Samstagskoch:Glamouröses Gemüse

Vegetarische Weihnachten? Nur Mut, man muss es vor den Gästen ja nicht gleich so nennen. Unser Gemüse-Menü für die Feiertage ist ein ganz leichter Genuss - wenn auch hart erarbeitet.

Von Laura Hertreiter

Nach alter Tradition sollte im Backofen um diese Jahreszeit ein saftiger Braten schmoren. Er gilt noch immer als Höhepunkt jedes Festtagsmenüs, eine schöne Institution wie Tannenbaum oder Feuerwerk, wenn auch eine, die zunehmend angezweifelt wird. Denn aus Küchensicht war 2013 ein Gemüsejahr. Zumindest ein gefühltes. Und es mehren sich Anzeichen, dass sich gerade einiges ändert: In Kantinen diskutierte man über Veggie-Days, in Großstädten eröffnet ein veganer Supermarkt nach dem anderen, und für das Weihnachtsgeschäft haben Verlage den Markt noch einmal mit vegetarischen Kochbüchern geflutet, von denen es nicht wenige binnen Monaten in die dritte Auflage schafften.

Nun ist es immer gut, sich beim Essen um mehr Nachhaltigkeit und bessere Rezepte zu bemühen. Doch ganz ehrlich: So viel schlauer sind wir nicht geworden. Das Thema wirft im Moment noch mehr Fragen auf, als es beantwortet: Warum sind vegetarische und vegane Gerichte selbst in gehobenen Restaurants oft noch so wenig aufregend? Warum wird man meist nur durch Berge langweiliger Kartoffeln, Nudeln oder Reis satt? Was wissen wir eigentlich über die unterschiedlichen Zubereitungs- und Garmethoden für Gemüse? Und kann man mit Ex-Beilagen überhaupt richtig festlich kochen? Mit einem Menü und einer spannenden Dramaturgie?

Um das herauszufinden, hat die Samstagsküche den Berliner Spitzenkoch Michael Hoffmann gebeten, ein viergängiges Feiertagsmenü zu entwickeln und anhand der Gerichte gleich ein paar grundsätzliche Fragen zu einer überzeugenden fleischlosen Küche zu beantworten. Welches Gemüse ist gut als Hauptgang, wie kommt man ohne Pasta und Risotto aus, und wie sieht es mit der Weinbegleitung aus?

Aufwendig, aber etwas leichter als es wirkt

Der klare Auftrag an Hoffmann lautete: festlich, fleischlos, aber bitte leicht nachkochbar. Was natürlich reichlich naiv war. Denn als ein Begründer der neuen Gemüseküche predigt Hoffmann schon lange, dass Kochen mit Gemüse wesentlich anspruchsvoller sei als die Zubereitung und Zusammenstellung von Fisch- und Fleischgängen. Vor allem, wenn es festlich sein soll, gibt es für uns noch eine Menge zu lernen. Der Spitzenkoch entschied sich für Topinambur mit Lauch und Trockenpflaume, Teltower Rübchen, Szegediner Kohl und Tarte Tatin.

Das Nachkochen ist aufwendig, aber etwas leichter, als es zunächst wirkt. Um einen Entsafter wird man bei Gemüse allerdings nicht herumkommen. Doch bevor es an den Herd geht, solle man eines beherzigen, rät Michael Hoffmann, als er uns in seiner Berliner Küche begrüßt: "Auch wenn das Menü natürlich vegetarisch und zum Teil vegan ist - ich würde es nie so ankündigen." Dieses Etikett sei für den Festtagsgenuss viel zu programmatisch und klinge noch immer nach Verzicht. "Zu Unrecht."

Hoffmann, nicht nur Gemüsekoch, sondern auch bekennender Bratwurstfan, sprichtüber einen Porzellanteller gebeugt, auf den er mit einer Spritztülle bunte Farbtupfer für den ersten Gang setzt: apfelgrünes Lauchgel, zitronengelbes Quittengel. Seinen Beilagenstatus verdanke das Gemüse dem Umstand, dass es meist sehr labbrig oder sehr rustikal auf dem Teller lande, erklärt der 46-Jährige. Um ein ganzes Menü mit Spannungsbogen und Höhepunkt damit zu bestreiten, seien durchdachte Rezepte und eine abgestimmte Speisenfolge notwendig. "Meist behilft man sich in der vegetarischen Küche mit Nudel- oder Reisgerichten als Hauptgang. Aber das wäre mir zu einfach, gerade für ein festliches Menü."

Hauptgang muss Wumms haben

Die Dramaturgie, sagt er, entstehe bei Gemüse durch zweierlei. Erstens: unterschiedliche Konsistenzen. Vorspeisenhäppchen etwa, im Kontrast zu großen, ein Messer erfordernden Hauptgerichten. Zweitens: unterschiedliche Geschmacksintensität. "Der Hauptgang muss immer den stärksten Wumms haben", sagt Hoffmann, "während der Einstieg in das Menü sanfter sein sollte."

