Samstagsküche zu Weinqualität:Traubensbekenntnis

Samstagsküche zu Weinqualität: Weine nicht, wenn der Regen fällt, sonst ist dank Twitter auch rasch das Renommee für die Tonne. Illustration: Stefan Dimitrov

Weine nicht, wenn der Regen fällt, sonst ist dank Twitter auch rasch das Renommee für die Tonne. Illustration: Stefan Dimitrov

Herrje: erst Regen, dann keine Sonne und nun noch die Kirschessigfliege! Wie in Internet und Medien noch vor Ende der Weinlese ganze Jahrgänge schlechtgeredet werden.

Von Stephan Reinhardt

Nie zuvor konnte man den Winzern der nördlichen Hemisphäre so nahe sein, nie so an ihren Sorgen teilhaben wie in diesen Tagen und Wochen. Dafür muss man nicht mal sein Sofa in Nürnberg, Berlin oder Oberhausen verlassen. Die Weinlese findet längst auf unseren Flachbildschirmen und digitalen Gadgets statt, wenn wir denn die richtigen Kanäle wählen. Und damit sind nicht die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gemeint, welche die Weinlese Jahr für Jahr ins immer gleiche Sonnenlicht tauchen, während blau bekittelte Winzer ihre Expertisen zu Erntemenge und erwarteter Weinqualität abgeben. Nur die maschinellen Vollernter im Hintergrund machen einem dabei bewusst, dass auch der Weinbau ein Zweig der Landwirtschaft ist und keiner der Zauberei, der Mystik oder Romantik.

Zerstörerische Fliegenplage

"Wir arbeiten unterm offenen Dach, also unter den denkbar riskantesten Bedingungen", sagt etwa Jochen Becker-Köhn, Verkaufsleiter vom Rheingauer Vorzeigeweingut Robert Weil, bevor er in den Flieger nach Asien steigt. Vier Wochen lang wird er dort jetzt jenen Jahrgang verkaufen, über den in Deutschland kaum noch einer spricht. Denn das Problem des 2013ers ist, dass seine edelsten Weine zu einer Zeit auf den Markt kommen, in der halb Europa versucht, den Jahrgang 2014 zu retten, während die andere Hälfte den Kampf um reife und gesunde Trauben in den sozialen Medien zu kommentieren scheint. Und weil alle gerade so schön in Fahrt sind und sich schon der September nicht so golden zeigte wie erhofft, schicken die Bedenkenträger, Panikmacher und Besserwisser nach dem 2013er auch gleich den nächsten Jahrgang in die Wüste, bevor die Lese überhaupt abgeschlossen ist.

Der "Vierzehner" ist zwar noch nicht da, aber trotzdem bereits seit Anfang September allgegenwärtig, da er via Twitter und Facebook auf unsere Tablets und Smartphones kommt wie die Trauben auf die Presse. Diesmal wurde die ursprünglich aus Asien stammende Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) zur Hauptdarstellerin des Frühherbstes, der bereits Ende August begann. Sonst macht diese Fliege den Obstbauern Sorge. Nun aber beunruhigte sie im Südbadischen, später auch rheinaufwärts die Winzer, allen voran jene, die auf frühreife Rotweinsorten wie Dorn- und Dunkelfelder setzen, auf Acolon oder Regent. Auf deren weichen Schalen hockte die Fliege und beschädigte kaum sichtbar die Beerenhäute, aus denen in der Folge das Fruchtwasser rann und zu Essig wurde.

Für die Weinerzeugung sind derart beschädigte Trauben damit passé. Da die hierzulande noch wenig bekannte Kirschessigfliege pro Jahr bis zu 13 Generationen auf den Weg bringt, sprach man Ende August bereits von einer Plage, die große Teile der Weinernte zu vernichten drohte. Hinzu kam, dass im September nicht nachlassender Regen in Kombination mit Wärme den Fäulnisdruck in den Beeren enorm erhöhte, obgleich diese noch gar nicht reif waren. Nun lassen sich aus edelfaulen Beeren zwar famose - und sehr teure - Süßweine erzeugen, faule grüne Beeren aber kann man nur noch wegwerfen.

Winzer drohen dem Wetter per Twitter

In Deutschlands Weingärten also begann das große Bangen. Sollte der 2014er Jahrgang nicht in einer Katastrophe münden, hieß es noch Mitte September, müsse es jetzt sofort aufhören zu regnen. Aber es regnete weiter, jedenfalls in vielen Weinregionen. So mancher Winzer drohte dem verrückten Wetter via Twitter sogar mit Bestrafung, zumindest aber mit Kündigung. Andere posteten zu Lesebeginn schicksalsergebene Texte, als würden sie nicht in die Weinlese, sondern in den Krieg ziehen, aus dem sie, wenn überhaupt, nur versehrt zurückkommen würden. Dirk Würtz, bloggender Weinmacher auf dem Rheingauer Weingut Balthasar Ress, teilte im September gleich mehrmals täglich seine Verzweiflung mit, bevor er dann nach einer goldenen ersten Oktoberwoche am vorigen Wochenende Fotos und Filmchen von herrlichsten Spätburgundertrauben und in der Sonne strahlenden Rieslingbeeren mit den Worten kommentierte: "Geht doch."

