Samstagsküche:Alles fein in Deidesheim

Abschied vom Saumagen: Helmut Kohls pfälzischer Lieblingsort hat sich in den vergangenen 20 Jahren zum Pilgerziel für Gourmets und Weinliebhaber entwickelt.

Von Patricia Bröhm

Wenn Daniel Schimkowitsch zur Arbeit kommt, tritt er durch den hohen Torbogen mit der eingemeißelten Jahreszahl 1718 in den kopfsteingepflasterten Hof des Weinguts Bassermann-Jordan. Er schaut auf die sonnengelben Gutshäuser, auf die blühenden Magnolienbäume, er atmet den Duft von Rosmarin und Thymian, die hier in den Winkeln wachsen. "Und dann denke ich mir jeden Morgen: Geil! Attacke!", sagt Schimkowitsch nun. Ein etwas eigentümlicher Schlachtruf, der wohl auch die Begeisterung darüber ausdrücken soll, wie gut man damit vorangekommen ist, dieses traditionsreiche pfälzische Idyll mit der modernen Gastronomie zu vermählen.

Denn im fachwerkseligen Deidesheim, wo Schimkowitsch arbeitet, ist kaum noch etwas so, wie es scheint. Oberflächlich betrachtet, würde man den 32-Jährigen mit den tätowierten Armen, der blonden Tolle und dem Dreitagebart vielleicht in einem Kreuzberger Burgerladen verorten. Er ist aber Oberbayer und bestens ausgebildeter Küchenchef, der unter anderem sechs Jahre bei Drei-Sterne-Koch Christian Jürgens am Tegernsee gekocht hat. Und hauptstädtisch cool inszeniert Schimkowitsch jetzt das Restaurant L.A. Jordan, einst Viehstall des Bassermann'schen Herrenhauses und nun nach dem Gründer des Weinguts, Ludwig Andreas Jordan, benannt. In dem prächtigen Raum mit Kreuzgewölbe und Säulen lässt er "die Kellner nicht mehr als Pinguine auftreten und 25 Besteckteile eindecken". Stattdessen tragen sie Jeans, Turnschuhe und Teller mit aromenstarken Gerichten wie "Verkohltes Rind", bis zur Schwärze gegrillt und mit Trüffel in Teriyaki-Sud serviert. Die Weine dazu stammen aus den besten Lagen der Pfalz, zu denen auch Deidesheims große Gewächse zählen.

Moment mal, Deidesheim? War da nicht was mit Saumagen und Weinstubenglück?

Tatsächlich verdankt der gemütliche 3700-Einwohner-Ort in der Pfalz seine Bekanntheit vor allem der kulinarisch außerordentlich bodenständigen Ära Kohl. Damals führte der Bundeskanzler Staatsgäste von Michail Gorbatschow bis Ronald Reagan mit Vorliebe in den "Deidesheimer Hof", wo er ihnen die berühmte "Saumagen-Diplomatie" angedeihen ließ. Bis heute lebt das Traditionsrestaurant von diesem Ruf, sind die Wände hier tapeziert mit Fotos von Regenten und Würdenträgern aus der ganzen Welt. Und bis heute nimmt Altkanzler Helmut Kohl ab und zu an seinem Stammtisch neben dem grünen Kachelofen Platz. Dabei ist "sein" Deidesheim drumherum kaum wiederzuerkennen.

Seit der Jahrtausendwende hat sich der Ort grundlegend gewandelt. Und dass heute Gourmetköche wie Daniel Schimkowitsch vom "neuen Cool" des Pfälzer Städtchens schwärmen, dass sich am Marktplatz stilvolle Vinotheken reihen und vor dem Deidesheimer Hof ein Aston-Martin mit englischem Kennzeichen parkt, das ist vor allem zwei Männern zu verdanken, die mit der weltberühmten Gästegalerie des Ortes wenig zu tun haben.

Zum einen ist da Stefan Gillich. Der vorausschauende ehemalige Bürgermeister der Stadt verhinderte schon in den 70er- Jahren, als deutsche Weine wenig angesehen waren, dass die besten Lagen rund um den Ort in Bauland umgewandelt wurden. Er hatte Kohl erstmals nach Deidesheim eingeladen. Und er sprach 2002, als die Witwe Bassermann ihr renommiertes Weingut samt Herrenhaus verkaufen wollte, auch den Mann an, für den das "Projekt Deidesheim" zum geflügelten Wort werden sollte: den Neustädter Werbeunternehmer Achim Niederberger, Selfmade-Millionär und großer Weinfan. Nacheinander kaufte Niederberger mit den Paradeweingütern "Bassermann-Jordan", "von Buhl" und "Dr. Deinhard" (heute "von Winning") ein kleines Imperium zusammen und trieb seine Vision vom Pilgerziel für Gourmets und Weinliebhaber bis zu seinem viel zu frühen Tod 2013 energisch voran.

Die vergangene Größe von Deidesheim, an die Niederberger anknüpfte, spürt man besonders deutlich im Weingut "von Winning". Vor der Buntsandstein-Villa aus den 1840er-Jahren stehen Riesenmammutbäume, damals galten solche Exoten als Statussymbole. Wie viele der stattlichen Weingutsvillen im Ort erzählt das Haus von einer Zeit, als der "Rheinwein" weltberühmt war und höhere Preise erzielte als Bordeaux und Champagner. "Ein denkmalgeschütztes Weingut lässt sich heute nur mit Qualitätswein erhalten", sagt Geschäftsführer Stephan Attmann, während er die steile Treppe mit den ausgetretenen Stufen ins Dunkel des historischen Kellers hinabsteigt, wo in endlosen Fassreihen Große Gewächse reifen: "Deidesheimer Kalkofen oder Langenmorgen, Forster Ungeheuer oder Pechstein - die Spitzenlagen rund um Deidesheim sind ein Geschenk der Natur", sagt der gelernte Winzer, der 2007 von Niederberger engagiert wurde, um das Weingut endlich aus dem Dornröschenschlaf zu wecken.