Sein erster Gang - Topinambur, Lauch und Trockenpflaume - besteht aus kleinen, gleichwertigen Häppchen in verschiedenen Aggregatszuständen: Relishs, Gels, Chips. Zu Knollengemüse wie Topinambur passe hervorragend eine Riesling-Spätlese von der Mosel, erklärt der Koch, weil durch das Spiel der Säure mit leichter Restsüße die erdige Note so gut unterstützt werde. "Topinambur ist mittlerweile ziemlich unbekannt", klagt Hoffmann und drapiert gebackene Chips aus der süßlichen Knolle mit einer Pinzette als krosses Gegenstück zu den Geltupfern auf den Teller. Viele seiner jüngeren Gäste entdecken solche Gemüsesorten in seinem Restaurant "Margaux" neu, ältere entdecken sie dort wieder. "Im regulären Supermarkt gibt es ja nur einen winzigen Bruchteil dessen, womit es sich zu kochen lohnt", sagt Hoffmann.

Er selbst pflanzt sein Gemüse im eigenen Garten an. Ein Hektar Land im Westen von Berlin, auf dem übers Jahr verteilt Hunderte Gemüsesorten wachsen. Tomaten gibt es dort in sieben unterschiedlichen Varianten. In Hoffmanns Küche hängt ein Ernteplan von der Größe eines Filmplakats, eng bedruckt mit allem, was die Beete das Jahr über hergeben. Vieles davon hat der Koch in alten Büchern entdeckt. Dort stieß er auch auf sein Lieblingsgemüse: die Chinesische Keule, die äußerlich an Zierkohl erinnert und auch als Salat aus Südostasien bekannt ist. "Aber, was kaum einer weiß", Hoffmanns Stimme überschlägt sich etwas: "Das Beste ist der Strunk, an dem die Salatblätter wachsen. Gegart, geschmort, gekocht - schmeckt einzigartig." Tausend Stück hat er in diesem Jahr davon angebaut.

Gelernt aus einem Geschichtsbuch über Wikinger

Sein zweiter Gang setzt erste Schwerpunkte. Hoffmann lupft dafür ein ehemaliges Arme-Leute-Essen in die Sterneküche: Er schmort Teltower Rübchen mit Bier und garniert sie mit leuchtendem Rotkohlessigsaft und einer heißgetrockneten Schnipselmischung, die er Herbstlaub nennt. Bier - zum Beispiel belgisches Champagnerbier (Corsendonk, nicht so teuer, wie es klingt) - empfiehlt der Koch zu diesem Gang. Weil ein leichter Hefegeschmack gut zur Schärfe der Rübchen passt.

Als Hoffmann das Blech für das "Herbstlaub" aus dem Ofen zieht, sind Kohlblätter, Karottengrün, Petersilie und Kürbischips an den Rändern leicht gebräunt. "Ein phantastischer Trick, den ich aus einem Geschichtsbuch über Wikinger habe", sagt er. Die würzten ihr Essen in Ermangelung teurer Gewürze mit Asche. "Wenn man Kräuter und hauchfeine Gemüsechips leicht ankokeln lässt, entfalten sie ein starkes Aroma."

Wem der Aufwand zu groß sei, der könne die Zutaten auch viel schneller gemeinsam mit den Rübchen schmoren. Die Zubereitungsmethoden optimiert Hoffmann, indem er experimentiert. Ein echter Geheimtipp sei das Salzgaren von Gemüse. "Ähnlich wie Italiener Fisch in Salzkruste zubereiten." Meersalz auf einem Backblech verteilen, Gemüse darauflegen, bei 250 Grad im Backofen garen. "Das verstärkt den Eigengeschmack jeder Rübe und Knolle.

Mahlen, einkochen, reduzieren, trocknen

Zum Dessert serviert Hoffmann im Sommerübrigens ebenfalls Gemüse. Kandierten Spargel, Rote-Beete-Eis, Tomaten mit Vanille. Weil sich seine Speisekarte aber streng nach dem Ernteplan richtet und der zum Jahresende kein desserttaugliches Gemüse hergibt, ist der letzte Gang seines Menüs ein französischer Klassiker: Tarte Tatin, ein traditioneller Apfelkuchen mit Zuckermandeln, Karamelcreme, Kardamomeis und Grapefruitsorbet, bestäubt mit feinem Pulver aus Vanille und Apfelschalen. "Die feinen Gewürzaromen passen perfekt zu winterlichen Festtagen."

Mahlen, einkochen, reduzieren, trocknen: Ein gehobenes Gemüsemenü erfordert viele zusätzliche Arbeitsschritte. Und bevor wir in diesem Land von einer ernsthaften vegetarischen Küche sprechen können, muss einiges passieren. Aber das Ergebnis auf dem Teller sei ein echtes Fest, sagt Hoffmann. Zum Ende des Jahres, wenn Exklusives auf den Tisch soll und die Menschen mehr Zeit am Herd verbringen, sei die ideale Zeit zum Kochen mit Gemüse. Ganz entgegen der Suppe-Braten-Dessert-Tradition.

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