Samstagsküche:Hallo, Süßer

Wenn der Ober im Restaurant fragt, wie der Wein denn sein soll, dann antworten die meisten Gäste nur mit einem Wort: trocken. Schade. Ein Plädoyer für die Süße.

Von Herbert Stiglmaier

Es ist das Geburtshaus von Karl Marx und die "Porta Nigra", das schwarze Stadttor aus der Römerzeit, das die Touristen an 364 Tagen im Jahr in den äußersten Südwesten, nach Trier, zieht. An einem Tag im Herbst übertrifft allerdings eine andere Attraktion in der ältesten Stadt Deutschlands diese Sehenswürdigkeiten. Vom sperrigen Titel sollte man sich nicht täuschen lassen. Die "VDP-Prädikatsweinversteigerung des Großen Rings Mosel-Saar-Ruwer" zieht, es ist die umsatzstärkste Weinauktion weltweit. Eine Eintrittskarte kostet 45 Euro - wenn man denn überhaupt in die Gnade der Zuteilung eines der 240 Billetts kommt.

Englisch ist die eigentliche Verkehrssprache auf der Versteigerung, denn die Gäste kommen aus China, Russland, England und den Vereinigten Staaten. Sie sind Weinhändler, Sommeliers und Privat-Verrückte, die zum Beispiel extra aus Indien nach Trier reisen, um einen Typ Weißwein zu erwerben, den tatsächlich niemand so erschaffen kann wie die deutschen Winzer: Wein mit einer gewissen Süße. Im eigenen Land allerdings erfährt er nur von Weinfreaks Anerkennung und führt ansonsten ein Nischendasein. Schuld daran ist dieses Wort. Es auszusprechen, ist fast schon ein Reflex: "Trocken". Klar, was soll man auch sonst sagen, wenn die Weinkarte einem unlösbare Rätsel aufgibt und der Sommelier wie die Tischgesellschaft auf einen sinnhaften Satz der Begründung warten auf die Frage nach den eigenen Vorlieben beim Wein?

Die Gefälligkeit eines Weines hängt von ganz anderen Komponenten ab als dem Extrakt, dem Alkohol und eben dem Restzuckergehalt. Die wichtigste ist im Fall der süßen Weine die Säure. Wenn das Verhältnis dieser beiden Antipoden stimmt, dann wirkt der Wein weder sauer noch pappig. Dann nämlich fängt er zu vibrieren an, und

das feine Spiel der Aromen beim Riesling, der Königsrebsorte in dieser Disziplin, kann beginnen. Überhaupt erst möglich wird es durch die klimatischen Gegebenheiten in vielen deutschen Riesling-Anbaugebieten, nämlich gemäßigte Temperaturen mit einer langen Vegetationsperiode von April bis November.

"Eine Hirn-Krankheit" nennt Max von Kunow die Unterscheidung zwischen trocken und nicht trocken. Der junge Winzer von der Saar hat das ehrenvolle Amt des Auktionators in Trier von seinem Vater quasi "vererbt" bekommen und versteigert nun in Stückelungen ("Lose") von drei bis 1200 Flaschen. Im richtigen Leben führt Kunow in siebter Generation das Weingut "Von Hövel" in Oberemmel, das seit dem Jahr 1803 besteht. Er baut einen Teil der Weine trocken aus. Aufsehen erregen aber vor allem seine feinherben Rieslinge aus den Lagen "Kanzemer Hörecker", "Oberemmler Hütte" und dem weltberühmten "Scharzhofberg" mit diesem faszinierenden Ritt auf der Klinge zwischen fruchtiger Süße und erfrischender Säure.

Tatsächlich sollte man sich als Verbraucher nicht an die Restzuckerwerte halten, die gerne einmal in der Produktinformation auftauchen. Gemäß dem deutschen Weingesetz von 1971 gilt ein Wein als trocken, solange er nicht mehr als neun Gramm Restzucker pro Liter hat. Tatsächlich jedoch kann ein Riesling mit wesentlich mehr als 30 Gramm Restzucker und einer dezidierten Säure von knapp unter zehn Gramm pro Liter durchaus trocken schmecken. Es ist also eine Frage der gelungenen Balance, aber auch der gelungenen Kommunikation, ob derartige Weine beim Verbraucher ankommen.

