Craft Beer:Portland pfeift auf das Reinheitsgebot und feiert sich dafür

Manche glauben, der Hype ums Craft Beer sei bald vorbei. Soll das ein Scherz sein? In der US-Metropole Portland, der bierverrücktesten Stadt der Welt, legen sie erst richtig los.

Von Karoline Meta Beisel

Als im April in Deutschland der 500. Geburtstag des Reinheitsgebots gefeiert wurde, haben sie darauf natürlich auch in Portland angestoßen. "Lasst uns die ältesten Bierregeln der Welt feiern, indem wir Biere trinken, die diese Regeln brechen!", hieß es in der Ankündigung zu "Reinheitsge-NOT" - ein Fest, zu dem 13 Brauereien aus der Gegend eingeladen hatten. Getrunken wurden: glutenfreies Quinoa-Hefeweizen, Mango-Zitronen-Thymian-Gose, Holunder-Kölsch, Kirsch-Doppelbock und mexikanisches Cornflakes-Bier, alle extra zu diesem Anlass gebraut.

Dabei war das für Portland nicht einmal besonders verrückt, sie haben hier auch schon Bier mit Sepia-Tinte oder mit koreanischem Kimchi getrunken. Oder Bier mit Hefe, die aus den Barthaaren des Braumeisters gewonnen wurde. In Portland, Oregon, von der Washington Post kürzlich zur kulinarischen Hauptstadt der USA gewählt, ist so etwas kein Scherz. Wohl nirgends nehmen sie Bier so ernst wie hier. Das Bartbier passe gut zu Desserts oder Geflügel, empfiehlt etwa die Brauerei.

Während also manche in Deutschland glauben mögen, es sei nun langsam mal gut mit dem Wirbel ums Craft Beer und die vielen Geschichten über das Handwerk kleiner unabhängiger Brauereien, die geschmacksstarke Biere herstellen, wächst die Branche in den USA weiter. Wenn der Bierkonsum dort zuletzt etwas zurückgegangen ist, dann allein auf Kosten der großen Brauereien. Craft-Brauer dagegen verkaufen mehr als je zuvor, 2015 waren es gut vier Milliarden Liter - knapp 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Und das Zentrum der Bewegung ist, genau: Portland im Nordwesten des Landes, Traumstadt für Hipster und Ökohippies, mit einer Dichte an exzellenten Restaurants, Bars und Clubs, von der andere Großstädte träumen. 70 Brauereien kommen inzwischen auf 630 000 Einwohner, auf den Großraum gerechnet sind es gar 110 - ungefähr jedenfalls. Mit aktuellen Zahlen ist es kompliziert, weil ständig irgendwo eine neue Brauerei aufmacht.

Aber mit Zahlen ist dem Phänomen sowieso nur schwer beizukommen.

Hopfen? Gehört natürlich ins Bier. Aber Trauben und Barthaare auch

Craft Beer ist so etwas wie das kollektive Hobby und Lieblingsthema der Einwohner, die ihre Stadt ganz ironiefrei "Beervana" nennen. In den Veranstaltungskalendern ist "Bier" eine eigene Kategorie, neben Theater oder Live-Musik. Außer der Party "Reinheitsge-NOT" wurden in diesem Sommer zum Beispiel noch gefeiert: die Portländer Bierwoche, das Fruchtbierfestival, das Roggenbierfest, das Internationale Bierfestival, das Biobier-Festival, das Festival der Brauer, das "Cheers to Belgian Beers" und, schon zum zehnten Mal, das "Puckerfest" für Freunde saurer Biersorten wie Gose oder Berliner Weiße. Dazu kommen Bier-Release-Parties, bei denen Brauereien mit viel Getöse ihr neuestes Gebräu vorstellen, und - jetzt im Herbst natürlich - diverse Oktoberfeste.

Warum gerade Portland bei Craft Beer so durchdreht? "Es regnet hier viel. Wir bleiben gerne drin und trinken", sagt Lisa Morisson. An der Westküste habe alles angefangen, in Portland habe es einige der ersten Craft-Brauereien des Landes gegeben. "Und die Leute hier haben Lust, Neues auszuprobieren." Morisson, Spitzname "Biergöttin", hatte eine der ersten Bierkolumnen im Netz. Später moderierte sie eine wöchentliche Biersendung im Lokalradio - "Beer o'clock!" Im Sommer durfte sie dann als "Großmarschall" und Ehrengast der heimischen Brauer bei deren Festival die große Parade durch die Stadt anführen. Inzwischen ist Morisson Miteigentümerin der "Belmont Station", eines Biermarktes mit angeschlossener Kneipe und knapp 1500 verschiedenen Biersorten im Angebot. Aber wer soll das alles trinken? Reicht es den Leuten nicht bald mal? "Vermutlich hört der Markt irgendwann auf zu wachsen, aber ich sehe noch keine Anzeichen dafür", sagt Lisa Morisson bei einem Glas Indie Pale Ale mit frisch geerntetem Hopfen. Was sie an der Szene besonders schätzt, ist das Gemeinschaftsgefühl. Es sei normal, von einem Brauer das Bier eines Konkurrenten empfohlen zu bekommen. "Ein Kollege hat mal gesagt, Craft-Brauer sind zu 98 Prozent keine Arschlöcher", erklärt Morisson, als sei das tatsächlich so eine Art Naturgesetz. Sie verdient ja auch an den Biernerds, denen sie mit ihrem Laden den Kühlschrank füllt. Trotzdem werden die ihr auch mal zu viel. "Einige Kunden haben es auf ein ganz bestimmtes Bier abgesehen", sagt sie. "Dann rufen sie ständig an: Ist das Bier schon da? Wann kommt es endlich? Die fahren den ganzen Tag rum, um eine seltene Sorte zu bekommen, und halten uns von der Arbeit ab."

