Samstagsküche:Simsalabim!

Wer den Zauber verstehen will, den Sesam in die Küche bringen kann, der sollte nicht versäumen, libanesische Köche zu fragen. Ein Besuch in Beirut.

Von Ronen Steinke

Wenn der Großvater die Ernte einholte, dann hat immer das ganze Haus danach geduftet, oben in dem verwinkelten kleinen Bergdorf im Norden Libanons, wo die Gebäude so ineinander geschachtelt dastehen, dass die Nachbarn schnell neidische Blicke hinüberwerfen. Der Großvater hat die Büschel aufs Dach gelegt, zum Trocknen in der Sonne. Er hat sie von der Decke herab gehängt. Und er hat sie in den Fensterrahmen seines Hauses baumeln lassen, sodass der warme Wind an keiner Stelle hineinziehen konnte, ohne an ihnen vorbeizukommen.

Ein sehr feiner, ein fast zurückhaltender Duft war das, zumal in einer Landschaft, die von kräftigen Kräuterwiesen geprägt ist, im nördlichen Distrikt Akkar. Aber angenehm, nussig, rund war er, "der Duft meiner Kindheit", erzählt der Enkel, Jean Makhoul. Anschließend schraubt er den Deckel von einer Blechdose. Mit einer Geste lädt er ein zu riechen. Weißer Sesam. Dann öffnet er eine zweite, dann eine dritte Dose: Sesam kommt in allen Farbschattierungen vor, von weiß über braun bis schwarz, je dunkler, desto aromatischer. Wirklich öffnen kann der Sesam sich aber erst, wenn man ihn anröstet. Dann steigt der Duft in ganzer Stärke auf, der in Jean Makhouls Großelternhaus nur als zarte Andeutung in der Luft lag, ein Duft, dessentwegen die orientalische Küche ihm schon 1001 Rezepte gewidmet hat, ganz egal, wie sagenhaft umständlich seine Ernte ist.

Die Sesampflanze sieht so ähnlich aus wie die Cannabispflanze, erklärt Jean Makhoul - und sie verlangt nach fast genauso viel Bearbeitung. Die winzigen Kerne liegen in Schoten versteckt, man muss sehr viele Büschel trocknen und schütteln, bevor man eine ansehnliche Menge des begehrten Stoffes bekommt. Heute ist Makhoul einer der erfolgreichsten Köche in Beirut, jener vom Mittelmeer-Wind gestreichelten Metropole, die sich nachts so gerne aufstylt und einen kleinen Schwips antrinkt, wie es sich die glitzernden Golf-Städte Riad, Doha oder Abu Dhabi höchstens heimlich wünschen. Um Verbotenes zu tun, kommen Muslime aus dem ganzen Erdteil in die Sommerfrische nach Beirut, hier locken Weinlokale, ja sogar Schwulen-Bars und, entlang der Meeres-Promenade, der Corniche, mondäne Restaurants.

Was Italien für die Mittelmeerküche ist, das ist Libanon in den Augen vieler für die orientalische. Was auch daran liegen mag, dass Millionen Exil-Libanesen ihre Kochkunst sehr erfolgreich in der ganzen Welt verbreiteten. Die berühmten Mese etwa, die Vorspeisen, die für Beiruts Restaurantkultur mit ihren herrlichen Gelagen eine so große Rolle spielen und von denen manchmal bis zu 50 Teller auf den Tisch kommen, für die der Gast gern mehrere Stunden veranschlagen darf.

Libanon ist grün und fruchtbar, die Römer nannten die Region einst ihren Obstgarten

Das Land besteht aus so vielen Ethnien und Religionsgruppen, dass keine von ihnen die Mehrheit hat, stattdessen gehört jeder Mensch hier einer Minderheit an, und alle gemeinsam sind sie eingezwängt zwischen Syrien und Israel. Auf einem kleinen Flecken Land, den trotzdem noch keine der vielen Gruppen je verlassen wollte, hat doch die Natur es so viel besser mit ihnen gemeint als die Politik.

Das Land ist streckenweise dunkelgrün, fruchtbar und einladend. Es bringt fette Weintrauben, bekannte Weine und faustgroße Zitronen hervor. Die alten Römer nannten es ihren Obstgarten, und nirgends in ihrem weiten Reich fanden sie einst einen besseren Ort, um ihren zentralen Tempel für Bacchus zu errichten, den Gott des Rausches. Französisch ist hier noch immer zweite Alltagssprache, und Athen ist näher als Mekka.

Jean Makhoul ist als junger Mann nach Beirut gekommen, die Düfte der Großeltern-Küche in der Nase. Es sagt sicher etwas aus über die innige Beziehung der orientalischen Küche zum Sesam - Simsim auf Arabisch, Sumsum auf Hebräisch - , wenn seine besonderen Zuneigung für diese Zutat auf allen Stationen seines Weges vom Straßenkoch bis hinauf in die Spitzenküche zu seinem Erfolgsrezept wurde. Derzeit leitet Jean Makhoul die Restaurants der Rotana-Luxushotelkette, die es in vielen Ländern des Nahen Osten gibt. Und Sesam, dieses kostbare Korn, das die Deutschen eher unmotiviert über Brötchen streuen oder allenfalls als Panade für ein Thunfisch-Steak einsetzen - Sesam ist einer der Schlüssel für eine gute Küche, davon ist Makhoul seit seiner Kindheit überzeugt. Vor allem natürlich als Tahini (auch Tahina), als Paste.

