Starkoch René Redzepi:"Ich habe Scheißangst"

RenÈ Redzepi; René Redzepi dpa Archiv 2010

René Redzepi auf einem Archivbild.

(Foto: dpa)

Das weltberühmte Restaurant Noma in Kopenhagen schließt und startet in der autonomen Kommune Christiania mit neuem Konzept. Eine Bilanz von Gründer René Redzepi.

Interview von Marten Rolff

Der bekannteste Koch der Welt sitzt bei Kaffee und Kuchen im Münchner Schumann's. Auch eine Premiere, wenn man so will. Die Reise von Dänemark war anstrengend, René Redzepi ist ein wenig zerzaust, aber entspannt. Er wirkt nicht wie jemand, der sich gerade im Umbruch befindet. Ende Februar schließt er das Noma in Kopenhagen, das vier Mal zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde und dem zum Abschied eine Dokumentation gleichen Namens gewidmet ist, die am 9. Februar in die Kinos kommt. In der autonomen Wohnsiedlung Christiania will er das Restaurant mit komplett neuer Konzeption eröffnen.

SZ: Herr Redzepi, nach 13 Jahren werden Ende Februar die letzten Menüs im Noma serviert. Sind Sie traurig?

René Redzepi: Gar nicht, ich bin keiner, der zurückschaut. Aber wenn Sie fragen, ob ich Angst habe: Ja! Eine Scheißangst! Wer hätte die nicht? Im Restaurant läuft es gerade so gut wie nie. Es macht Spaß, und es macht uns selbstbewusst. Natürlich sind wir nervös, das alles aufzugeben. Ein Lokal umzuziehen ist ja keine Kleinigkeit. Wir wissen nicht, wie es am neuen Ort läuft.

Was wäre Ihr größter Albtraum?

Dass wir es nicht schaffen. Dass das neue Projekt uns weniger tief berührt, als wir hoffen. Dass unser Konzept nicht zum neuen Ort passt und wir denken: Hätten wir das Noma bloß nie dichtgemacht! Andererseits habe ich das Gefühl, dass wir etwas Neues brauchen. Ein notwendiger Schritt.

Warum das?

Weil ich jetzt noch dafür brenne. Ich werde im Dezember 40. Wenn ich noch fünf Jahre warte, werde ich die Energie für einen solchen Neustart vielleicht nicht mehr haben.

Jetzt leisten Sie sich aber doch eine Rückschau, eine recht große sogar: eine Kino-Dokumentation in Spielfilmlänge.

Es ist Zufall, dass Umzug und Film zusammenfallen. Es war so nie geplant.

Von Ihnen stammt der Satz, dass Fernsehkameras in Restaurantküchen stören, weil sie ständig die Regie übernehmen wollen. Nun haben ausgerechnet Sie sich drei Jahre lang begleiten lassen?

Das lag auch daran, dass ich Pierre Deschamps, den Regisseur, schon kannte und seine Arbeit mochte. Es gab natürlich Auseinandersetzungen, aber gute. Wir haben uns immer geeinigt. Ich habe dem Film vor allem wegen meiner Töchter zugestimmt. Ich dachte, vielleicht ist es interessant für sie, später zu sehen, wie alles war.

Die Dokumentation zeigt Spitzenküche auch als ewigen Kampf um Weiterentwicklung und Erfolg. Nach 13 Jahren: Was, glauben Sie, war Ihre wichtigste Eigenschaft, um das alles zu erreichen?

Lange Zeit dachte ich tatsächlich, es liegt an meiner Herkunft. Ich wollte mich beweisen, unbedingt Erfolg haben. Um meinem Vater und seiner Familie zu zeigen: Ihr seid nicht umsonst von Mazedonien nach Dänemark gekommen, ihr habt nicht umsonst eure Familien verlassen und eure Kinder in der Fremde großgezogen. Denn ich fange etwas an mit meinem Leben, ich kümmere mich um euch! Inzwischen hat sich meine Motivation aber geändert.

Und zwar wie?

Jetzt ist es schön, Teil der ständigen Veränderungen in meinem Restaurant und in Kopenhagen zu sein. Man kann das spüren: Dauernd verlassen uns Mitarbeiter, um eigene Restaurants zu eröffnen. Die Stadt wird kulinarisch immer spannender. Es ist hier eine richtige Kultur des Essens entstanden. Das macht mich glücklich.

"Mein Vater ist in echter Armut aufgewachsen"

Hat sich Ihr ursprünglicher Antrieb gelohnt? Wie sehen Ihre Eltern das Noma?

Rene Redzepi at the site of the new Noma just outside the border of Copenhagen's Christiania neighborhood in Denmark.

René Redzepi auf dem Gelände des neuen Lokals in Christiania.

