Samstagsküche:Aus Alt mach neu

Wie man braut, haben sich viele Craft-Beer-Macher aus den USA beim Uerige abgeschaut. Warum? Weil die Düsseldorfer Brauerei mit Traditionen umzugehen weiß.

Von B. Dörries

Wenn man Michael Schnitzler fragt, wie lange es gedauert hat, bis er sein Ueriges auch Craft-Beer nennen konnte, kann man dabei zuschauen, wie sein recht gut gebräuntes Gesicht in sich zusammenfällt. Und wie das Zusammenfallen dann noch durch diverse Stöhn- und Ächzlaute begleitet wird, die man sonst eher aus Comic-Sprechblasen kennt.

Michael Schnitzler hat sich für das Gespräch vor das Uerige in Düsseldorf gesetzt, unter die Fenster, hinter denen er als Kind gewohnt hat. Das Leben, als es begann, es roch nach Bier.

Den Baas nennen sie ihn heute in Düsseldorf, was auch irgendwie "den Boss" nahelegt, aber eben doch noch mehr bedeutet. Der Baas, das ist der Paterfamilias der Düsseldorfer Hausbrauereien, ein Titel, der über die Jahrhunderte weitergegeben wird, ein Amt, das nicht so sehr darauf aus ist, dass möglichst viel Bier ausgestoßen wird. Sondern vor allem darauf, eine Tradition fortzuführen, eine Brauerei, einen Ort sozialer Interaktion, in dem Menschen zusammenkommen. Und wo die legendären Köbesse, die Brauhauskellner, auch die größten Wirtschaftsgrößen so behandeln wie alle anderen.

Seit 1999 ist Schnitzler nun der Baas, das Problem bei Amtsantritt war nur: Die Deutschen trinken immer weniger Bier. Weniger Pils, das heute ungefähr so schmeckt wie früher das Helle. Und auch weniger Helles, das nicht nach sehr viel schmeckt. Und wenn sie trinken, dann nur das billigste. Um das Alt aus Düsseldorf machen eh viele einen Bogen. War halt auch nicht der günstigste Name für ein Bier.

Das Uerige ist ein Bier, in das man sich so ein bisschen reinfummeln muss. Das erst mal sehr bitter schmeckt und eben auch ein bisschen alt. Was es natürlich nicht ist, der Name entwickelte sich vor Jahrhunderten einfach aus der Biertradition nach "alter Art". Das "neue" Bier kam flächendeckend erst mit der Erfindung der Kühlmaschinen, als untergärige Sorten wie Pils den Markt eroberten. Deutschlandweit ist der Anteil von Alt auf etwa ein Prozent gesunken. Im Süden und im Norden kennt man es kaum noch. Und womöglich, so stellt sich jetzt heraus, bedeutet diese Unkenntnis auch, dass man etwas verpasst.

Früher galt die Brautechnik hier als veraltet. Plötzlich gilt sie als vorbildlich

Denn "die alte Art", sie ist wieder erstaunlich modern geworden, vor einigen Jahren kamen die ersten Craft-Beer-Brauer aus Amerika nach Düsseldorf ins Uerige, um sich dort abzuschauen, wie man richtiges Bier braut, das es im Budweiserland Amerika vor 20 Jahren fast nicht mehr gab.

Dafür kommt aus Amerika schon länger einiges zurück - als sogenannter Craft-Beer-Trend, der seit einigen Jahren über den Atlantik schwappt. Handwerklich gebraute Biere, mal nur mit Hopfen und Malz. Mal auch mit Haferflocken und Koriander. Der Absatz ist noch ziemlich gering, aber immerhin wird seit einiger Zeit wieder über Bier gesprochen in Deutschland. Es werden Gläser geschwenkt, es wird gerochen, es wird der Abgang analysiert. Und auch der Bier-Sommelier ist kein echter Exot mehr. Man könnte auch sagen: Bier hat sich dem Wein genähert.