Diesen Job hat Attmann, der den weichen Akzent der Südpfalz spricht, gründlich erledigt. Er prägte einen für die Region völlig neuen Weinstil, der "von Winning" heute einen Platz in den besten Restaurants der Republik sichert. Er begann wieder damit, Riesling im Holzfass auszubauen: "Das war hier früher Tradition, aber die Tradition war tot." Anfangs erntete er dafür auch Kritik, längst überzeugte er die Skeptiker: "Das Holz macht die Weine inhaltsreicher und komplexer strukturiert." Bestes Argument für seinen Weg sind seine Weine: der geschmacklich markante, aber dabei schmeichelnd weiche 2012 Riesling Forster Ungeheuer etwa. Er wurde, wie Attmann es nennt, "minimalinvasiv" ausgebaut, also ungeschönt, ungefiltert und auch sonst unbehandelt. Attmanns Vorbild ist Burgund, wo er als junger Winzer arbeitete, die Lagen rund um Deidesheim bergen für ihn ähnliches Potenzial: "Das Klima ist warm und mild, aber abends liegen die Osthänge im Schatten - das ist eine Côte d'Or für große Rieslinge."

Samstagsküche: undefined

Der weltbekannte britische Weinkritiker Hugh Johnson erklärte Deidesheim schon vor 20 Jahren zu "einem der schönsten Weindörfer der Welt". Aber er sprach damals vom beschaulichen Ort der Ära Kohl, als der Deidesheimer Hof alleiniger Platzhirsch war. Seit Achim Niederberger den Ketschauer Hof und den Kaisergarten, zwei Top-Hotels, aus dem Boden stampfte sowie mehrere Lokale eröffnete, ziehen andere nach und lassen das abgedroschene Saumagen-Klischee immer älter aussehen. Das Weingut "Bürklin-Wolf" eröffnete am Marktplatz eine schicke Vinothek, im Weingut "Josef Biffar" (das einer Unternehmerfamilie aus Osaka gehört) gibt es sogar das "Fumi", ein ausgezeichnetes japanisches Restaurant.

Ein Hauptgrund aber, warum die deutsche Weinszene derzeit gebannt nach Deidesheim starrt, verbirgt sich hinter der klassizistischen Fassade des Weinguts "Reichsrat von Buhl" an der Hauptstraße. Hier ist der Arbeitsplatz von Mathieu Kauffmann, und wenn der gebürtige Elsässer auch selbst nicht im Traum auf die Idee käme, Wind um die eigene Person zu machen, so besorgt das schon seine Vita: Er war zwölf Jahre Chefkellermeister des renommierten Champagnerhauses Bollinger. Als er 2013 in Ay kündigte, um einen Job in der Pfalz anzutreten, war das ein Paukenschlag, Niederberger glückte mit dieser Personalie ein echter Coup. Natürlich hatte Kauffmann gute Gründe: "'Von Buhl' ist mit 59 Hektar der größte private Besitzer von Grand Cru-Lagen in der Pfalz - das sind alles Filetstücke." Unerwähnt lässt der Franzose, dass er in Deidesheim ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten hat. Gemeinsam mit dem Weinjournalisten Richard Grosche ist er Geschäftsführer bei "von Buhl". "Mathieu hat eine ganz neue, knochentrockene Stilistik geprägt", sagt Grosche bei der Weinprobe in der Vinothek des Hauses, "und zwar vom Ein-Liter-Riesling bis in die Spitze." Ein mutiger Schritt, denn ohne Restzucker lässt sich im Wein nichts kaschieren, so pur kann nur erstklassiges Traubenmaterial beeindrucken. Besonders stolz ist Kauffmann daher auf die Auszeichnung "Best of Riesling", die er für sein Großes Gewächs aus der Lage Kieselberg bekam - "weil alle glaubten, ich kann nur Sekt".

In der Vinothek des Hauses finden das alte und das moderne Deidesheim zusammen. Im Eingangsbereich hängen an der unverputzten Sandsteinwand zwei Fässer von 1949, eingefasst in einen modernen Rahmen aus gebürstetem Alu. In deckenhohen Weinregalen lagern neben Preziosen des Weinguts aus der langen Geschichte seit der Gründung 1849 auch Neuentwicklungen wie der explizit auf die Szenegastronomie zugeschnittene Bone Dry, ein knackig frischer Riesling mit einem stilisierten Totenkopf auf dem Etikett. Viele Besucher aber wollen den Sekt probieren, den der berühmte Kellermeister aus der Champagne macht. Der "von Buhl Reserve Brut" aus Weißburgunder und Chardonnay perlt im Glas, ein kräftiger, schmelziger Schaumwein, der ohne Weiteres als Champagner durchginge. Natürlich, die Rebsorten sind anders, die Böden sind anders, aber hier ist deutscher Sekt auf Augenhöhe mit den berühmten Namen rund um Reims.

Derzeit legt Kauffmann beste Reserveweine aus der Lage Pechstein zurück, sie sollen zehn Jahre auf der Hefe lagern und zeigen, wozu ein Ex-Bollinger-Kellermeister in Deidesheim fähig ist. Ein Kompliment hat Mathieu Kauffmann bereits bekommen: Seine früheren Nachbarn aus Épernay in der Champagne decken sich neuerdings in Deidesheim mit Sekt ein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: