Schmuck:Glänzende Ansichten

Biedere Bauten und viele Schulden: Bei Pforzheim denkt man erst mal nicht unbedingt an Luxus und Glamour. Dabei befindet sich die Stadt eigentlich seit 250 Jahren im Goldrausch.

Von Josef Kelnberger

Ein Hauch von Gold schimmert unter dem hochgeschlossenen Kragen von Claudia Wellendorff hervor: die Wellendorff-Kordel, verwoben aus hauchdünnen Goldfäden. Hanspeter, der Seniorchef, hat sie erfunden und zum Markenzeichen seines Unternehmens gemacht. Im Showroom ihrer Schmuckmanufaktur, wo man sich zum Gespräch getroffen hat, glänzt es golden aus den Vitrinen, fast hat man den Eindruck, es liege Goldstaub in der Luft. Die neueste Kreation des Hauses wiegt allerdings zweieinhalb Tonnen und lagert in der Enz, dem Fluss, der draußen vorbeizieht. Ein Granitfindling aus dem Schwarzwald, dem Hanspeter Wellendorff ein "Kleid aus Gold", wie er es nennt, geschneidert hat, 24 Karat. "Damit man auch wirklich sieht, wir sind hier in der Goldstadt", sagt die Juniorchefin. Um ihre Heimatstadt ins rechte Licht zu setzen, müssen eben sogar die Meister der dezenten Goldkunst zu gröberen Mitteln greifen.

Schmuck: Claudia Wellendorff ist Juniorchefin des Traditionsjuweliers.

Claudia Wellendorff ist Juniorchefin des Traditionsjuweliers.

(Foto: Berthold Steinhilber/laif)

"250 Jahre Goldstadt" feiert Pforzheim, ein Anlass, genauer hinzuschauen. Was ist das für eine Stadt, aus der nach eigenen Angaben 80 Prozent der deutschen Schmuckexporte kommen? Müsste sie nicht auch eine goldene Seele haben? 1767 erhielt Pforzheim von Markgraf Karl Friedrich von Baden das Privileg zur Herstellung von Taschenuhren und Schmuck, so hat alles begonnen. Doch passt die Tradition von Schönheit und Reichtum nicht zum Ruf der Stadt. Es ist nicht alles Gold in Pforzheim, und wenig glänzt. Selbst die Firma Wellendorff, die ihre Colliers, Ringe, Armbänder in Boutiquen von Peking bis San Francisco verkauft, residiert in einem Gebäudeblock, dessen Fassade den Geist der Fünfzigerjahre atmet.

Die mit 120 000 Einwohnern achtgrößte Stadt Baden-Württembergs macht Schlagzeilen als AfD-Hochburg, als Schauplatz rechter Aufmärsche, mit ihrer Salafisten-Szene, dem Spätaussiedler-Brennpunktviertel Haidach. Sie ist hoch verschuldet, geschlagen mit landesweiten Spitzenwerten bei Hartz IV und Arbeitslosigkeit, hadert mit der großen Zahl von Zuwanderern. Wenn man nun bis in den Herbst hinein feiert mit Ausstellungen, Konzerten, Symposien, ist dies auch ein Akt der Selbstfindung und Signal an den Rest der Welt: Hier ist nicht alles so schlimm, wie ihr tut.

"Eine Stadt des zweiten Blicks" sei Pforzheim, sagt Claudia Wellendorff. Der Saarländerin wurden die Schönheiten Pforzheims nahegebracht von Georg Wellendorff, der mit seinem Bruder Christoph Anfang der Neunziger in die Leitung des Familienunternehmens einstieg. Sie kümmert sich um die Außendarstellung des Unternehmens. Gern erzählt sie, die Wellendorff-Männer würden den Schmuck aus Liebe zu ihren Frauen entwerfen. Eine Geschichte, immerhin, in einer Stadt, die nach ihrer eigenen Erzählung sucht. Hanspeter Wellendorff spricht viel über Fehler der Stadtpolitik, wirtschaftsfeindliche Steuern und Gebühren und davon, dass der neue Oberbürgermeister alles zum Besseren wenden könne. Aber auf der Suche nach den Gründen für die Pforzheimer Malaise führt kein Weg vorbei am 23. Februar 1945.

Als Zehnjähriger erlebte Wellendorff den britischen Bombenangriff von einem Hügel über der Stadt aus. 18 000 Menschen starben im Feuersturm, ein Drittel der Stadtbevölkerung. Fast alle Gebäude im Zentrum wurden zerstört. "Acht Tage hat der Aschehaufen geglüht", sagt Wellendorff, "so lange konnte man die Stadt nicht betreten." Er schaut zu Boden, knetet die Hände, dann sagt er: "Tempi passati."

Schmuck: Zwischen Goldglanz und dem grauem Charme der Fünfziger. Pforzheim sucht nach einer Vorstellung von der eigenen Zukunft.

Zwischen Goldglanz und dem grauem Charme der Fünfziger. Pforzheim sucht nach einer Vorstellung von der eigenen Zukunft.

(Foto: Berthold Steinhilber/laif, Uli Deck/dpa)

Man muss kein Psychoanalytiker sein, um zu verstehen, dass ein derartiges Trauma so schnell nicht vergeht. War die Bombardierung gerechte Strafe dafür, dass Pforzheim mit dem Know-how der Goldstadt nach Kräften Rüstungsgüter produzierte? Oder ein Kriegverbrechen? Noch heute wird gestritten. Damals machte man sich sprachlos an den Wiederaufbau und gelangte schnell zu neuem Wohlstand. Auch Alexander Wellendorff baute die 1893 gegründete Firma auf Ruinen neu auf. Sein Sohn Hanspeter machte das mit einem Brillanten versetzte Wellendorff-W zur Weltmarke. Er setzt bis heute auf heimische Qualitätsarbeit, auf die Hochschule für Gestaltung, die Goldschmiedeschule. Geschäfte für Goldschmiedebedarf gebe es in Pforzheim wie anderswo Bäckereien, sagt Claudia Wellendorff, die Infrastruktur sei unvergleichlich. Andere Schmuck- und Uhrenhersteller verlagerten dennoch Arbeitsplätze nach Asien. Fast 30 000 Pforzheimer waren einst in der Branche beschäftigt, heute sind es deutlich weniger.

Natürlich lassen sich nicht alle Probleme auf den 23. Februar 1945 zurückführen. Aber man stelle sich vor, Pforzheim wäre noch die in sich ruhende Fachwerkstadt am Rand des Schwarzwalds, malerisch gelegen an den Flüssen Enz, Nagold und Würm. Warum sollte sie nicht florieren wie andere Südwest-Städte ähnlicher Größe? Doch Pforzheim sieht nun mal aus wie ein Museum der Nachkriegszeit. "Ein Zeitzeugnis" nennt Hanspeter Wellendorff seine Heimat. "Keine andere Stadt hat eine solch geschlossene Architektur der Fünfzigerjahre." Ob man darauf nicht auch stolz sein könne? Irgendwann vielleicht, erwidert er.

Es gibt in Pforzheim durchaus Menschen, die die Architektur der Fünfziger nicht als Inbegriff grauer, autofreundlicher Spießigkeit verachten. Die den Geist von Freiheit und Transparenz entdecken in verschwenderischen Glasflächen, schwebenden Dächern, Mosaiken. Das Bahnhofsgebäude, Inbegriff dieser Architektur, steht unter Denkmalschutz. Aber zur Identitätsstiftung, gar als Touristenattraktion taugt dieses Erbe nicht.

Goldstadt Pforzheim

Der neue Oberbürgermeister Peter Boch (links) hat ganz eigene Ideen für die Zukunft seiner Stadt.

(Foto: Martin Sigmund)

"Die Pforzheimer Gebäude stehen, wie sie seit den Fünfzigern stehen", findet Julius Schuster, "man hat nicht versucht, mit ihnen zu arbeiten, sie ironisch zu brechen." Schuster, Design-Student, lebt erst seit einem Jahr in Pforzheim und würde niemals behaupten, Wahrheiten über diese Stadt verbreiten zu können. Und doch lohnt es sich unbedingt, ihm zuzuhören.

Die Fakultät für Gestaltung der Hochschule Pforzheim wird gerühmt wegen der künstlerischen Ausbildung, die sie ihren Studierenden mitgibt, ob sie nun Schmuck, Mode oder Grafik entwerfen. Schusters Studiengang "Transportation Design" gilt als weltweit führend. Zur Vorbereitung auf das Studium hat Schuster aber nicht ein Auto entworfen, sondern einen silbernen Kugelschreiber namens "Halm". Mit diesem Stift, von verblüffendem Minimalismus in Form und Funktionsweise, hat er es als einziger Student in eine Ausstellung seiner Hochschule zum Thema "Luxus!? Positionen zwischen Opulenz und Askese" geschafft. Schuster hat seinen Stift nicht nur entworfen, sondern kümmert sich auch um Bau und Vertrieb via Internet.

