Samstagsküche:Jugend kocht

Mühltalhof Philipp und Helmut Rachinger

Junge Leute mischen in nie gekanntem Maß die Gourmetgastronomie auf: Philipp Rachinger, 27, hier mit seinem Vater Helmut, 52, in der Küche des Mühltalhofes im oberösterreichischen Neufelden.

(Foto: Volker Weihbold)

Früher mussten sie sich mühsam hocharbeiten, jetzt eröffnen sie mit 16 ihr eigenes Restaurant und bekommen mit 21 den ersten Stern. Warum Spitzenköche immer jünger werden.

Von Josef Wirnshofer

Der Tag, an dem die Jugend in die Küche des Mühltalhofs einzog, war ein guter Tag. Mehr noch: Er bestimmte die Zukunft des Restaurants. Es war nicht geplant, im Grunde lief alles ganz banal ab: "Mein Vater rief mich an und sagte, dass er Unterstützung braucht, weil zwei Köchinnen bei ihm aufgehört haben", erzählt Philip Rachinger, der damals gerade 24 Jahre alt war. Also kam der Junge zurück ins heimische Oberösterreich, an den Herd. Drei Jahre ist das her. Seitdem - das kann man so sagen - ist das Lokal im beschaulichen Neufelden zwischen Linz und Passau abgegangen wie eine Rakete.

Nicht dass der Vater Nachhilfe nötig gehabt hätte. Helmut Rachinger, heute 52, ist Chef eines sehr erfolgreichen Familienbetriebs. Er selbst steht seit 20 Jahren für eine so schlichte wie raffinierte Produktküche. Was er verarbeitet - Spargel aus dem Eferdinger Becken, Beeren oder Pilze - , hat maximal eine Stunde Weg hinter sich und wird von Restaurantkritik und Gästen gleichermaßen gelobt. Doch erst unter seinem Sohn, der seine Lehrjahre in Wien, London und Paris absolvierte, wurde der Mühltalhof zu einem der besten Restaurants Österreichs, dekoriert mit drei Hauben im "Gault & Millau" und 90 von 100 Punkten im Gastroführer "A la Carte".

Der Junge zeigt dem Alten wie's geht

Wer den Rachingers am Samstagabend bei der Arbeit zusieht - im Lokal sind alle 65 Plätze besetzt-, dem fällt zweierlei auf: die einvernehmliche Ruhe, mit der sie Teller um Teller schicken und ihre Brigade anweisen. Und die klare Rollenverteilung. Helmut Rachinger bleibt im Hintergrund, brät geduldig Lachsforellen und Lammlebern, der Sohn steht am Pass, an der Schnittstelle zwischen Küche und Gastraum. Philip Rachinger dirigiert, heftet Bestellungen ans Bonbrett, hilft beim Anrichten, dirigiert wieder. Erstaunlich daran ist, dass man sich das Drehbuch noch vor Kurzem andersherum vorgestellt hätte: Ein Alter, der in seiner Küche keinen Zentimeter freiwillig preisgegeben, den Jungen vielleicht Gemüse hätte putzen lassen. Und nun zieht der Sohn aus, sieht die Welt, kehrt heim, zeigt dem Alten, wie's geht und sagt Sätze wie: "Ich halte den Helmut für einen sehr unterschätzten Koch." Es klingt nicht gönnerhaft, sondern liebevoll. Und selbstverständlich.

Die Geschichte der Rachingers erzählt, was gerade in vielen Küchen von Wien bis Paris, von New York bis Tokio passiert: Junge Leute mischen in nie gekanntem Maß die Gourmetgastronomie auf. Erkochen Sterne in einem Alter, in dem die Generation vor ihnen noch von Lehrstation zu Lehrstation zog. Mitunter sind sie so jung, dass mancher Nachwuchschef Wein verkochen, aber noch nicht öffentlich trinken darf. Philip Rachinger glaubt, dass es da auch eine neue Leichtigkeit im Erfolg gibt: "Köche in meinem Alter halten sich nicht mehr so streng an das, was in irgendwelchen Lehrbüchern steht. Gerade in Paris habe ich viele Kollegen erlebt, die sehr unbeschwert an die Sache rangehen."

