Samstagsküche:Die Rückkehr des Vernatsch

Weinanbau in Frankreich

Unter den Rotweintrauben stand der Vernatsch bislang nicht für eine Premium-Sorte.

(Foto: dpa)

Wie aus einem berüchtigten Südtiroler Billig-Trunk ein interessanter Rotwein wurde.

Von Patrick Hemminger

Vernatsch war einmal eine der beliebtesten Rebsorten Südtirols. Heute ist es nicht leicht, jemanden zu finden, der noch ein Loblied auf diesen Wein singt. So jemanden wie Ulrich Ladurner. Er sagt: "Der Vernatsch ist ein traditioneller Wein, der heute wieder sehr modern ist. Er ist leicht, er ist fruchtig mit Aromen von Kirsche, Himbeere und Erdbeere, das gefällt den Leuten und passt gut zu moderner Küche."

Der Südtiroler Unternehmer und Hotelier kann sich so für den Vernatsch begeistern, dass er jedes Jahr ein gutes Dutzend Experten in sein Hotel hoch über dem kleinen Ort Lana bei Bozen lädt, um den besten Vernatsch der Region zu küren. Seit zwölf Jahren richtet Ladurner nun den "Vernatsch Cup" aus. Es ist so etwas wie eine kleine Tradition entstanden. Es geht also etwas voran. Wenn auch nur langsam.

Früher machte er 70 Prozent der Rebfläche aus. Heute sind es 16.

Südtirol ist eines der kleinsten Weinbaugebiete Italiens. Vielen gilt es heute auch als das facettenreichste. Die Rebflächen verteilen sich auf unterschiedliche Klimazonen, wechselnde Bodentypen und liegen auf Höhen zwischen 200 und 1000 Metern. Jedes Jahr regnet es Auszeichnungen im "Gambero Rosso", Italiens wichtigstem Weinführer. Die lautesten Jubelarien singen die Weinkritiker aber auf Weißweine. Ulrich Ladurner versteht das nicht. Der Vernatsch ist doch der perfekte Tropfen, der für Südtirols Weinbaugeschichte steht wie kein zweiter. Und dessen Anteil an der Gesamtanbaufläche stark gesunken ist. Von 70 Prozent in den Achtzigerjahren auf heute 16 Prozent. Tendenz weiter fallend.

Wer fragt, warum es so mühsam ist, diesen perfekten Tropfen wieder nach vorne zu bringen, der stößt auf Hindernisse: Da ist das hässliche Image des Vernatsch, den viele noch als Billig-Knaster in Erinnerung haben. Da ist das Kapriziöse dieser Rebsorte; und ihre Anfälligkeit für Schädlinge.

Plattner erhält Preise und ist jedes Jahr ausverkauft

Die Spurensuche beginnt in den Kellern und Weinbergen rund um Bozen. Im Keller von Christian Plattner zum Beispiel. Still ist es hier unten. Die Wände sind dunkel geworden im Laufe der Jahrhunderte. Neben den Holzfässern, in denen der Wein leise zu sich selbst findet, steht Plattner, und nur die schrundigen Hände verraten, dass er Winzer und Landwirt ist. Der restliche Mann wirkt eher ein bisschen wie ein Techno-DJ, die Haare raspelkurz, der Vollbart am Kinn länger, am Arm ein Tattoo.

Plattner, Anfang 40, bewirtschaftet das Weingut Ansitz Waldgries bei Bozen. 1242 ist das Haus erstmals urkundlich erwähnt. Der Winzer macht bis zu 80 000 Flaschen im Jahr. Die meisten davon Rotwein aus dieser Rebsorte, die angeblich kaum einer mehr trinken will - und dafür erhält er Preise und ist jedes Jahr ausverkauft. Warum das so ist, erklärt man wohl am besten an seinem hochwertigsten Vernatsch, dem "Antheos". Bei ihm treibt Plattner die Rebsorte so weit, wie es nur geht. Die gepressten Trauben bleiben lange in Kontakt mit der Maische, ein Teil des Leseguts wird mit ganzen Trauben samt ihrer Stiele vergoren. Dadurch wird der Wein dunkel und kräftig im Geschmack. "Typisch für den Vernatsch ist seine feinfruchtige Eleganz. Die behält er, auch wenn er so kräftig wird wie der Antheos", sagt Plattner. Das kostet: 15 Euro bei Direktverkauf. Trotzdem verkauft er sich blendend. Plattner glaubt an die Zukunft der Rebsorte.

Anfang der Achtziger wurden die Weintrinker anspruchsvoller

Der Weg zur Qualität war schwierig. Früher, als es um Masse statt Klasse ging, war die Rebsorte beliebt. Die Winzer produzierten so viel Wein wie irgend möglich. Nach Weihnachten kamen verlässlich die Händler aus der Schweiz. Wenn der Wein bei der Verkostung nicht völlig untrinkbar war, kauften sie die gesamte Produktion.

Den Vernatsch in Flaschen abfüllen und selber verkaufen? Das tat damals fast niemand. Einer der Ersten, der das für zukunftsträchtig hielt, war Franz Gojer vom Glögglhof. Ein paar Tausend Flaschen waren das anfangs nur. 40 Jahre später nähert sich Gojer dem Rentenalter. Doch altersmüde wirkt er gar nicht, wenn er in Gummistiefeln aus dem Weinberg kommt. Sein kleines Weingut liegt eingequetscht zwischen anderen Höfen in St. Magdalena bei Bozen - bestes Vernatschgebiet. Auf seinen 7,5 Hektar macht Gojer 60 000 Flaschen Wein jedes Jahr. "Ich wollte mir mit dem Vernatsch in Flaschen ein zweites Standbein aufbauen", sagt er. Von Jahr zu Jahr versuchte Gojer nun, nicht mehr Vernatsch zu machen, sondern besseren. "Die anderen Winzer haben mich belächelt", sagt der Winzer. Aber nicht lange.

