Samstagsküche:Koch auf Probe

Früher aß er Roadkill vor der Kamera, heute will er mit seinen Selbstversuchen die Welt etwas besser machen: zu Besuch bei Hugh Fearnley-Whittingstall.

Von Marten Rolff

Diese Geschichte muss mit einer Frage beginnen. Oft gestellt von Menschen, denen der Name des hier Porträtierten nichts sagt. Ein fast gestelzt komplizierter Name dazu. Warum also Hugh Fearnley-Whittingstall? Fernsehkoch und Engländer, ausgerechnet, als ob nicht schon zu Hause genügend leidlich bekannte Leute vor der Kamera irgendetwas anrühren. Zu treffen ist der Mann auch noch auf einem Hof im Nirgendwo, in der Grafschaft Devon, endlose drei Zugstunden südwestlich von London.

Eine wichtige Antwort ist, dass man gar nicht oft genug nach England pilgern kann, um sich abzugucken, wie das Prinzip Fernsehkoch funktioniert. Weil viele Deutsche ja immer noch glauben, eine Kochshow entstehe, wenn ein 55-plus-Typ vor einem Topf Spargelcremesuppe herumwitzelt oder ein 35-minus-Fuzzi Zoten reißt und bei 29 hilflosen Umschnitten pro Minute die Küche zerlegt. Ähnlich beliebt: blasse Experten, Pop-Klangteppich, künstliche Spannung und - bei Privatsendern offenbar unverzichtbar - die pädagogische Blödelstimme aus dem Off.

In England dagegen erfindet sich die Kochshow seit Jahrzehnten immer wieder neu, was das Publikum gern mit Traumquoten belohnt. Das Rezept: gutes Storytelling und interessante Menschen, die ein Konzept tragen; oft, weil es für sie erfunden und mit ihnen erst populär wurde. Das mag selten große Küche sein, aber verlässlich: großartige Unterhaltung.

Da sind nicht nur der nette Jamie Oliver oder der großspurige Gordon Ramsay, deren Geschichten so oft erzählt wurden. Da ist auch die mütterliche Mary Berry, "Queen of Cakes", von der zwei Sätze genügen, damit die halbe Nation über Himbeertorte diskutiert. Das wasserdichte Konzept ihrer Show hat übrigens Sat 1 gekauft und unter dem Namen "Das große Backen" nach allen Regeln der Kunst hingerichtet. Da ist auch der schwule Israeli Yotam Ottolenghi, der mit dem Palästinenser Sami Tamimi kochend den Nahost-Konflikt zu lösen schien. Dann gibt es noch den sanften Obstgarten-Literaten Nigel Slater oder die mondäne Nigella Lawson, die auf der Vogue eine so gute Figur macht wie am Herd. Ihr Gegenentwurf war die gerade verstorbene Clarissa Dickson Wright, Juristin und Tochter des Leibarztes der Queen. Die korpulente Dickson Wright brachte ihr Millionenerbe im Suff durch und lebte auf der Straße, ehe sie fürs Fernsehen entdeckt wurde - als eine von "Zwei fetten Damen", die den Engländern glaubwürdig Kalorienbomben andienten.

Hugh Fearnley Whittingstall, Channel 4 UK, September 19, 2013

Eine Frage der Perspektive: der Brite Hugh Fearnley-Whittingstall.

(Foto: Neale Haynes/Getty)

Kurzum: Das britische Koch-TV ist voller brillanter Geschichten, und eine der zeitgemäßesten und beliebtesten erzählt seit mehr als zehn Jahren Hugh Fearnley-Whittingstall, ein Erfolg, der auch noch auf sanfter Pädagogik fußt.

Seine Farm "River Cottage" dürfte in Großbritannien bald ähnlich bekannt sein wie Buckingham Palace. Sie ist Bauernhof und Spielplatz, Fernsehkulisse und Markenname in einem und steht für Nachhaltigkeit und die Idee vom guten Landleben. "Genuss, Inspiration und Verhaltensänderung" nennt der Chef selbst als wichtigste Bildungsziele. Im besten Fall heiße das: Wenn der Stadtmensch am Abend erschöpft auf die Couch sinkt, kriegt er auf dem Schirm blauen Himmel, grüne Wiesen und nützliche Anregungen serviert, danach beschließt er, die eigene Lebensqualität zu verbessern, in kleinen Schritten natürlich, "und wenn er nur anfängt, in einem Topf auf der Fensterbank Kräuter zu ziehen."

Der Eskapismus-Teil funktioniert auch vor Ort schon einmal glänzend. Wer sich vom Parkplatz aus der Farm nähert, muss einige Hundert Meter ins Tal hinabsteigen, über einen mäandernden Sandweg, mit Blick über Wälder, Felder und die Hobbithügel von Devon. 27 Hektar und 35 Mitarbeiter habe der Hof nun schon, immer mehr Bauern hier hätten "auf Bio" umgestellt, schwärmt ein Assistent. Unten geht es vorbei an uralten Steinhäuschen wie dem zur Kochschule umgebauten Stall, wo gerade die Grundzüge der Käserei gelehrt werden; ein Stück weiter liegen Lokal und Testküche, die heute Besuch vom Leibkoch des Thronfolgers hat. Prinz Charles interessiert sich, wie jeder Brite weiß, für ökologischen Landbau, man kennt sich. Und allen hier gemeinsam ist eine beinahe programmatische Freundlichkeit und eine Produkthuldigung, die ans Religiöse grenzt ("Hallo Andy, wie geht's? Wo willst du mit diesem fantastischen Lauch hin?" - "Ja, danke, sieht er nicht toll aus?").