Die französische Hauptstadt war sein Ziel. Die Bistronomie dort, die sich vom brokatschweren Pomp der Klassik gelöst hat. Philip Rachinger hat sie vor allem in Sven Chartiers "Saturne" kennengelernt, und die Erfahrungen mit nach Oberösterreich gebracht: Er hat das Überraschungsmenü eingeführt, wo vorher nur à la carte gekocht wurde. Hat den Schweinebauch niedergegart und die Fleischsoßen mit Lauchmark gebunden und so leichter gemacht. Nun kommt alles auf den Tellern eine Idee feingliedriger daher, selbst Mehlspeisen. Die Stammgäste hat das zuerst irritiert. Sie waren den einfacheren Stil von Helmut Rachinger gewohnt, hatten womöglich schon bei Walpurga Rachinger gegessen, der Großmutter. Dafür zieht es jetzt mehr und mehr junge Gäste in den Mühltalhof, auf der Reservierungsliste standen plötzlich Namen aus Frankreich, Italien, den USA.

Die Liste junger Köche, die am Sockel der alten Meister kratzen, wird immer länger. Da wäre der Steirer Harald Irka, Jahrgang 1991 und weitgehend Autodidakt, der als einer der aufregendsten Köche Österreichs gilt, seit er sich als 20-Jähriger mit einem "Restlessen" zwei Hauben erkochte. Oder Philipp Stein, Küchenchef im "Favorite", mit 24 Sternekoch und "Feinschmecker-Aufsteiger des Jahres". Paris feiert gerade Julia Sedefjian, Sternträgerin und Küchenchefin im "Les Fables de la Fontaine". Ihr Alter: 21.

Früher seien Auszeichnungen für so junge Küchenchefs die Ausnahme gewesen, "heute fällt das in dieser Menge extrem auf", sagt Alexander Dressel. Der Präsident der "Jeunes Restaurateurs", eines deutschen Verbands zur Förderung junger Spitzenköche, glaubt, dass die große Aufmerksamkeit für die Jugend am Herd viele Gründe hat: "Das Interesse für gutes Essen ist heute viel weiter verbreitet, gerade in der Zielgruppe von Ende 20 bis 45 hat sich enorm viel getan." Auch die sozialen Medien spielen eine Rolle: "Wer vor 20 Jahren auffallen wollte, musste irgendwie an einen redaktionellen Beitrag in einer Zeitschrift kommen, heute können sich Nachwuchsköche selbst zur Marke machen."

Der Justin Bieber des Essens

Bestes Beispiel: Flynn McGarry. Auf Instagram folgen dem Amerikaner 75 000 User. Kürzlich konnten sie ihm dabei zusehen, wie er sein Pop-up-Restaurant "Eureka" in New York eröffnete - mit 16 Jahren. Dreimal die Woche servierte McGarry 14 Gänge mit Weinbegleitung zu je 240 Dollar. Er hat zwei Manager, Interviews gelten als Rarität und US-Medien nennen Flynn McGarry den "Justin Bieber of food".

Der Erfolg der Nachwuchstalente gründet aber auch auf einer veränderten Ausbildungslage. War es in den 80er-Jahren fast unmöglich, eine der Lehrstellen bei den wenigen großen Küchenchefs zu ergattern, so sucht heute eine wachsende Zahl an Spitzenköchen immer verzweifelter nach Azubis. Eine Situation, die vor allem ambitionierten Lehrlingen entgegenkomme, wie Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt sagt: "Wenn die Ausbildungsplätze, die zur Verfügung stehen, nicht belegt werden, haben es Individualisten mit Talent und Hang zum Alphatier einfacher. Die können in der oberen Skala anfangen und sich danach richten, welche Betriebe einen guten Ruf haben." Wohlfahrts Schwarzwaldstube in Baiersbronn ist eine der großen Talentschmieden des Landes, mehr als 70 Sterne gingen aus seiner Küche hervor.

