Alpen:Gipfel des Geschmacks

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(Foto: Illustration: Gisela Goppel)

Auf dem Berg wird das Essen immer besser. In welchen Hütten es besonders gut schmeckt.

Von Titus Arnu, Georg Etscheit und Marten Rolff

Wenn Wanderer heute aus den Bergen zurückkehren, dann kann es passieren, dass ihr Tourbericht knapper ausfällt als früher. Um so hingebungsvoller aber beschreiben sie womöglich das in Lagrein gegarte Ochsenbäckchen oder die Heusuppe im Brotlaib, die dieser fantastische Hüttenwirt ihnen serviert hat. Keine Frage - der Standard der Alpenküche hat sich zuletzt auch bis weit oberhalb der Baumgrenze enorm verbessert. Und damit sind ausdrücklich nicht die Leib-und-Magen-Hütten der Glitzerklientel aus Orten wie Kitzbühel, Ischgl oder St. Moritz gemeint, wo man zum Fünf-Gang-Menü mindestens den Fahrdienst und bald womöglich auch den Heli bucht.

Nein, es geht darum, dass sich immer mehr Hüttenwirte von schlammiger Erbswurstsuppe, Kasspatzen aus dem Packerl oder Fritteusen-Panade verabschieden. Gekocht wird nun oft regional und mit frischen Zutaten; auch sei das Publikum in den Bergen immer zahlreicher, zahlungskräftiger und anspruchsvoller geworden, heißt es beim Deutschen Alpenverein. Selbst norddeutsche oder niederländische Touristen meinen heute nicht mehr das Wiener Schnitzel, wenn sie in Österreich landestypische Küche verlangen; und kaum einer wundert sich noch, dass es nun auch Hütten mit rein vegetarischem Angebot gibt.

Es gilt also allgemein das Wort von "Jahrhundertkoch" (Gault & Millau) Eckart Witzigmann, der findet: "Als Wanderer freut man sich doch, wenn nach den Mühen am Berg ein gutes Essen auf dem Gipfel wartet."

Witzigmann ist Patron des "Kulinarischen Jakobswegs", einer Initiative, bei der Sterneköche Rezepte für fünf Hütten in Westtirol entwickeln (Jamtalhütte, Ascherhütte, Niederelbehütte, Friedrichshafener und Heidelberger Hütte). Hierbei geht es aber nicht um aufwendige Menüs, sondern um qualitativ sehr gute Gerichte für die eingeschränkte Logistik einer Hüttenküche. Spitzenköche wie der Münchner Bobby Bräuer raten daher eher zu Eintöpfen oder Schmorrezepten.

Klar geht es beim Kulinarischen Jakobsweg auch um Werbung für die Region, aber nach acht Jahren wisse man auch: "Das färbt ab auf die Hütten, die nicht mitmachen, und hebt das Niveau", so Reinhard Jehle, Wirt der Niederelbehütte.

Der Deutsche Alpenverein hatte 1999 die Initiative "So schmecken die Berge" aus der Taufe gehoben. Das Gütesiegel soll garantieren, dass die Hütten ihre Waren bevorzugt frisch und regional beziehen. Fast 120 Hütten haben sich dem Projekt bisher angeschlossen.

Ein Versprechen, dass man dort auch sehr gut isst, besteht natürlich nicht, doch das Niveau steigt. Unterschiede bleiben aber bestehen. In Südtirol etwa speisen Wanderer fast überall passabel bis sehr gut, in der Schweiz ist das Qualitätsbewusstsein traditionell hoch, in Teilen Österreichs und in Deutschland erscheint das Angebot dagegen noch eher wechselhaft.

Schatzerhütte (I)

Das Auge isst mit - wenn es ohne die Phrase in der Schatzerhütte nicht geht, dann wegen der grandiosen Aussicht auf die bizarre Felsformation des Villnösser Geislers, die sich von der Terrasse aus bietet. Das Refugium in gut 2000 Metern Höhe schmiegt sich an die grünen Flanken der Plose, des Brixener Hausbergs, und gilt als regelrechtes Pilgerziel kulinarisch versierter Wanderer. Patron Franz Pernthaler stand schon mit seiner Mutter am Herd, lernte später Koch und sammelte Erfahrungen unter anderem im Sternehaus von Heinz Winkler. In seiner Hütte bietet er eine kreativ verfeinerte Regionalküche, wobei "regional" sehr ernst zu nehmen ist: Viele Produkte kultiviert er selbst - unterhalb der Hütte steht eine Reihe von Hochbeeten, in denen Gemüse und Kräuter wachsen. Bodenständige Gerichte wie hausgemachte Schlutzkrapfen (mit Spinat oder Käse gefüllte Teigtaschen), saftig-lockere Käsnocken mit viel zerlassener Butter, Gulasch, Brot vom Holzofen nebst Eis und Kuchen (ebenfalls selbstgemacht) stehen immer auf der Karte, zu moderaten Preisen. Für Hausgäste, die in einer der puristischen Designer-Holzhütten hier wohnen, kocht Pernthaler abends ein Überraschungsmenü (auch extern buchbar). Mit mediterranem Twist: Schweinelende mit Aubergine und Tomate, mit Mozzarella überbacken, etwa. Danach weiße Mousse mit Haselnüssen.

