Samstagsküche:Das kleine Prickeln

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Franciacorta, effektvoll angestrahlt. Die besten Flaschen werden ausgestellt wie Schätze.

(Foto: Franco Cogoli/SIME/Schapowalow)

Die Franciacorta in Oberitalien gilt selbst unter Weinfans als Geheimtipp. Dabei sind die Schaumweine aus dem Anbaugebiet oft so gut wie ihr Vorbild: Champagner.

Von Patricia Bröhm

Auch unglückliche Ehen haben ihr Gutes. Simone Majolini ist überzeugt: Hätte seine Großmutter nicht so einen unverträglichen Charakter gehabt, er wäre heute nicht Herr über 24 Hektar Weinberge in besten Lagen. Denn um seine Feierabende nicht zu Hause verbringen zu müssen, legte sich sein Großvater in den 60er-Jahren einen Weinberg zu. Jeden Abend, wenn er aus dem Büro kam, setzte er sich auf die Vespa und fuhr in die grünen Hügel rund um seinen Heimatort Ome, wo er einen sonnigen Hang mit Reben bepflanzt hatte. Der türkisfarbene Motorroller, das Fluchtfahrzeug des Großvaters, steht heute im hochmodernen Fasskeller des Weinguts Majolini, auf einem roten Teppich vor einer nackten Felswand. Die kleine Installation macht klar, was es für große Weine braucht: eine große Motivation, Hingabe sowie die Schätze der Natur, in diesem Fall den Kalkstein, der die Böden der Region nahe der Stadt Brescia prägt.

Die Franciacorta, ein kleines Anbaugebiet auf halbem Weg zwischen Gardasee und Mailand, steht heute vor allem für ein Produkt: hochwertigen Schaumwein, der in einem aufwendigen Verfahren entsteht - nach der einst in der Champagne entwickelten Methode der klassischen Flaschengärung. Engagierte Winzer wie die Majolinis haben das Potenzial ihrer Region für den prickelnden Wein frühzeitig erkannt. Sie zählten zu den Ersten, die sich von einem Kellermeister aus der Champagne beraten ließen, um ihre Produktionstechnik zu verfeinern. Ihr "Franciacorta Brut Electo 2006", der nach tropischen Früchten duftet und geschmeidig am Gaumen entlangtänzelt, beweist mit seinen gereiften Noten, welche Klasse ein Schaumwein italienischer Machart erreichen kann.

Außerhalb Italiens sind die moussierenden Weine aus dem grünen Hügelland westlich von Brescia fast noch ein Geheimtipp. Zu Unrecht. Denn sie bieten im Vergleich mit handelsüblichen Champagnermarken ein geradezu sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis - gute Qualität ist ab 15 Euro pro Flasche zu haben. Wie Champagner wird Franciacorta meist aus Chardonnay und Pinot-Noir-Trauben erzeugt, und die Richtlinien für die Produktion sind ähnlich streng. Ein einfacher Franciacorta Brut liegt mindestens 18 Monate auf der Hefe, ein "Millesimato", der komplett aus Trauben eines Jahrgangs entsteht, mindestens 30 Monate. Deshalb ist das Schlimmste, was man einem Franciacorta-Produzenten antun kann, sein Produkt als "Edel-Prosecco" zu bezeichnen - tatsächlich liegen Welten zwischen seinen aufwendig produzierten "Bollicine" und dem oft billigen Spumante aus Valdobbiadene, dem die Kohlensäure nachträglich zugesetzt wird.

Die Franciacorta hat nicht nur für den Gaumen, sondern auch für das Auge viel zu bieten. Grüne, mit Reben bepflanzte Hügel, so weit das Auge reicht, Olivenbäume und blühender Oleander säumen die Straßen, hinter schmiedeeisernen Toren führen schnurgerade Alleen zu stattlichen Herrenhäusern. In der Region wird seit Jahrhunderten Wein angebaut, doch zu Renommée kam sie erst seit den 60er-Jahren. Damals erkannten einige Önologen, die in der Champagne die Methode der traditionellen Flaschengärung studiert hatten, das Potenzial ihrer Region für Schaumwein: vom nördlich gelegenen Lago d'Iseo weht stets eine kühle Brise über das Hügelland, die Böden sind dank urzeitlicher Gletscherbewegungen reich an Mineralien, und in den Hügeln bei Brescia gibt es vielfältige Mikroklimazonen.

