Samstagsküche:Wiener Gold

Schloss Schönbrunn hat einen der vielfältigsten und wertvollsten Zitrusgärten der Welt. Auch Köche schätzen die Früchte von dort.

Von Kathleen Hildebrand

Es gibt kaum ein Stück aus Kaiserin Sisis Besitz, das man in Wien nicht ehrfürchtig bestaunen kann. Kleider, Haarschmuck, ihre Spielesammlung, zu besonderen Anlässen wird in der Hofburg sogar einer ihrer Milchzähne gezeigt. Eines aber wissen nur wenige: Im Garten von Schloss Schönbrunn blühen noch immer mehrmals im Jahr Sisis Pomeranzen. Sie gehören zu einer der größten und ältesten Zitrussammlungen Europas, einem gelbgoldorangenen Schatz, der auch für Köche ein Traum ist, und für den man eben nicht bis nach Sizilien oder nach Amalfi reisen muss. Wien reicht völlig.

Wer die Orangenbäume sehen will, aus deren Früchten früher mutmaßlich kaiserliche Marmelade gemacht wurde, muss links am Schloss Schönbrunn vorbei. Dann eine lange Allee entlang, vorbei an der Orangerie von 1755 und kurz vor dem Tor einen leichten Hang hinauf. Dort liegen, ganz versteckt, die Gewächshäuser von Schönbrunn. Im Winter schützen sie eine der größten Zitrussammlungen Europas vor der Kälte. Sie sind das Reich von Zitrusgärtner Heimo Karner, einem kräftigen Mann mit zerfurchtem Gesicht. Wenn er von seinen Bäumen spricht, richtet er sich auf und lächelt ein bisschen. "Wir haben 45 Pflanzen, die zwischen 1850 und 1860 angeschafft wurden", sagt er. "Also in der Zeit von und kurz nach Sisis Hochzeit mit Kaiser Franz Joseph."

Heimo Karner duckt sich unter den Kronen einer Baumreihe hindurch und bleibt neben einem mannshohen Bäumchen stehen. Ist das jetzt einer von den alten? Mit diesem dünnen Stamm, der sich mit zwei Händen beinahe umfassen lässt? Heimo Karner sagt: "Ja." Der Baum ist 180 Jahre alt. Weil die Pflanzen in Töpfen stehen, wachsen sie langsam. "Das ist ein bisschen wie bei Bonsaibäumen."

Trotz zierlicher Stämme ist der Platz in Heimo Karners Glashäusern knapp. 500 Zitrusbäume umfasst die Sammlung von Schönbrunn, an die hundert Sorten werden hier kultiviert. Sorten, die der normale Supermarktkunde kaum je zu Gesicht bekommt. Wie die Zedratzitronen, sehr sauer, mit narbiger Haut und dicker Albedo - das ist die Schicht zwischen Schale und Fruchtfleisch. Ja sogar Sorten, von deren Existenz er nichts ahnt. Wie die Deutsche Landsknechthose, eine Bitterorange mit gestreifter Schale, wegen ihrer Seltenheit Heimo Karners Lieblingsfrucht. Oder Rote Zitronen. Und die wildeste von allen: Buddhas Hand. Die Zitrone mit den vielen dünnen Fingern, die aussieht, als züngelten einem die Schlangen eines Medusenhaupts vom Baum entgegen.

Seit etwa 370 Jahren werden im Schönbrunner Schlossgarten Zitrusfrüchte angebaut, nach Wien kamen die ersten Pomeranzenpflanzen im Jahr 1542. Die Bäumchen waren lange Statussymbole, nördlich der Alpen konnten nur Fürsten und wohlhabende Bürger sie sich leisten. Die Orangerien, die Zitrusbäume vor den harten nordischen Wintern schützen, ihnen aber mit ihren großen Fensterfronten doch genügend Licht lassen, waren architektonische Meisterwerke. Die Orangerie von Schloss Schönbrunn war nach der von Versailles die größte in Europa. Heute beherbergt sie ein Café, die Zitrusbäume mussten dafür in den Neunzigerjahren ausziehen.

500 Zitrusbäume

... umfasst die Sammlung von Schönbrunn. Manche von ihnen sind 180 Jahre alt, trugen also schon zu Sisis Zeiten Früchte. Heute gibt es etwa hundert Sorten, darunter Rote Zitronen oder die Deutsche Landsknechthose, eine extrem seltene Blutorange.

Jetzt, im späten April, müssen die 500 grünen Kübel hinaus in den Kronprinzengarten geschafft werden, wo sie den Sommer über stehen. Heimo Karner füllt dann jeden Morgen einen Tankwagen mit Wasser und gießt seine Pflanzen, eine nach der anderen, um sechs Uhr früh geht es los. "Das ist eigentlich der schönste Teil der Arbeit", sagt er, "so entspannend."