Schatzerhütte, 39040 Afers (Eores), BZ, Italien, www.schatzerhuette.com, T +39-0472 521 343 oder 328 778 2228

Rummelig, aber gut

Rotwandhütte (I)

Die Rotwandhütte ist sicher kein Geheimtipp (die gibt es im bestens erschlossenen Südtirol ohnehin kaum noch), dafür ist das großartige Wander- und Klettergebiet des Rosengartens viel zu bekannt. An schönen Tagen kann es hier also recht rummelig werden, was der landschaftlichen Schönheit aber wenig Abbruch tut. Auch liegt das gastronomisch Gebotene hier weit über dem Durchschnitt der vor allem in den Nordalpen üblichen Kost. Die Rotwandhütte auf 2283 Metern liegt schon jenseits der imaginären Getreidegrenze, die das Land des Buchweizens (Südtirol) vom Polenta-Land (Trentino, Dolomiten) trennt. Was das ebenso flinke wie freundliche junge Hüttenteam zubereitet und drinnen oder draußen auf der großen Terrasse serviert, sieht toll aus und schmeckt wunderbar. Polenta in allen Variationen - mit Pilzen, paniertem und gegrilltem Bergkäse oder Rehragout. Wahlweise kann man auch Bratkartoffeln statt Polenta bestellen. Vorher bietet sich Minestrone oder Gerstensuppe an, hernach frischer Joghurt mit Honig und Kastanien. Die italienischen Familien schmausen mit sichtbarem Appetit, was immer ein gutes Zeichen ist. Die Weinkarte bietet nicht nur namenlosen St. Magdalener und Müller-Thurgau, sondern Lagrein, Chardonnay oder Gewürztraminer vom Weingut Bellaveder in Faedo bei Trient. Vorsicht: Die Weine verführen dazu, das Weiterwandern weit hinauszuschieben.

Rotwandhütte (Anfang Juni bis etwa Mitte Oktober), Sella del Ciampaz, 38036 Vigo di Fassa, TN, Italien, www.rotwandhuette.com, T+39-0462 76 44 50

Niederelbehütte (A)

Die knappen zwei Stunden Fußmarsch von der Bergstation der Diasbahn bis zur Niederelbehütte hoch über dem Paznauntal sind kein Kraftakt, schließlich befindet man sich bereits auf gut 1800 Metern Seehöhe. Die letzten 500 Höhenmeter sind da ein Klacks. Und was einen auf der Sonnenterrasse erwartet, zeigt, dass auch Tiroler Hüttenwirte beim Essen ordentlich aufgerüstet haben. Die "Conchiglioni (große, muschelförmige Nudeln) mit Paznauner Schafl", gratiniert mit würzigem Bergkäse und süß-säuerlich begleitet von einer Vinaigrette mit Tomaten- und Zucchiniwürfelchen, sind extrem fein und sättigen, ohne zu stopfen. Statt Almdudler gibt es dazu einen trockenen Riesling Urgestein vom Weingut Schloss Gobelsburg aus Langenlois im österreichischen Kamptal. Kreiert hat das ungewöhnliche Bergsteigeressen der Münchner Spitzenkoch Bobby Bräuer ("Esszimmer" in der BMW-Welt). Er ist heuer einer von fünf Spitzenköchen des "Kulinarischen Jakobswegs" im westösterreichischen Paznaun, spektakulär eingerahmt von Silvretta-, Verwall- und Paznaungruppe. Seit acht Jahren bieten dort hochalpine Berghütten eigens von Sterne- oder Haubenköchen entwickelte Feinschmeckergerichte an; neben Speisen mit Produkten aus der Region, etwa Paznauner Almkäse mit Grantenmarmelad (Granten sind Preiselbeeren) oder Tiroler Schlutzkrapfen mit Steinpilzfüllung. "Bodenständig, leicht nachzukochen, aber mit Pfiff soll das Gericht sein", erklärt Bobby Bräuer, hüttengemäß, aber besonders. Welcher Gast würde sich da zur Wehr setzen wollen?

Niederelbehütte, 6555 Kappl, Österreich, www.niederelbehuette.at, T+43- 5445 6357 oder 676 4152355

Eine "Waldfee", die schmeckt

Berghaus Piz Platta (CH)