Der Chef bittet in eine Kaminklause, auf Schreinerstühle aus recyceltem Holz. Er trägt schwarze Hornbrille zum blütenweißen, kragenlosen Leinenhemd, was seltsam stimmig die Rolle unterstreicht, die er im Kreis der vielen britischen TV-Köche spielt: Elite-Internat Eaton, Abi-Schwerpunkt englische Literatur, Doppelstudium in Oxford, Psychologie und Philosophie - Hugh Fearnley-Whittingstall, kurz HFW, ist der intellektuelle Missionar in der Küche, berühmt geworden auch durch seine herzliche Nachdenklichkeit: Viele Journalisten hätten "River Cottage" anfangs als Life-Style-Show betrachtet, sagt er. "Das ist völlig berechtigt, aber es geht auch um Politik. Es gibt kein politischeres Thema als Essen. Was sollte uns umtreiben, wenn nicht die Frage, wie wir künftig auf verträgliche Art neun Milliarden Menschen ernähren?" HFW sieht sich eher als Journalist denn als Koch, er stand zwar mal im berühmten River Café am Herd, aber "wenn du im entspanntesten Laden Londons nach acht Monaten gefeuert wirst, weil du zu langsam und zu unordentlich bist, solltest du dir Gedanken machen", sagt er. Spätestens jetzt weiß man: Ethik, Sendungsbewusstsein und fast schon vorsätzliche Tiefstapelei sind die wichtigsten Zutaten seines Erfolges.

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Seine Street Credibility hat sich der 50-Jährige aber hart verdient. Trotz der kulinarisch versierten Mutter und seiner Backleidenschaft als Kind kam er über Umwege zur Küche. Nach einer Zeit als freier Gastro-Autor landete er beim Fernsehen, wo er vor der Kamera bald Roadkill, Tierhoden und Plazenta verspeiste, was ihm Titel wie "Hugh Fearlessly Eats It All" oder "Mr. Selbstversuch" einbrachte. Das war nicht nur nett gemeint, über Jahre sei er für viele nun "der Typ mit der Plazenta" gewesen, sagt er.

HFW beteuert bis heute, dass es ihm bei solchen Aktionen nie allein um Aufregung gegangen sei. Und tatsächlich wurden seine Selbstversuche schnell ernsthafter. Er stellte sich in Fußgängerzonen, um Fisch aus nachhaltigem Fang zuzubereiten und auf die Überfischung der Meere aufmerksam zu machen. In "River Cottage" baute er sein eigenes Gemüse an, zog Schweine vor der Kamera groß und schlachtete sie auch dort, um zu zeigen, dass Fleisch mit Leben und Leben mit Tod zusammenhängt. Und er zog eine Mastanlage nach industriellem Vorbild hoch, mit 2500 Hühnern, für mehrere Monate. Als er den schockierten Zuschauern schließlich die Gräuel des Lebens als Hühnerbaron vor Augen führte, da brach er einmal vor der Kamera in Tränen aus. Sollte das Kalkül gewesen sein, dann war es sehr effektiv. Der Markteinteil von Biohuhn im Land sei danach von fünf auf knapp 15 Prozent gestiegen, erzählt Fearnley-Whittingstall stolz. Beweise, dass das an seiner Sendung gelegen habe, gebe es natürlich nicht. Aber die brauche er auch gar nicht.

Während er erzählt, bringen Mitarbeiter kleine Gerichte aus seinem neuen Kochbuch herein, jeder Handgriff begleitet vom Lob des Chefs, der selbst für die Gartenerbsen vor ihm auf dem Teller (mit Hackbällchen vom Biolamm) freundliche Worte übrig hat - "eben gerade geerntet, unglaublich, diese Frische!" Das mag eine Inszenierung sein, aber eine irritierend überzeugende, auch, weil HFW vollkommen mit der Situation zu verschmelzen scheint.

Auch deshalb ist die Idee "River Cottage" mit jedem Projekt, mit jeder Sendung, ein wenig größer geworden. Und oft hat der Chef die Rollen gewechselt, hat ein Grundlagenbuch über Fleisch geschrieben und später, für ein anderes Buch, fünf Monate lang vegetarisch gelebt. Das sei kein Widerspruch, findet er, sondern ein Lernprozess. Fleisch werde zum Luxusprodukt, und sein Credo, die Menschen müssten ihr Essverhalten ändern, gelte da zuallererst für ihn selbst. Gerade plant er einen Film über das Wegwerfen von Lebensmitteln. Außerdem hat er vier neue Restaurants eröffnet, die im River-Cottage-Duktus bescheiden "Kantinen" heißen. Und allein für die nächsten acht Begleitbücher zur Sendung soll Bloomsbury fast zwei Millionen Pfund gezahlt haben. Sind Wachstum und Nachhaltigkeit ein Widerspruch? "Nein", sagt Fearnley-Whittingstall da entschieden, das Wachstum für River Cottage sei zunächst mal positiv, vorausgesetzt, "wir bleiben unserer Idee treu"; so gut man das eben könne. Er sagt auch, dass er nicht so naiv sei, nicht zu wissen, wie unendlich schwer es ist, den Großteil der Bevölkerung zu erreichen. Oder Erfolge gegen die Industrie und ihre süchtig machende Fertignahrung zu erringen. Versuchen sollte man es aber trotzdem.

Nach einer guten Stunde erinnert ihn seine Assistentin daran, dass er dringend los müsse. Menü abschmecken, Meetings, Termin in London. Nach einer fast herzlichen Verabschiedung ist HFW dann weg. Und für einen kurzen Moment hängt man einem Gedanken nach: Je größer die Idee vom schönen Landleben wird, desto weniger hat ihr Erfinder vielleicht selbst von ihr.

Hugh Fearnley-Whittingstall: Drei gute Dinge, 180 genial einfache Rezepte aus dem River Cottage, AT-Verlag.

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