2013er Top-Rieslinge für den Keller

Julius-Echter-Berg, Ruck (Franken): ein gnadenlos guter Riesling aus "Erster Lage": pur, kühl und vibrierend vor Spannung.

Küchenmeister Hoheleite, Weltner (Franken): Achtung, ein Riesling, kein Silvaner: tiefer, reichhaltiger und eleganter Wein vom Keuperboden. Ewig lang anhaltend, haltbar.

Würzburger Stein-Harfe, Bürgerspital zum Hl. Geist (Franken): Der vielleicht beste Frankenriesling aus 2013: rauchig, salzig, saftig, druckvoll und lang anhaltend. Ewig haltbar.

Pulvermächer, Beurer (Württemberg): Ja, sie können auch Riesling drüben bei Stuttgart! Jochen Beurer legt ihn ins Holz und maischt mit den Händen. Kein filigraner, aber sehr intensiver Riesling, raffiniert und elegant.

Idig, A. Christmann (Pfalz): Biodynamisch erzeugtes Pfälzer Highlight. Immer eine Bank, aber selten so gut und knackig und dramatisch wie jetzt. Grand Crü uff Pälzisch.

Ungeheuer, von Winning (Pfalz): Die perfekte Vermählung von saftiger Pfalzfrucht und dem Salz des Bodens. Ein Hammer!

Hubacker, Keller (Rheinhessen): Hausmarke des rheinhessischen Stars. In der Vergangenheit öfter mächtig, seit 2010 auf schlanker Linie. Der 2013er ist irrsinnig mineralisch!

Pettenthal, Schätzel (Rheinhessen): Kompromisslos puristisch und klirrend mineralisch, vom Roten Hang in Nierstein. Kommt vom roten Schiefer und schmeckt auch so: intensiv!

Rüdesheimer Berg Schlossberg, Georg Breuer (Rheingau): Einer der herausragenden deutschen Rieslinge! Eher was für Kenner.

Rosengarten, Spreitzer (Rheingau): Von einer Parzelle aus dem Oestricher Doosberg: Sinnlich bis zum Glasrand und darüber hinaus. Diesen Riesling kann man streicheln!

Zwischen Verzweiflung und Zuversicht lag jedoch kein Wunder, sondern eine penible Selektionsarbeit in den Weingärten. Überall in Deutschland wurden zuletzt faule Beeren aus den Trauben geschnitten, um dem Rest das volle und gesunde Ausreifen zu ermöglichen. Dazu wurde das Laub in der Traubenzone entfernt, um für eine bessere Belüftung zu sorgen. "Einen schlechten Jahrgang können wir uns nicht mehr leisten", sagen gute Winzer wie der fränkische Winzer-Star Horst Sauer. "Egal was kommt, wir müssen uns eben darauf einstellen und die entsprechenden weinbaulichen Maßnahmen ergreifen. Am Ende ist es dann weniger die Qualität als die Stilistik, die einen Jahrgang auszeichnet."

Die Wahrheit sieht besser aus

In der Tat sieht es in den hiesigen Weingärten jetzt deutlich besser aus als noch Ende September, als aufgrund des Wetters so mancher Winzer via Facebook "dringend Helfer zur Ernte" suchte, während andere darüber klagten, dass ihnen die Lesehelfer trotz Mindestlohn nach zwei Tagen Arbeit schon wieder abhandengekommen waren. "Die Erträge werden höher sein als letztes Jahr, wo sie aufgrund hoher Selektion extrem niedrig waren", mutmaßt Klaus Peter Keller, renommierter Winzer in Rheinhessen. Auch die Grundreife der Beeren werde höher sein und "zwischen der von 2011 und 2012" liegen.

Kellers Spätburgundertrauben sind längst gepresst, der gärende Most liegt bereits "duftend und wohlschmeckend" im Holzbottich. Auch beim spät reifenden Riesling zeigte sich Keller zuletzt optimistisch. Wie auch die Kollegen an Rhein und Mosel. "Wenn es gut läuft, ernten wir die besten Qualitäten unserer Kalksteinlagen Ende nächster Woche, so dass wir bis Anfang November fertig sind", so Keller. Während auch mancher Saar-Winzer gerade erst mit der Hauptlese begonnen hat, sind die Trauben in wärmeren Steillagen entlang des Rheins oder in Teilen der Pfalz bereits glücklich gelesen.

Doch was zählt die Wahrheit, wenn die vermittelte eine ganz andere ist? Weil viele Winzer ihr Bangen und Hoffen via Handy-Kamera, Tweets und sonstiger Beiträge in den sozialen Netzwerken inszenieren, als sei nicht erst der fertige Wein das zu verkaufende Produkt, sondern auch sein Werden, ging es prompt wieder los mit den Spekulationen und voreilig gefassten Meinungen über einen Jahrgang, der noch gar nicht im Bottich ist. Und die Beschleunigung, mit der sich die Horrormeldungen über das angebliche Jahrgangs-Desaster verbreitet, ist so erstaunlich wie schädlich.