Rösti mit Spiegelei, Schweinswürstli mit Brot, Käseplatte - das Hüttenessen in der Schweiz ist oft qualitativ solide, aber wenig originell und dafür umso teurer. Wer es ausgefallener will, muss auch hier suchen. Die Alp Flix liegt auf 2000 Metern in einer hochalpinen Moorlandschaft, nahe Savognin im Schweizer Kanton Graubünden. Im Sommer führt eine Fahrstraße bis kurz vors Haus, Übernachtungsgäste dürfen dort parken. Schöner und nicht nur für den Hunger sinnvoller ist es aber, hin zu wandern (eine Stunde vom Bergdorf Sur aus). Tagsüber gibt es Graubündner Spezialitäten wie Capuns (Spätzleteig mit Bündnerfleisch, in Mangold gewickelt) und Pizokel (Buchweizennudeln), abends das viergängige "Flixer Dinner" - zubereitet aus regionalen Zutaten mit italienischem Einschlag. Der Koch liebt deftige Bistro-Gerichte wie Kalbskopf Vinaigrette, Kalbskopfbacke, Rindskopfbacke, Osso Bucco und glasierte Haxe. Unbedingt probieren sollte man die "Tüüfeli", hausgemachte Würstchen, die aus Kalb- und Schweinefleisch, Alpkäse und einer feurigen Gewürzmischung bestehen. Die milde Variante mit Spinat, Steinpilzen und Kräutern heißt "Waldfee" und schmeckt ebenso originell.

Berghaus Piz Platta, Alp Flix, 7456 Sur, Schweiz, www.flix.ch, T+41-816591929

Tillfußalm (A)

Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch herum? Wer sich so fühlen will wie der Wolf aus dem Märchen mit den sieben Geißlein, nachdem er die Wackersteine eingenäht bekam, sollte in einem durchschnittlichen Bergstations-Schnellrestaurant in Tirol eine Kaspressknödelsuppe bestellen. "Kaspressknödel" ist in den meisten Fällen eine euphemistische Bezeichnung für einen vollgummiartigen Klumpen mit leichtem Käsegeschmack, der in einer dünnen Instant-Brühe dümpelt und im Magen liegt wie Blei. Wer allerdings einen Kaspressknödel probieren will, der so fluffig ist, dass er einen beim Wandern beflügelt, der sollte zur Tillfußalm im Gaistal laufen. Die Hütte liegt auf 1382 Meter in der Mitte des Hochtals, zu Fuß braucht man etwa eineinhalb Stunden von Leutasch oder zwei Stunden von der Bergstation der Ehrwalder Almbahn aus. Hüttenwirt Alfred Ripfl beaufsichtigt dort den Sommer über das Vieh der Wildermieminger Bauern, etwa 200 Kühe. Auf der Alm wird Butter, Graukas und Buttermilch produziert. Alfreds Freundin Ruth Bucher serviert die besten Kaspressknödel weit und breit, frisch gemacht aus frischem Graukas, Bergkäse, Brotstücken, Eiern, Zwiebeln und frischen Kräutern, dazu gibt es lauwarmes, bissfestes Sauerkraut mit Speck. Wahlweise kommen die Käseknödel auch in der Suppe oder mit Salat auf den urigen Holztisch. Steinig ist anschließend nur der Rückweg, nicht das Bauchgefühl.

Tillfußalm, Gaistal bei Leutasch, Österreich www.tillfussalm.at, T +43-5214- 6297 oder 6645 516344

Wo Johann Lafer ums Rezept bittet

Alpe Sonnenhalde (D)

Der Weg vom Parkplatz Buchenegger Wasserfälle zur Alpe Sonnhalde ist - nicht nur für Allgäuer Verhältnisse - eher Spaziergang als Wanderung. Nach kaum 40 Minuten und kaum 100 Höhenmetern wird also niemand finden, er habe sich das Essen verdient (es gibt auch weitere Anwanderwege hierher!). Doch der erste Blick in die Speisekarte ernüchtert ohnehin: einige Brotzeiten, Käse und drei Kartoffelgerichte - klingt nicht so, als sollte man wegen des Essens hier sein. Das allerdings täuscht.

Denn Sonnhalde ist Sennalpe und dazu Demeter-Betrieb, der Ziegen- und der Kuhkäse, beide herrlich, sind also nach allen Regeln des biodynamischen Landbaus selbstgemacht, auch die Wurst stammt von eigenen Schweinen, und die Eier kommen von eigenen Hühnern. Das schöne Sauerteigbrot indessen backt eine Bäckerei in Sonthofen mit ausgesuchtem und selbstgemahlenem Getreide. Die Visitenkarte des Hauses aber ist der gebackene Ziegenkäse mit Röstkartoffeln, den "weltwürzigsten", wie Senner Jakl Köhler versichert - mit Dill, Liebstöckl, Thymian, Majoran, Petersilie und Schnittlauch. So geschmackvoll, dass Fernsehkoch Johann Lafer den Jakl darum bat, ihm die Zubereitung beizubringen.

Man beginnt also zu verstehen, warum das kulinarische Personal des Landes so gern zu diesem Allgäuer Senner pilgert, ob nun von den Magazinen Feinschmecker und Essen und Trinken oder von Slow Food. Denn hier ist das Einfache tatsächlich gut, liegt das Gute in der Einfachheit - ein Slogan, der sonst so abgedroschen wie uneingelöst ist - und den auch so manche verzweifelt zu den Sternen strebende Gourmetalm gern wieder mehr beherzigen dürfte.

Alpe Sonnhalde, 87534 Oberstaufen, Deutschland, www.alpe-sonnhalde.de, T08386-962418

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