Uerige Düsseldorf

Ja, macht ihr denn auch Craft-Beer?, fragten immer mehr Gäste beim Uerige. Irgendwann reichte es dem Chef, und er hängte diese Leuchtreklame ins Fenster.

(Foto: PR)

Und als Schnitzler dann zum tausendsten Mal gefragt wurde, ob er denn auch Craft-Beer im Angebot habe, ob er denn auch tatsächlich selber braue, da hat er dann einfach eine Leuchtreklame ins Fenster gehängt: Craft-Beer seit 1862.

So wahnsinnig glücklich sieht er dabei nicht aus. Für ihn ist das so eine Sache mit diesem neuen Trend. Einerseits eine schöne, weil wieder darüber gesprochen wird, wie ein Bier schmeckt und was drin ist - und nicht nur über den Preis. Auf der anderen Seite tummeln sich nun alle möglichen Leute auf dem Markt. Früher haben Unternehmensberater sich gerne mit einem Coffee-Shop oder eine Burger-Kette selbständig gemacht. Heute werden sie Craft-Brauer, zumindest nennen sie sich so. Das Bier wird in irgendeiner gesichtslosen Lohnbrauerei abgefüllt und ein knalliges Etikett draufgepappt, das lustige Logos zeigt, aber die wahre Herkunft verschweigt.

"Das sind alles keine Hausbrauer", klagt Schnitzler. "Die tun nur so." Das wäre nicht weiter schlimm, wenn die neue Konkurrenz wenigstens ordentliches Bier verkaufen würde. Aber Schnitzler hat da so seine Zweifel. "Der Craft-Beer-Trend ist ein zartes Pflänzchen. Das dürfen wir nicht durch schlechte Qualität gleich wieder kaputt machen." Sein eigenes Bier ist in den Rating-Portalen, die es im Netz gibt, ganz weit vorne, zählt zu den besten Bieren der Welt. Und wer an Rankings glaubt und heute über Bier mitreden will, das darf man wohl so sagen, der muss einmal ein Ueriges getrunken haben.

In den USA zählt das Uerige schon seit vielen Jahren zu den besten Craft-Bieren, ohne dass es sich extra so nennen musste. Für Nordamerika wird ein spezielles Alt gebraut, dunkler, schwerer und etwas süßer, so wie man es dort mag. Und mit deutlich mehr Alkohol: 8,5 Prozent. Ein Importeur schafft es in Tanks über den Atlantik und lässt das nicht pasteurisierte Bier dort weiter reifen. Andere Sorten lagert Uerige selber in Scotch-Fässern. Es kommt in eine Champagnerflasche mit 11,8 Prozent. Es ist schwer und holzig mit Whisky-Aromen. Man trinke es am besten auf einem Bärenfell vor offenem Feuer, sagt Schnitzler. Manchem wird auch das der Bier-Romantik zu viel sein, aber zumindest die Botschaft ist klar: Es ist kein Bier, das man einfach mal so runterhaut.

Wenn man in den Archiven nachschaut, dann erzählt Schnitzler nun schon seit Jahren, dass es aufwärts gehe mit seiner Brauerei, was auch nicht falsch ist. Der Ausstoß ist allerdings über die Jahre immer derselbe geblieben: 20 000 Hektoliter, das macht 20 Millionen Liter im Jahr. Uerige kommt mit dieser Menge nicht mal auf ein Hundertstel der Branchenführer. Das will die Brauerei aber auch gar nicht. Mehr kann man nicht produzieren in einer Hausbrauerei, die wirklich nur in einem kleinen Haus direkt neben dem Rathaus untergekommen ist. Die Brauer hier sind auch Akrobaten, die über Schläuche steigen und sich hinter Tanks entlang quetschen.