Voreilige Schlüsse, verhängnisvolle Vorurteile

Wobei man voreilige Schlüsse schon immer gezogen hat. Nur zur Erinnerung: 2003 sollte der "Jahrhundertsommer" zunächst "Jahrhundertweine" hervorbringen, tat das dann aber höchstens vereinzelt. 2008 galt erst als "zu sauer", wurde dann jedoch ein Jahrgang, dessen Weine heute oft wundervoll zu trinken sind. 2010 wiederum meldete eine große Sonntagszeitung im strömenden Regen des Hochsommers allzu hurtig einen "Arsch-Jahrgang", ein irriges wie später dann vielerorts unausrottbares Urteil. Und 2013 verlangten erneut kühle Sommertemperaturen und Regenmassen im Herbst den Winzern alles ab. Als Konsequenz traute sich dann kaum mehr einer zu sagen, was erst zuletzt Gewissheit wurde: dass bei extrem knappen, handverlesenen Erntemengen zu Herbstende doch noch einige großartige Weine für eine halbe Ewigkeit entstanden sind.

Da war das Image des 2013er-Jahrgangs bereits eher negativ, erst Mitte September zementierte eine große deutsche Wochenzeitung das Image mit Worten wie "verheerend", "enttäuschend", "fehlerhaft" und "Desaster". Und ein Bremer Weinhändler, der ebenfalls im September die eben dort verrissenen Lagenrieslinge des Jahrgangs 2013 enthusiastisch anpries, wurde als "impertinent und anmaßend" beschimpft, da "sowohl 2013 als auch 2014 schwache Jahre in Deutschland" seien, wie ihn ein echauffierter Kunde wissen ließ, das habe er schließlich gerade selbst gelesen.

Dabei entscheidet sich die wahre Güte eines Weinjahrgangs immer erst ganz zum Schluss. Denn wer guten Wein erzeugen will, braucht nicht nur viel Glück und passendes Wetter, sondern auch einen kühlen Kopf und Nerven wie Drahtseile. Der 2013er etwa wurde erst von Mitte Oktober an zum Ereignis, und auch die Güteklasse des früh ausgetriebenen 2014er entscheidet sich bei den edlen spät reifenden Sorten wie Riesling vielerorts erst dieser Tage.

Für guten Wein braucht man einen kühlen Kopf und gute Nerven

Wer die Irrungen und Wirrungen der Jahrgangsdebatten ausblendet, dem kann man die Lagenweine des Jahrgangs 2013, allen voran die Rieslinge deutscher Spitzenerzeuger, nur empfehlen. Es sind klare, aromatisch vornehme und in der Säure rassige Weine mit hohen Extrakt-, aber vergleichsweise moderaten Alkoholwerten von 12/12,5 vol.-Prozent bei den trockenen Weinen. Sie werden über die kommenden Jahre noch feiner und komplexer und ihren Höhepunkt erst gegen Ende der Dekade erreichen, diesen dann aber sicher über weitere Jahre halten können.

Diese Weine, deren Trauben erst nicht reifen wollten, weil es zu kühl und zu nass war und die Ernte im Oktober immer wieder unterbrochen werden musste, wurden aber erst sehr spät, bis Anfang November, gelesen - dafür dann bei Sonnenschein, Trockenheit und kühlen Temperaturen. Betriebe, die es sich leisten konnten oder wollten, hatten zuvor mit großer Mannschaft bis zu 50 Prozent ihrer Trauben und Beeren auf den Boden geschnitten, weil die sich rasch ausbreitende Fäulnis sonst das gesamte Lesegut befallen hätte. Markus Molitor etwa ging in seinen steil fallenden Toplagen an der Mosel teils mit nur neun Hektolitern pro Hektar aus dem Herbst. Aber was für Rieslinge! In Wahrheit sind es nämlich schwierige Jahrgänge wie 2008, 2010, 2013 und vielleicht auch 2014, in denen aus Winzern Helden werden können.

Auch sind die 2013er die teuersten Weine der vergangenen Jahre; aber nur in der Produktion, die einen hohen Personal- und Arbeitszeitaufwand, zumal in den Mosel-Steillagen, bei zugleich mickrigen Erträgen mit sich brachte. Im Verkauf sind diese Weine aber nicht teurer. Es wird noch einige Jahre dauern, bis Deutschlands trockene Spitzenrieslinge, die etwa 20 bis 40 Euro pro Flasche kosten, auch international derart gefragt sind, dass sich die Preisspirale für die "Großen Gewächse" nach oben dreht wie schon lange bei vergleichbaren Spitzenweinen aus Teilen Frankreichs, Italiens, Spaniens oder Kaliforniens.

Stephan Reinhardt arbeitet als deutscher Reviewer bei Robert Parker's Wine Advocate und schreibt gelegentlich als Gastautor für die Samstagsküche

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