Der Bauunternehmer Vittorio Moretti war einer der Ersten, die in den 70er-Jahren im großen Stil investierten. Auch er hatte ein paar Hektar vom Großvater geerbt, sein neugegründetes Weingut benannte er nach dem Hügel, auf dem sich die Parzellen erstreckten: Bellavista. Heute steht der Name für 190 Hektar Rebberge und 1,5 Millionen Flaschen im Jahr. "Wie jeder große Wein sollte auch ein Schaumwein Kraft und Charakter mitbringen", sagt Mattia Vezzola, Morettis Kellermeister seit 1981. Deshalb lässt Vezzola Trauben erst ernten, wenn sie perfekt ausgereift sind, knapp die Hälfte vergärt er nicht im Stahltank, sondern im Barriquefass: "Das Holz verleiht den Weinen Langlebigkeit und Struktur." Die Fülle am Gaumen ist charakteristisch für die Bellavista-Weine, die in unterirdischen Stollen mindestens vier Jahre reifen, bevor sie in den Handel kommen; die besten Weine wie die "Riserva Vittorio Moretti" dürfen sieben Jahre in sich ruhen.

Dass solch komplexe Schaumweine nicht nur als Aperitif taugen, sondern auch hervorragende Essensbegleiter abgeben, davon ist Ermes Cantera, Sommelier im Restaurant "Leone Felice" des Hotels L'Albereta, überzeugt. Er schenkt die "Riserva Vittorio Moretti 2008" zur Lammschulter mit einer Sauce aus frischen, karamellisierten Kirschen ins Glas: "Die Aromen des Weines verstehen sich gut mit der Fruchtigkeit der Kirschen. Und weil der Wein extra brut, also besonders trocken ist, balanciert er die fette Lammschulter gut aus." Auf der Weinkarte des "Leone Felice" stehen 70 verschiedene Franciacorta und Champagner. "Viele Gäste sind überrascht, wie gut man ein ganzes Menü mit Schaumweinen komplettieren kann", sagt Cantera. "Für mich sind die Weine mit ihrer Säure und perlenden Frische perfekt zum Essen. Sie reinigen den Gaumen nach jedem Schluck, sodass man die Aromen des Gerichts immer wieder neu erleben kann."

Gereifte Schaumweine können genauso viele Facetten haben wie ein alter Rotwein

Führende Kellereien wie Bellavista, Berlucchi oder Ca' del Bosco prägten nicht nur den Stil der Region und förderten mit der Gründung des Interessenverbandes Consorzio Franciacorta das Selbstbewusstsein der Winzer, sie inspirierten auch viele Neugründungen. Roberto Gatti arbeitete viele Jahre bei Bellavista, bevor er sich 1991 mit vier Hektar und einem gemieteten Keller selbständig machte. Heute residiert sein Weingut Ferghettina in einem großzügigen Gebäude am Rand des Dörfchens Adro, der Betrieb ist auf 200 Hektar gewachsen. Aber der 61-jährige Gatti, der selbst den Traktor fährt und jeden Morgen um fünf Uhr im Keller steht, ist Qualitätsfanatiker. Nur die besten Trauben finden den Weg in seine eigenen Weine, etwa die Hälfte verkauft er an andere Kellereien. Er lässt die Trauben von Hand lesen, nur ganz sanft werden sie in der traditionellen Holzpresse angedrückt, bis sie ihren kostbaren Saft freigeben. Die Weine werden ausschließlich im Stahltank ausgebaut, weil Gatti ihren reinen Geschmack ins Glas bringen, ihre Frische und ihre belebende Säure erhalten will. Ein Schmuckstück seiner durchweg gelungenen Kollektion ist der Satèn, eine Spezialität der Franciacorta. "Es fühlt sich an, als habe man kühle Seide im Mund", sagt Gattis Önologe Filippo Rossi. Ein Satèn wird ausschließlich aus weißen Trauben gewonnen; weil dem Wein weniger Hefe zugesetzt wird, entsteht in der Flasche auch weniger Kohlensäure - die Cremigkeit und die feinen Bläschen, die den Gaumen streicheln, sind seine Markenzeichen.

Im Keller von Ferghettina lagern die besten Flaschen des Hauses hinter einem schmiedeeisernen Gitter, sorgfältig ausgeleuchtet. "Wir wollen zeigen, dass gereifte Schaumweine genauso viele Facetten bieten wie ein alter Rotwein", sagt Rossi und streichelt über eine Flasche Extra Brut von 1997. Sie sind hier stolz auf das eigene Produkt und glauben fest, dass ihre Schaumweine auf Augenhöhe sind mit den berühmten Verwandten aus Frankreich.

Champagner und Franciacorta - der Vergleich ist für Weinfans deshalb so spannend, weil es um die gleichen Rebsorten, das gleiche Herstellungsverfahren geht. Doch dank unterschiedlicher Böden und Klimazonen entsteht jeweils ein ganz anderes Produkt. Champagner schätzt man für seine belebende, frische Säure, typisch für ein nördliches Anbaugebiet, ein Franciacorta ist mediterraner, mit viel Körper und Aroma in der Flasche. Sicher, Champagner hat die große Geschichte, hat den Mythos gepachtet. Aber wie sagen sie in der Franciacorta? "L'allievo passera il maestro" - der Schüler wird den Lehrer übertreffen.

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