In jeder anderen Stadt würde man glauben, dass Morisson übertreibt, dass solche Kunden Einzelfälle sind. Doch wer in Portland unterwegs war, ist sich da nicht mehr so sicher. Man trifft Menschen, die per App vermerken, welches Bier sie schon getrunken haben und wo man mit etwas Glück noch ein Glas von diesem limitierten Minzbier bekommen kann, das neulich so gelobt wurde. Es gibt Bierclubs hier, die ihre Sondereditionen nur an Mitglieder verkaufen. Und Kneipen, die mehr als 100 Biersorten anbieten - vom Fass, versteht sich. Auf der Getränkekarte steht oft nicht nur der Alkoholgehalt, sondern auch die Herkunft der Zutaten, die Holzsorte, in dem das Bier gelagert wurde und die sogenannten IBUS, die Aufschluss darüber geben, wie bitter ein Bier ist - bitteres Bier mögen sie hier besonders gerne.

1500 Sorten Bier

hat mancher Laden in Portland im Angebot. In der Stadt kommen 70 Brauereien auf gut 630000 Einwohner.

Die Suche nach dem Ausgefallenen ist in der Biergemeinde der Stadt zu einem regelrechten Sport geworden, wie man auch bei einem Besuch bei Thad Fisco sofort versteht. Fisco hat seine kleine Brauerei "Labrewatory" genannt, in Anlehnung an laboratory, englisch für Labor. "Das hier ist der Ort, an den Biertrinker kommen, wenn sie die Stützräder abmachen", sagt der Brauer selbstbewusst. Äußerlich erinnert Fisco ein bisschen an einen Surfer, im Nebenberuf verkauft er Equipment für Craft-Brauer in der ganzen Welt. Das läuft auch deshalb, weil "Portland eine Destination für jeden ist, der mit Bier zu tun hat", sagt er.

Das limitierte Sauerbier schmeckt wie Rotwein-Schorle mit Zitronenlimonade

Der Brauer läuft im Gespräch mehrmals raus, aufpassen, dass alles klappt beim Entstielen der Trauben, die am nächsten Tag in den Kessel kommen - aus Nachbars Garten, versteht sich. Thad Fisco war es auch, der das Bier mit der Sepia-Tinte ersonnen hat. "Es war sofort ausverkauft", sagt er. Was allerdings kein Wunder ist: In Fiscos Labor wird jedes Bier nur in kleinsten Mengen produziert, normal knapp 600 Liter pro Sorte. Serviert werden die Biere dann auch nicht im großen Glas, sondern im "Tasting Tray" mit sieben Reagenzgläsern: Probierportionen, die in Bayern höchstens als Noagerl durchgehen würden.

Doch will man abends in der Kneipe wirklich Tintenfischbier auf dem Tisch haben? Das muss man Don Scheidt fragen, einen "echten Nerd", wie seine Frau Cherie findet. Scheidt glaubt, dass ein Bier-Liebhaber drei Phasen durchmacht: Erst kommt die Neugierde, dann die Arroganz. Irgendwann trinke dann jeder, was er mag.

Weil Scheidt saure Biere liebt, hat er als Treffpunkt den Schankraum der Cascade Brauerei vorgeschlagen, nahe dem Willamette-Fluss, der mitten durch die Stadt fließt. Jeden Dienstag darf hier ein Gast ein Fass eines limitierten Sauerbieres anstechen, die Warteliste ist lang. An diesem Tag gibt es "Sang Royal" mit Pinot-Noir-Trauben, im Portweinfass gereift, etwa zehn Prozent Alkohol. Es schmeckt wie spanische Rotwein-Schorle mit Zitronenlimo.

Don Scheidt ist Anfang 60, er trägt ein T-Shirt der Full Sail Brauerei aus Hood River. Mehr als 300 verschiedene Brauerei-Fan-Shirts hat er gesammelt. "Ich muss ein Jahr lang keines zweimal tragen", sagt er. Scheidt schreibt für Blogs und Spezialpublikationen über Bier, vor allem aber pflegt er seine Biersammlung. "Sein Bierkeller ist riesig", erzählt Cherie. Wie viele verschiedene Biere es sind, weiß Don Scheidt nicht. Einmal pro Woche trifft er sich mit Gleichgesinnten zum Tauschen. Oft gibt es ein Motto, Biere mit Pfirsich, Biere mit Kaffee. Tauschen sei besser als verkaufen, sagt er, "eine Frage der Ethik".

Cherie findet, das Flaschentauschen gehe zu weit. "Ich mag Bier, aber ich will mich nicht ständig darüber unterhalten", sagt sie. "Da bleibe ich dann lieber zu Hause und stricke." Ihr Mann indes glaubt, dass der Hype ums Craft Beer noch lange nicht vorbei ist. Schließlich gebe es immer noch viel mehr Winzer als Brauer. "Da fragt ja auch keiner, ob es jetzt nicht mal gut ist."

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