Die Ausstellung fand ihren Platz im Alfons-Kern-Turm, der nichts anderes ist als das Treppenhaus einer in den Fünfzigern gebauten Schule. Die Schule wurde 2010 abgerissen, das Treppenhaus samt angrenzenden Klassenzimmern musste stehen bleiben wegen der denkmalgeschützten Sonnenuhr an der Fassade. Wenn man eine originelle Symbiose der Fünfzigerjahre mit der Gegenwart sucht, findet man sie im ruinenartigen Charme des Pforzheimer Alfons-Kern-Turms. Er wurde anlässlich des Gold-Jubiläums saniert für die Kulturschaffenden der Stadt, im Juli stellten die Design-Studenten dort Arbeiten aus.

Goldstadt Pforzheim

Man merke Pforzheim an, dass sich die Stadt nicht wohlfühle in ihrer Haut, findet Designstudent Julius Schuster.

(Foto: Martin Sigmund)

Julius Schuster steht im obersten Stock des Turms, in einem ehemaligen Klassenzimmer. An den Wänden sind Flecken von Blattgold zu erkennen, Besucher der Luxus-Ausstellung durften das Zimmer golden verzieren. Man merke dieser Stadt auf Anhieb an, dass sie sich nicht wohlfühle in ihrer Haut, sagt er mit einem Blick aus dem Fenster. Sie brauche die Sonne mehr als andere Städte. Draußen glitzert die Enz im Sonnenlicht.

Viele Pforzheimer scheinen die Sonne mittlerweile in ihre Stadt zwingen zu wollen. So ist zu erklären, dass sie Anfang Mai den 37-jährigen Peter Boch, bislang Oberhaupt der Schwarzwaldgemeinde Epfendorf, zum Oberbürgermeister wählten, als ersten CDU-Mann überhaupt. Er besiegte den Amtsinhaber Gert Hager von der SPD im ersten Wahlgang. Angela Merkel rief persönlich an, um Boch zu gratulieren. Die Sozialdemokraten schimpften, es habe der Schein über die Substanz gesiegt, der Stil über den Inhalt. Peter Boch weist das natürlich zurück, muss das aber nicht als Beleidigung empfinden in einer Stadt, die dringend eine neue Ästhetik braucht.

Sein neues Amt tritt Peter Boch am 1. August an, er ist anzutreffen in der Lobby eines Pforzheimer Hotels. Signalrote Krawatte, stylishe Brille, Dreitagebart, Haare aufwärts gegelt. An der rechten Hand trägt er einen Goldring, am linken Handgelenk eine dicke Uhr, die nicht aus Pforzheimer Herstellung stammt. Das werde er bald ändern, sagt er und lächelt dazu sein Wahlkampflächeln. Zum ästhetischen Gesamtkunstwerk gehört die Vita. Die Ausbildung zum Balletttänzer an der Münchner Bosl-Stiftung beendete er wegen chronischer Hüftbeschwerden. Er ging zur Polizei, arbeitete als Drogenfahnder, ließ sich zum Personenschützer ausbilden, bewachte die Landesväter Oettinger und Mappus.

Boch hat sich nun sehr viel mehr vorgenommen, als die Stadt wirtschaftlich wieder in Schwung zu bringen. Im Wahlkampf hat man ihm den Begriff "Bruddler" erklärt, so nennt man den typischen Pforzheimer Nörgler. Dieses Bruddlertum will er vertreiben. "Niemals", sagt er, "werde ich schlecht über Pforzheim reden." Und die alte Goldstadt? Müsse mit ihrem Know-how zu einer Stadt der Präzisions- und Medizintechnik werden, sagt Boch.

Anlässlich des Jubiläums hat man viel Gold über Pforzheim verteilt. Gegenüber dem Rathaus steht nun auch eine vergoldete Mülltonne. Fünf Millionen Euro kostet das Jubiläum, zur Hälfte finanziert über Sponsoren. Ein stadtbekannter Eventmanager machte dieser Tage Furore mit der Video-Botschaft, das Jubiläum sei "Geldverschwendung". Es gehe an der Jugend vorbei, sei abgesehen von den Arbeiten der Design-Studenten "altbacken".

Hanspeter Wellendorff steht zum Goldstadt-Programm. Bei der Eröffnungsgala mit Stargast José Carreras erkannte er im Publikum "sehr attraktive, sehr gut gekleidete und geschmückte Herrschaften" im Publikum. "Die Menschen glauben an die Goldstadt als Leuchtturm, diese Qualitätsmentalität wird immer noch gelebt", sagt er. Man muss nun gar nicht darum bitten, Hanspeter Wellendorff selbst fordert seine Schwiegertochter auf, ihr Collier dem Gast anzuvertrauen. Und so hält man in der Hand: die Kordel, den Klassiker der Firma, 18-karätiges Gold, verarbeitet zu hauchdünnen Drähten, für ein mittleres Collier werden 160 Meter davon verwoben. Seidenweicher Luxus, gemacht für die "established lady", wie die Juniorchefin sagt. Man gibt ihn sofort zurück.

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