(Foto: LAERKE POSSELT/laif)

Sie mögen es, glaube ich, aber meine Mutter wohl mehr als mein Vater. Mein Vater ist schon stolz, doch er wird ein solches Gourmetrestaurant nie verstehen. Er liebt Essen, aber sich irgendwo für drei Stunden und mehr für ein Dutzend Gänge hinzusetzen, liegt ihm nicht. Er ist in echter Armut aufgewachsen. Die Familie hatte manchmal nicht genug zu essen, es war oft kein Geld zum Heizen da. Er ist froh, dass es uns gutgeht. Aber essen mag er nicht bei uns.

Haben Sie jemals erwartet, dass das Noma so erfolgreich wird?

Planen kann man so etwas nicht. Aber als wir das Konzept ganz auf nordische Küche umgestellt hatten, so beim dritten Menü vielleicht, da dachte ich zum ersten Mal: Hoppla, das könnte was Größeres werden.

Und dann hat man irgendwann das Gefühl: Wir sollten bald schließen?

Das kündigte sich vor etwa vier Jahren an. Seitdem ist unsere Planung darauf ausgerichtet. Die Pop-ups in Tokio und Sydney, die Umzüge auf Zeit, waren unser Training. In Japan ist mir klar geworden, dass ein Restaurant ein lebenslanger Prozess ist. Dass wir in Sachen Küchentradition erst am Anfang stehen. Auch für das Teamgefühl kann ich diese Art von Erfahrung nur empfehlen: Wie kochen wir in einem fremden Umfeld? Was ist uns wichtig? Im Grunde geht es auch am Herd ständig um die Frage, wer wir sind. Wir haben die Antwort bis heute nicht gefunden.

Viele würden sagen: Sie sind der Erfinder der nordischen Küche. Purismus. Frische, regionale Produkte. Viele Köche machen sich da weniger Gedanken.

Tja, aber ich liebe es, den Dingen auf den Grund zu gehen. Was genau bedeutet denn nordisch und regional? Anfangs dachten wir in unserer Küche, es ginge nur um die Zutaten, die müssten alle von hier kommen. Dann ist da dieser Widerspruch, dass manche das Noma für ein regionales Lokal halten, obwohl viele Zutaten aus 2000 Kilometern Entfernung geliefert werden. Und nun? Wäre es nicht viel logischer, von nordeuropäischer als von nordischer Küche zu sprechen? Sind Hamburg oder Danzig uns in Kopenhagen nicht viel näher als Trondheim oder Göteborg? Wer die gängigen Labels gegen den Strich bürstet, stellt schnell fest: Viele davon bedeuten nicht sehr viel.

Spitzenköche sind sich generell bis heute nicht darüber im Klaren, wie sie Regionalküche genau definieren sollen.

Das meine ich. Jeder versteht etwas anderes darunter. Vieles wird einfach gemacht, weil wir es eben so kennen. Keiner stellt irgendwas infrage. Wir denken im Noma gerade viel über die Menüform nach. Die ist enorm klassisch: Amuse-Bouche, dann Vorspeisen. Dann Fisch, Fleisch als Hauptgang. Immer Dessert. Immer Petits Fours zum Kaffee. Ich frage mich: Wer zwingt alle dazu, das Gleiche zu machen?

Aber die Lockerung ist längst Realität. Die Menüform löst sich doch bereits auf.

Nur sehr vereinzelt. Man könnte sich viel radikaler an den Jahreszeiten orientieren. Von Januar bis April etwa hat das Meer bei uns Hochsaison. Da ist es am reichhaltigsten. Das könnte das ganze Menü diktieren. Ein eher kleines vermutlich. Ab April ist für lange Zeit "grüne Saison": Kräuter, Blumen. Warum nicht dann fast nur auf Vegetarisches setzen? Auf lange Menüs der Vielfalt? Oder mal nur auf Rohkost? Die letzte Obersaison ist der Herbst: Früchte, Wild, Wald. Jede dieser Zeiten teilt sich in viele Untersaisons auf. Wieso sollten wir nicht immer weiter in die Tiefe gehen? Als wir uns dafür entschieden hatten, fühlte es sich plötzlich falsch an, im Noma weiter zu kochen wie bisher. Da fing ich an, mich nach einem neuen Lokal umzusehen.

Was jedes Lokal zum Überleben braucht

Was ist das Wichtigste an einem neuen Ort für ein solches Lokal?

Ich wünschte, ich könnte das beantworten. Die Dinge, auf die es wirklich ankommt, sind schwer zu beschreiben: Ein Ort muss eine Seele haben. Energie ausstrahlen. Natürlich geht es vor allem um die Menschen, die dort arbeiten. Die besten Momente in den letzten 13 Jahren hatten nicht zwangsläufig mit Essen, aber immer mit Menschen zu tun. Begegnungen mit Stammgästen, Mitarbeiter, die plötzlich drei Kinder hatten. Wenn nun aber einer fragen würde, wie es dazu kam, dass das Noma eine Seele hat? Ich habe keine Ahnung.