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Vor etwa 15 Jahren, als er den Betrieb vom Vater übernahm, hat Schnitzer eine Anlage eingebaut, mit viel neuer Technik, aber auch mit Bewährtem. Das Bier wird weiter in einem offenen Kühlschiff gekühlt und in einer Sprinkleranlage aus Kupfer. Es sind Anlagen, die heute gar nicht mehr so gebaut werden. Ja, für die es kaum noch Ersatzteile gibt. Die geben dem Bier aber erst seinen Geschmack, erklärt Schnitzler. Früher hat die Konkurrenz den Kopf geschüttelt, heute hätte er für das Kühlschiff sofort einen Käufer. "Es lohnt sich manchmal auch, einen Trend auszusitzen." In den Großbrauereien fließt das Bier durch geschlossene Kreisläufe, das Uerige hingegen kann atmen.

Für die Biere aus der Fernsehwerbung werden Hopfenextrakte verwendet, beim Uerige kommen die kompletten Dolden rein, in getrockneter Form, damit man das ganze Jahr über brauen kann. Es gibt aber auch ein Bier mit frischem Hopfen. Zu kriegen sind die Spezialitäten ohnehin kaum. Manche werden überhaupt nur zwei Mal im Jahr gebraut.

Schnaps wird hier nicht ausgeschenkt. Umfallen sollen die Leute anderswo

Auf der Karte des Uerige-Brauhauses in der Altstadt stehen die besonderen Biere nicht, da gibt es nur das Alt. Und auch der Whisky, den Schnitzler mittlerweile herstellt, kriegt man nicht beim Köbes. Kein Schnaps - auch das hat Tradition im Uerige. Die Leute sollen schließlich nicht umfallen. Und wer das unbeding braucht, muss eben anderswo vom Stuhl kippen. Ein Selbstbewusstsein, das einer Marke durchaus guttut, das man sich aber auch leisten können muss.

Früher wurde natürlich mehr gesoffen, sagt Schnitzler. Heute leben die Leute auch im Uerige gesünder, was den Baas nicht stört. Aber es ist in der Düsseldorfer Altstadt nach wie vor völlig in Ordnung, sich bei schönem Wetter schon mittags vor das Uerige zu stellen und ein paar Alt zu trinken. Erst wenn der Deckel auf dem Glas ist, hört der Köbes auf mit dem Nachschub. Draußen stehen und trinken - das ist noch relativ neu in Deutschland.

Als Schnitzler klein war, da standen keine Tische vor dem Uerige. "Da fuhren die Leute im Käfer vor, und der Köbes machte die Striche auf dem Kotflügel", erzählt Schnitzler. An schönen Tagen standen die Leute dann in der Schlange vor dem Lokal, um sich ein Bier zu holen. "Wie in der DDR."

Heute sieht man an Samstagvormittagen diverse Konzernlenker vor dem Uerige stehen und trinken, während die Frauen beim Einkaufen sind. "Ein Brauhaus ist auch wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft", sagt Schnitzler. "Hier kommen Menschen miteinander in Kontakt, die sonst nie zusammengekommen wären und erfahren etwas übereinander. Das schafft keine Talkshow."

Es wird vergleichsweise immer noch viel getrunken und geredet im Uerige. Hin und wieder fragt mal einer, ob es denn auch Wlan gebe. "Unterhaltet euch, das ist eine Kneipe", sagt Schnitzler dann. An den Wänden hängen ein paar Werke von Düsseldorfer Künstlern, die hier selbst gerne zum Trinken sind. Die Großen und die Kleinen des Landes, sie waren alle da, es gibt auch ein Bild von Gerhard Schröder, auf dem er ein Fässchen über dem Kopf hält und eine gute Zeit zu haben scheint. Das Uerige, es ist ein großer Gleichmacher. Eine schöne, traditionsreiche Eigenschaft für ein Bier übrigens; vor allem in einer Branche, die zuletzt sehr viel weniger Zeit darauf verwendet hat, Menschen einander näherzubringen, als immer mehr Biere einander anzugleichen.

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