Das ist nicht immer so. Zitruspflanzen sind anspruchsvoll. Wind zum Beispiel: Mögen sie gar nicht. Wasser? Brauchen sie natürlich. Aber bitte nur lauwarm und schön abgestanden. Die Erde kompostiert Heimo Karner selbst aus Buchenlaub und Pferdemist. Seine Bäumchen sind gesund. Die Blätter glänzen dunkelgrün, und obwohl die Ernte gerade vorbei ist, sind viele Zweige schwer von Früchten in Grün, Gelb und Orange. Gerade hat er alle mit Schmierseifenwasser abgesprüht, gegen die Läuse. Chemie kommt Heimo Karner nicht ins Glashaus. Im Schlossgarten ist alles bio.

Einer, den diese Strenge besonders freut, ist Heinz Reitbauer. Der Chef des vielfach ausgezeichneten Restaurants Steirereck kauft die historischen Früchte kistenweise in der Schönbrunner Gärtnerei. In der Bar seines Restaurants im Wiener Stadtpark erklärt er, warum er bei seinen Gästen anfangs Aufbauarbeit in Zitrusdingen leisten musste: "Man kennt von Zitrusfrüchten ja normalerweise nur etwa fünf bis sieben verschiedene Aromen. Mit den historischen seltenen Sorten mussten wir deshalb lange experimentieren. Wir selbst als Köche - aber auch die Gäste - mussten sie erst kennenlernen."

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Fremden Preziosen wie Buddhas Hand, kannelierter Orange und Persischer Limette näherten sich die Köche im Steirereck deshalb beinahe wie Botaniker. Sie schnitten die Früchte in hauchdünne bunte Scheiben, servierten sie kandiert und getrocknet auf einem speziellen Verkostungswagen zum Abschluss eines Menüs: "Wir wollten sie den Gästen wie einen Schatz darbringen." Mittlerweile ist der Zitrusgarten von Schönbrunn "kein Geheimtipp mehr", sagt Heinz Reitbauer. Und im Steirereck kennt man die Früchte jetzt gut genug, um sie in verschiedensten Varianten zu servieren. Als Carpaccio, zum Beispiel, oder in Salaten. Besonders als Würzmittel sind die Zitronen in der Küche des Hauses etabliert: Die dicke Albedo der Zedratzitronen wird gewürfelt, in einem mehrstufigen Verfahren gekocht und dann zum Beispiel auf geschmortem Lamm mit Majoran und schwarzem Knoblauch serviert. Die weichen weißen Würfelchen haben eine sehr feine Säure und eine ebensolche Konsistenz, sie zerfallen im Mund. Der Saft, der beim Aufkochen der Albedo entsteht, ist Zutat des hauseigenen Limoncellos. Eine getrocknete Zitrone, die karamellig duftet, reibt Reitbauer zum Würzen in Soßen. "Wir lernen ständig dazu, wir haben mit den Zitrusfrüchten noch längst nicht abgeschlossen." Nur eines, das macht er nicht: "Saft pressen wir keinen draus", sagt Heinz Reitbauer. Dazu sind sie viel zu wertvoll.

Zurück im Schlosspark, geht Heimo Karners Arbeitstag zu Ende. Seit frühmorgens ist er im Garten unterwegs, hat die Pflanzen in ihren großen, grünen Kübeln rausgeräumt, die der Fassbinder von Schönbrunn extra nach Karners Angaben herstellt. Bald, vom 13. bis zum 16. Mai, sind wieder Zitrustage in Schönbrunn. Hobbygärtner und Parkbesucher bekommen dann die Bäume gezeigt, können Früchte kaufen und probieren. Bis dahin müssen alle im Kronprinzgarten stehen. "Das ist viel Arbeit", sagt Heimo Karner. Und Stress ist nicht gut: "Wenn ich gestresst bin, dann haben auch die Pflanzen keine Freud. Die spüren das, das ist wirklich so."

Es gäbe einiges, was er sich für seine Zitrusbäume wünschen würde. Mehr Platz zum Beispiel. Oder noch mehr historische Sorten. Zum Züchten eigener, neuer, hat er keine Zeit. Und eigentlich gehören die Bäume im Winter in die Orangerie, wo es länger kühl bleibt, und nicht ins Glashaus, wo sie von Wärmeperioden im Winter verunsichert werden, "gestresst", sagt Heimo Karner. "Ich wäre gern Orangeriegärtner in einem Schloss", sagt er dann. Aber ist er das nicht? "Ja schon. Aber nach oben gibt es keine Grenze."

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