Anfang der Achtzigerjahre brach der Billigmarkt zusammen. Die Winzer hatten die Qualitätsspirale bis zum Anschlag nach unten gedreht. Zugleich wurden die Weintrinker anspruchsvoller. Weißweine aus Südtirol stiegen in ihrer Gunst. Viele Winzer rissen ihre Vernatsch-Reben heraus und pflanzten andere Sorten. Weißburgunder, Merlot oder Cabernet Sauvignon.

Auf dem Glögglhof blieb man dem Vernatsch treu. Gojers Sohn Florian, 29, wird den Betrieb übernehmen und weiterführen. "Wir haben keine Probleme, von unserem Wein zu leben", sagt er. Mehr als zehn Euro kostet eine Flasche seines "St. Magdalener Classico". Im Supermarkt findet sich Vernatsch, der nicht einmal halb so teuer ist. Aber "St. Magdalener" ist längst ein geschützter Qualitätsname für Wein aus den Toplagen dieses Dorfes bei Bozen. Die dortigen Winzer geben ihren Weinen bis zu zehn Prozent der Rebsorte Lagrein dazu. Lagrein ist dunkler und kräftiger im Geschmack und verleiht dem Vernatsch eine größere Fülle. Qualität ist der einzige Weg.

Und nun, wo die Qualität da ist, könnte die Kirschessigfliege dieser Rebsorte den Rest geben

Einer, der die Probleme des Vernatsch wunderbar erklären kann, ist Gerhard Kofler, der Kellermeister bei der Genossenschaft Girlan. Mit der Linie "Fass Nr. 9" füllt Girlan den wohl bekanntesten Vernatsch ab. "Die Winzer in den Genossenschaften werden danach bezahlt, wie viele Kilo Trauben sie abliefern. Für ein Kilo Vernatsch bekommen sie bei anderen Kellereien in der Regel 30 bis 50 Prozent weniger als für andere Sorten", sagt Kofler. Für die Winzer, die keine Toplagen besitzen, lohnt sich der Anbau deshalb kaum noch.

Hinzu kommt, dass der Vernatsch eine Diva ist. Die Reben sind anfällig für Mehltau, die Beeren haben eine dünne und empfindliche Schale. "Außerdem ist viel Laubarbeit nötig", sagt Christian Plattner vom Ansitz Waldgries. "Man muss in einem Vernatsch-Weinberg sehr fleißig sein." Sind die Trauben dann gepresst, wird es im Keller nicht einfacher. "Vernatsch ist ein filigraner Wein und als solcher schwierig", erklärt Plattner. "Denn lasse ich zu, dass er nur ein bisschen zu viel Gerbstoffe mitbekommt, wird er unrund." Viel Arbeit für wenig Geld also. So verschwindet der Vernatsch nach und nach aus den Lagen, in denen er keine Top-Qualität bringt.

Zum Glück war der Sommer heiß und trocken

Schrumpft sich die Sorte vielleicht nur gesund und am Ende bleiben die besten Produzenten übrig? Gerhard Kofler wiegt den Kopf und schaut skeptisch. Ein kleines Insekt, die Kirschessigfliege aus Japan, könnte dem Vernatsch den Todesstoß versetzen. Sie befällt reife, rote Trauben, legt dort ihre Eier hinein. 2011 wütete sie zum ersten Mal in den Weinbergen Südtirols. Spricht man die Winzer auf 2014 an, schütteln sie nur die Köpfe. Bis zu 30 Prozent der Trauben zerstörte die Fliege. Wie oft können die Winzer so einen Jahrgang verkraften? Das ist die Frage. Kofler sagt: "Das Schwierige ist, dass die Fliege die Trauben erst dann befällt, wenn sie reif sind. Reife Trauben dürfen wir nicht spritzen."

Zum Glück war der letzte Sommer heiß und trocken, die Kirschessigfliege mag es feucht. Auch waren die Winzer vorbereitet. Doch bringt die Fliege selbst die Weinbauern zum Nachdenken, die dem Vernatsch bisher die Treue halten. "Ich kann das verstehen", sagt Kofler. "Wieso sollten die sich das antun? Die Fliege bedeutet noch mehr Arbeit und noch weniger Geld. Drei Hektar gute Vernatsch-Lagen haben wir letztes Jahr deshalb verloren." Ohne die Fliege, sagen die Winzer, würde sich der Anteil des Vernatsch an der Rebfläche Südtirols bei etwa zehn Prozent einpendeln. Aber jetzt? "Viele zweifeln", sagt auch Plattner.

Wird die Anerkennung für den Vernatsch noch rechtzeitig weiter wachsen? Auf dem "Vernatsch-Cup" im vergangenen Mai war auch Renzo Cotarella zu Gast. Der Kellermeister von Antinori, einem der berühmtesten Weingüter des Landes, war begeistert: "Ich bin positiv überrascht über das hohe Niveau. Daher bin ich mir sicher, dass der Vernatsch eine Zukunft hat - wenn genug Winzer an ihn glauben."

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