Sie ziehen auf ein riesiges Areal in der Freistadt Christiania in Kopenhagen.

Es ist ein knapper Hektar, 7000 Quadratmeter, an einem kleinen See gelegen. Dazu drei Gewächshäuser. Damit lässt sich viel anfangen. Wir werden zwei Gärtner haben. Von Frühjahr bis Herbst dürften wir also mit eigenen Zutaten kein Problem haben. Ich bin sehr froh über den Ort, wir haben lange gesucht.

Wie sucht man Ersatz für das Noma?

Ich wollte auf keinen Fall Kopenhagen verlassen, allein schon wegen der Familie. Einige Höfe, die wir uns angesehen haben, waren extrem heruntergekommen. Einer lag zu nah am Flughafen. Irgendwann rief ein Bekannter an: Das musst du dir ansehen! Ich stellte fest, ich war oft ganz in der Nähe spazieren gegangen, ohne das Areal zu kennen. Ich wusste sofort: Das ist es.

Auf den Bildern sieht das Gelände noch ziemlich wüst aus.

Oh ja. Ursprünglich wollten wir das Noma schon im Dezember schließen, aber wegen der Denkmalschutzbehörden sind wir am neuen Standort schon zwei Monate im Verzug. Teile der Gebäude gehörten zu den Befestigungsanlagen des mittelalterlichen Kopenhagen. Dauernd gibt es neue Auflagen. Manchmal geht es um fünf Zentimeter Planungsbreite. Wir sind nur ein kleiner Betrieb. Wenn wir nicht bis Dezember eröffnen, sind wir bankrott. Aber im Moment sieht es wieder recht gut aus.

Wie muss man sich einen solchen Umzug logistisch vorstellen?

Das wüsste ich auch gern. Wir werden Ende Februar dichtmachen und nach Mexiko gehen, für ein Pop-up in Yucatán. Wenn wir wiederkommen, haben wir noch etwa drei Monate. Garten herrichten. Menü entwickeln. Vieles werden wir schlicht ausprobieren müssen. Vielleicht beginnen wir ja vegetarisch? Das klingt auch für mich seltsam. Meine größte Sorge ist, dass sich viele Leute das neue Restaurant als die perfekte Version des Noma vorstellen könnten. Das aber wird es ganz bestimmt nicht sein.

Ist es ein Risiko? Selbst manche Köche behaupten, der Hype um die nordische Küche nähere sich gerade dem Ende.

Das glaube ich überhaupt nicht. Vielleicht meinen sie damit, dass sich die nordischen Länder kulinarisch auseinanderentwickeln. Ich finde eher, in Kopenhagen erreichen wir gerade eine neue Ebene: Nach zwölf Jahren nordischer Küche haben wir das erste Mal so etwas wie eine echte kulinarische Kultur in der Stadt. Bei manchen besteht die Gefahr, dass sie nach dem Schaffen dieser Marke zu stark aufs Business setzen. Business ist der Tod der Kreativität. Aber im Moment sehe ich eher Köche bei uns, die es wirklich wissen wollen. Wir haben kulinarisch noch nicht einmal einen Bruchteil von dem entwickelt, was möglich ist. Wir brauchen mehr Symposien, mehr Wissenschaft, mehr Diskussionen. Wir sind noch viel zu kritiklos!

Wie motivieren Sie sich da? Bei diesem Tempo? Bei diesem Überangebot?

Solange du das Gefühl hast, Teil von etwas zu sein, das vorankommt, ist es gut. Am wichtigsten ist Gemeinschaft. Neid darf es nicht geben. Weder innerhalb eines Teams noch unter Restaurants. Er killt jede Dynamik. Wer glaubt, aus seiner Position etwas ableiten zu dürfen, verliert den Blick fürs Wesentliche. Es ist unsere Aufgabe zu kooperieren. Andere teilhaben lassen. Voneinander lernen. Neugierig und demütig bleiben. Rumkommen. Menschen treffen.

Und dieses ins Manische gestiegene Interesse am Essen der vergangenen Jahre? Droht nicht bald die Übersättigung?

Im Gegenteil. Das wird alles noch mehr. Essen wird über lange Sicht das sein, was uns im Zeitalter der immer schnelleren Digitalisierung noch mit der analogen Welt verbindet. Deshalb werden Leute immer gieriger darauf. Alles passiert heute auf dem Smartphone. Was bitte kannst du da noch anfassen? Haptik, Geschmack - die Leute sehnen sich nach dem Authentischen!

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