Auf der einen Seite sinkt also die Zahl der Lehrlinge, weil viele die Härte des Berufs und die Arbeitszeiten scheuen. Auf der anderen hat zuletzt kein Berufsbild so an Glanz gewonnen wie das des Kochs. Das Bild vom zugeknöpften Onkel in Weiß, der im Studio Soßen anrührt, ist Fernsehgeschichte. Stattdessen sind Köche zu Fürsprechern des guten, des schönen Lebens geworden. Eine Rolle, die sich mit beinahe jedem "Charaktertyp" ausfüllen lässt. Mit dem ewig jungen Küchenhedonisten in Sneakers und zernudelten Hemden ebenso wie mit dem Rock'n'Roller in Jeans und Lederjacke oder dem Feingeist, der zum Rotwein im Suhrkamp-Katalog blättert.

Der Kult um die großen Lehrmeister scheint zu verblassen

Das Bild des Kochs war noch nie so vielschichtig und dynamisch. Nach außen wirkt der Beruf also attraktiver denn je, die Realität sind aber weiter hohe Anforderungen mit Zwölf-Stunden-Schichten bis an die Grenzen der Belastbarkeit, besonders in der Spitzengastronomie. "Dazu kommt, dass die Jungen heute mit ganz anderen Freizeitbedürfnissen groß werden", sagt Harald Wohlfahrt, "der Preis, das alles dem Beruf zu opfern: den zahlen nur die wirklichen Idealisten." Das aber seien dann auch die, welche sich durchsetzen.

Einer von ihnen ist Tony Hohlfeld. Er war nach seiner Zeit bei Zwei-Sterne-Koch Hendrik Otto Küchenchef in der "Olen Deele" in Hannover, hat dort selbst einen Stern erkocht und vergangenes Jahr mit dem "Jante" in der niedersächsischen Hauptstadt sein eigenes Restaurant eröffnet. Er ist gerade mal 26. "Meine Generation will wahrscheinlich schneller ans Ziel", sagt Hohlfeld. Mit 30 noch mal die Küche wechseln? Macht keiner mehr. Früher seien die großen Köche als Figuren gesehen worden, bei denen man gearbeitet haben musste. "Heute denken sich viele: Nö, brauche ich nicht." Der Kult um die großen Lehrmeister scheint zu verblassen. Berühmte Köche holen sich heute im Gegenteil bewusst junge Souschefs, die frische Ideen mitbringen. Um den Anschluss nicht zu verlieren. "Wenn man als Souschef dann mit 24 ein paar Sterneläden durchhat, will man natürlich selber ran", sagt Hohlfeld.

Rachinger senior vom Mühltalhof kann das verstehen. Wie er das Vorpreschen junger Köche überhaupt als Generationswechsel begreift. Er stellt sich dem gar nicht erst entgegen. "Die alten Modelle, die Kulinariktempel, sind einfach in die Jahre gekommen", sagt er ohne Wehmut. Er findet: Ein Tafelspitz sei schon gut, jeder neue Zugang zu einem Traditionsgericht aber besser. Da ist er Profi. Und Pragmatiker: "Ach geh, der Philip und ich wissen doch beide, dass das zu zweit nicht ewig geht. Welcher Junge will schon, dass ein alter Patron neben ihm steht und ständig über die Schulter schaut?"

So viel Verständnis für den Nachwuchs von einem gerade mal 52-jährigen Spitzenkoch - auch das gehört zur neuen Zeit. Erst ein paar Jahre ist es her, dass Helmut Rachinger ein Rezept entwickelte, für das er Seesaibling in der Zedernkassette garte und mit Leinöl und Kartoffeln servierte. Sein Sohn hat es längst verfeinert. Mit rotem Holunder, Sauerklee und Fichtenspitzen. Dem Vater gefällt's. Und Philip Rachinger, der Sohn, sagt, immerhin sei den Vorgängergenerationen erspart geblieben, nach jedem Handgriff ihre Stilistik erklären zu müssen: "Das musste meine Oma früher nicht machen: beim Enten tranchieren über ihre Philosophie reden."

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