Auch der winzernde Moderator Günther Jauch und seine Frau Thea haben zwei Tropfen aus dem Jahrgang 2014 aus ihrem Saar-Familienweingut "Von Othegraven" in der Versteigerung unter den Hammer gebracht: 420 Mal "Altenberg Kabinett" gingen für 25 Euro pro Flasche an einen Käufer, die 360 Flaschen Spätlese selben Jahrgangs und Lage erbrachten sogar 37 Euro pro Stück. "Wenn wir Gäste haben, dann stellen wir denen ohne weiteren Kommentar unsere trockenen Weine wie unseren ,Riesling Max' hin, aber auch fruchtsüße Weine", erzählt Thea Jauch. "Dann sagen wir ihnen: ,nehmt, was euch schmeckt'. Trockener Wein ist es am Ende nie", resümiert sie. "Begleitetes Trinken" nennt Günther Jauch diese Therapie, die das trockene Missverständnis so erfolgreich behandelt. "Talk dry, drink sweet", sagt man in England dazu.

Samstagsküche: Sonnensatte Trauben, elegante Säure und viel Restsüße - fast nirgends sind die klimatischen Beingungen für solche Weine so gut wie in Deutschland.

Sonnensatte Trauben, elegante Säure und viel Restsüße - fast nirgends sind die klimatischen Beingungen für solche Weine so gut wie in Deutschland.

(Foto: Frieder Blickle/laif)

Für asiatische Schärfe gibt es kaum einen besseren Begleiter als Riesling mit Restsüße

Leichter tut sich der restsüße Wein da schon in der Spitzengastronomie. Sommeliers und Sterneköche quer durch die Republik haben längst erkannt, welche Fähigkeiten dieser Weintyp als Speisenbegleiter hat: Ein Riesling von Saar, Mosel, Nahe oder aus dem Rheingau umarmt zum Beispiel die Schärfe eines asiatischen Gerichts geradezu. Trockene Weine zerschellen an diesen Aromen. Entgegen dem Klischee, zu Käse und Baguette passe nur Rotwein, ist fruchtsüßer Weißwein in den meisten Fällen der ideale Begleiter für die Salzigkeit von Käse. Im Weingut J.J. Prüm, einem der Elitebetriebe an der Mosel mit einem Exportanteil von 75 Prozent, wird Gästen der Rehschmorbraten nicht etwa mit einem roten Spätburgunder, sondern mit einer mindestens zehn Jahre alten Riesling Auslese aus der Lage "Wehlener Sonnenuhr" serviert. Der Restzucker macht diese Art von Weinen haltbar fast bis in die Unendlichkeit. In der Reife schwächt sich die Süße ab, und die Säure, das Rückgrat des Weißweins, kommt stärker zum Vorschein.

Einem weiteren Vorteil dieser Weine gilt es noch auf die Spur zu kommen: Warum haben eigentlich restsüße Weine mit sieben bis zehn Volumenprozent so niedrige Alkoholgrade, die eine zweite Flasche am Abend ohne Reue ermöglichen? Dies hat mit der alkoholischen Gärung zu tun, bei der die Hefen den Zucker in Alkohol umwandeln. Um es klar zu sagen: Diesen Weinen wird - entgegen einer verbreiteten Annahme - von außen selbstverständlich keinerlei Zucker zugegeben.

Nach fünf Stunden hat Max von Kunow genau 13 218 Flaschen unter den Hammer gebracht. Bezahlt wurden dafür knapp 1,7 Millionen Euro, Rekord. Enthalten darin ist die höchste Summe, die je für einen deutschen Wein bezahlt wurde: 22 Flaschen "2003er Scharzhofberger Trockenbeerenauslese" vom Saar-Weingut Egon Müller aus Wiltingen, zum Stückpreis von 12 000 Euro. Der Großteil davon ging natürlich wieder ins Ausland. Höchste Zeit, dass die Deutschen die Süße neu entdecken.

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