestes sein. Um sich vom Aussehen der weißen Kolonialisten abzugrenzen, besannen sich viele Afrikaner auf traditionelle Kleidung, um die eigene Identität und Zugehörigkeit zu ihrer Volksgruppe zu unterstreichen. Als Nelson Mandela 1962 vor Gericht in Pretoria stand, trug der Anführer der südafrikanischen Befreiungsbewegung eine Thembu-Halskette, um ein Zeichen gegen das Apartheid-Regime zu setzen.

Im Gegensatz zu Kunstwerken aus Japan oder Europa sind die Arbeiten aus Afrika noch recht jung, die ältesten der in Zürich gezeigten Stücke stammen aus dem 19. Jahrhundert. "Das liegt zum einen am Klima, in dem sich manche Materialien einfach nicht so lange halten", sagt Michaela Oberhofer. "Zum anderen wurden viele Kunstgegenstände weggeschmissen, wenn sie beispielsweise für bestimmte Riten als nicht mehr wirksam empfunden wurden."

Die ersten Perlen kamen ab dem siebten Jahrhundert aus Indien, Thailand und Sri Lanka an die Ostküste Afrikas, wobei zuvor auch in Ägypten oder Nigeria Glasperlen hergestellt wurden. Erst ab dem 15. Jahrhundert brachten die ersten Europäer ihre Ware über das Mittelmeer. Dafür reisten Händler aus Venedig, Tschechien, Amsterdam oder Deutschland mit Musterkarten durch die Länder - zum Teil ohne Erfolg, denn ihre Reise dauerte manchmal länger als sich der afrikanische Geschmack für bestimmte Formen und Farben hielt.

Die Perle spielt auch heute wieder eine Rolle. "Weil viele afrikanische Designer nicht mehr nur nach Europa gucken, um sich inspirieren zu lassen, sondern sich auf ihr eigenes kulturelles Erbe besinnen", sagt Michaela Oberhofer. Ein Modedesigner, der die Farben und Muster der traditionellen Xhosa-Perlkunst wieder aufnimmt, ist Laduma Ngxokolo. Seine auffälligen Pullover, Jacken und Kleider aus Strick sollen ihren Teil dazu beitragen, das Erbe der südafrikanischen Ethnie zu bewahren, der er und seine Familie angehören. Schuld daran ist seine Mutter, die ihm den nach eigenen Aussagen "enttäuschendsten Tag seines Lebens" bescherte, als sie statt eines Fernsehers eine Strickmaschine nach Hause brachte. Doch der 16 Jahre alte Ngxokolo lernte, wie man damit arbeitet und gehört inzwischen zu den spannendsten afrikanischen Designern.

Dass Perlen für Furore sorgen können, wusste bereits der britische Designer John Galliano. Für seine erste Dior-Kollektion überraschte er 1997 die Modewelt mit tellerförmigen Perlenscheiben, die er seinen Models in ausladenden Roben um den Hals legte. Seine Inspiration: die Massai. Ob er wusste, dass die Tradition, auf die er setzte, erst kurz vor seiner Geburt überhaupt in Mode kam?

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