Samstagsküche: Schwarzer und weißer Sesam, es gibt ihn in allen Schattierungen. Je, dunkler, desto aromatischer, heißt es in Beirut.

Schwarzer und weißer Sesam, es gibt ihn in allen Schattierungen. Je, dunkler, desto aromatischer, heißt es in Beirut.

(Foto: imago)

Zum Beispiel für Falafel. "Falafel ist Essen für Leute, die sich kein Schawarma leisten können", sagt der Koch. Die Bällchen aus frittierten Kichererbsen gelten im Orient als billiges Fast-Food. Geadelt werden sie erst durch die Sesampaste, die dazu gereicht wird, das Tahini ist kostbar, es ist nicht billig, es hat seine Verehrer auf allen Etagen der Gesellschaft und wird genauso in cremige Desserts eingerührt (zum Beispiel in Kombination mit Vanille-Eis) wie auf kunstvolle Salat-Arrangements gekleckst. Gestreckt mit zwei Dritteln Wasser und verfeinert mit einem Spritzer Zitronensaft ergibt es eine überraschend würzige Salatsoße, wie auch Makhoul sie gern auf den Tisch bringt. Man muss dazu lange rühren, bis die Mischung aus dem öligen Tahini und dem Wasser homogen wird, die Zitrone macht das Ergebnis fester.

Die reichhaltige Paste kommt im Orient überall dort zum Einsatz, wo europäische Köche vielleicht zu Sahne oder Butter greifen würden. Sie ist eine edle Geheimwaffe des guten Geschmacks. Im Auberginen-Püree Baba Ganusch unterstreicht ein Anteil von 15 Prozent Tahini das Rauchige der gegrillten Aubergine. Im Fischgericht Samaka Harra, auf das sich vor allem die libanesische Hafenstadt Tripoli etwas zugutehält, geht das Tahini eine Verbindung mit Chili und Koriander ein, um den Fisch würzig-frisch zu marinieren.

Tahini ist so teuer, dass viele Herstellerfirmen tricksen. Auch in europäischen Supermärkten kann es passieren, dass die Paste mit Mehl gestreckt ist oder mit Erdnussmus, das ein viel dominanteres, herberes Aroma hat als Sesam. Man kann das von außen mit bloßem Auge kaum unterscheiden, sagt Jean Makhoul. Ein gutes Zeichen sei es aber immer, wenn sich oben Öl absetzt. Das spreche für Reinheit des Tahini, und es wirke wie eine natürliche Schutzschicht gegen Bakterien.

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Sesampaste gilt als sehr gesund: "Ein Löffel davon, schon sind die Bauchschmerzen weg."

Ernährungswissenschaftler sprechen von Antioxidantien und Aminosäuren, arabische Mütter müssen sich aber nicht erklären lassen, dass Tahini gut für den Magen ist. "Ein Löffel davon, schon sind die Bauchschmerzen weg", sagt Jean Makhoul. Für die gesunde Seite des Sesams steht vor allem Saatar, die auf gemahlenem Sesam basierende Gewürzmischung, ein fester Bestandteil der libanesischen Küche. Saatar gilt als gut fürs Gedächtnis, deshalb bekommen Schulkinder es aufs Pausenbrot. Saatar-Brote (Manakisch) sind der einfachste Imbiss, den man sich auf Beiruts Straßen gönnen kann. Ein Fladenbrot, ein paar Tropfen Olivenöl drauf, viel Saatar darüber, ab in den Ofen, "das perfekte Frühstück", erklärt Jean Makhoul. Dazu passen dann frische Gurkenscheiben. In der Gewürzmischung sind noch Thymian sowie das in Europa kaum bekannte Sumach enthalten, das sauerste Gewürz der Welt. Diese Kombination soll schon der jüdische Philosoph und Arzt des zwölften Jahrhunderts Maimonides seinen Patienten empfohlen haben. Sie wirkt entzündungshemmend.

Sesam und die libanesische Küche, ein bisschen ist das auch wie eine kulinarische Liebesbeziehung. Ob mit Tatar, Piment und Orange - in den edleren Rezepten von Chef Ramzi, dem bekannten libanesischen Fernsehkoch. Oder als Zutat in den einfachen Desserts, für die auch Jean Makhoul so schwärmt. Ein wahrer Bio-Energieriegel ist Halwa, die aus Sesampaste gepresste, halbtrockene Masse, die als traditionelle Süßigkeit zu Tee oder Kaffee gereicht wird. (In Deutschland ist sie bekannter unter der türkischen Schreibweise Halva.) Traditionell gibt es das mit Pistazien oder ohne, erst in jüngerer Zeit sind Variationen mit Rosenwasser hinzugekommen, wodurch die Konsistenz elastischer wird, oder mit Kakao, wodurch es aussieht wie ein Marmorkuchen.

Mag es andererseits auch viele medizinische Bedenken gegen die stolze Kalorienbilanz von Sesam-Produkten geben: Die Großmutter von Jean Makhoul jedenfalls, die in dem nordlibanesischen Bergdorf zwischen trocknenden Büscheln der Pflanze lebte, wurde 102 Jahre alt.

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