Restaurant in Thailand:Deutsche Brotzeit in Bangkok

Restaurant in Thailand: Die Sühring-Brüder bieten verfeinerte Hausmannskost an wie handgeschabte Käsespätzle mit Belper Knolle.

Die Sühring-Brüder bieten verfeinerte Hausmannskost an wie handgeschabte Käsespätzle mit Belper Knolle.

(Foto: Tinnaphop Tonitiwong)

Eierlikör, Rehrücken, Kraut: Die deutschen Zwillinge Thomas und Mathias Sühring sind mit ihrem Restaurant die Stars der thailändischen Hauptstadt.

Von Patricia Bröhm

Als Oma Christa in der Lausitz vor Jahrzehnten mit Schönschrift in ein liniertes Schulheft notierte, wie man hausgemachten Eierlikör zubereitet, konnte sie nicht ahnen, dass ihr wohlgehütetes Rezept einmal zum Renner bei Bangkoks Gourmets werden würde. Der "Eggnog" bildet den Abschluss eines Menüs, das schon in den Amuse-Bouches deutsche Traditionsgerichte kreativ interpretiert, etwa "Himmel und Erde" (als geröstete Blutwurst auf knusprigem Kartoffelstroh) oder "Frankfurter Grüne Sauce" (als knallgrüne Kugel, die beim Draufbeißen die Kräutersoße freigibt). Im Hauptgang gibt es Rehrücken mit Schupfnudeln, Rosenkohl und Spätburgundersoße. Alles Gerichte, die in jedem deutschen Lokal Eindruck machen würden - hier in der Yen Akat Road im Bangkoker Stadtteil Yannawa machen sie Furore. Das Restaurant "Sühring", von Einheimischen nur "The German Restaurant" genannt, war 2016 die meistdiskutierte Neueröffnung in der essverrückten thailändischen Metropole.

Nicht nur das Konzept einer jungen deutschen Kreativküche überrascht, sondern auch die Vita der beiden Patrons und Küchenchefs: Mathias und Thomas Sühring sind eineiige Zwillinge, im Abstand von fünf Minuten am 30. April 1977 in Berlin-Friedrichshain geboren. Weil selbst ihre eigenen Angestellten sie nicht auseinanderhalten können, trägt Thomas eine weiße Kochjacke und Drei-Tage-Bart, Mathias eine schwarze und ist frisch rasiert. Seit 2008 leben die beiden in Bangkok, wo sie sich als Küchenchefs des Fine Dining Restaurant "Mezzaluna" im 65. Stock des 247 Meter hohen State Tower über die Jahre einen sehr guten Ruf erkochten.

Doch wie viele Küchenchefs träumten sie vom eigenen Restaurant, und als Thomas Sühring eines Tages das 1970 erbaute Haus mit den großen Fensterfronten inmitten eines üppig tropischen Gartens entdeckte, stand ihre Entscheidung fest. "Hier können wir unseren Gästen das Gefühl geben, dass wir sie zu uns nach Hause einladen", sagt Thomas Sühring. Sie leben im oberen Stockwerk, im Parterre bauten sie eine Profiküche ein und bitten in zwei großzügige Esszimmer mit auf Hochglanz polierten Teakböden und weißgedeckten Tischen. Besonders begehrt sind die Plätze im Wintergarten, wo man fast wie in einem tropischen Dschungel sitzt, und in der Küche, wo die Gäste den Sührings und ihrem Team bei der Arbeit zusehen können.

Der thailändische Kellner erklärt den Engländern, was "Spätzle" sind

Wenn man aus der schwülen Bangkoker Abendhitze von 33 Grad kommend über die Schwelle tritt, dann erscheint einem das klimatisierte und im europäischen Stil gehaltene Restaurant wie eine andere Welt: Im Bücherregal stehen Kochbücher von Joachim Wissler, Tim Raue und Michel Bras, die Weinkarte listet etwa 70 Rieslinge aus Deutschland, Österreich und dem Elsass, und als deutscher Gast erlebt man durchaus bizarre Momente, wenn ein thailändischer Kellner den englischen Gästen am Nebentisch erklärt, was "Spätzle" sind. Sie werden hier mit geriebenem Bergkäse, wildem Knoblauch und weißen Trüffeln veredelt und entzücken einheimische Gastrokritiker als "silky temptation", seidige Versuchung also.

"99 Prozent der Thais denken beim Stichwort 'Deutsche Küche' ans Oktoberfest", sagt Thomas Sühring, "an Schweinebraten, Sauerkraut und Kartoffeln. Wir wollen ihnen zeigen, wie sehr sich unsere Küche weiterentwickelt hat, wie leicht und kreativ sie heute ist." An der Wand hängen Fotos vom Bauernhof der Großeltern, nahe der polnischen Grenze. Dort verbrachten die Zwillinge als Kinder jeden Sommer, von dort stammen ihre wichtigsten kulinarischen Prägungen.

Restaurant in Thailand: Preußische Disziplin, thailändische Leichtigkeit: Die Brüder Thomas (links) und Mathias Sühring mit Koch Cornelius Streidl.

Preußische Disziplin, thailändische Leichtigkeit: Die Brüder Thomas (links) und Mathias Sühring mit Koch Cornelius Streidl.

(Foto: Tinnaphop Tonitiwong)

Die Großmutter, selbst eine talentierte Köchin, backte Brot, kochte Obst und Gemüse ein und setzte Sauerkraut an - überlieferte Tugenden, die heute wieder im Trend liegen und auch von den Enkeln im fernen Bangkok aufgegriffen werden. Ein bei den Gästen besonders gefragter Höhepunkt ihres achtgängigen Degustationsmenüs ist die "Brotzeit" mit frisch gebackenem Sauerteigbrot, selbstgeschlagener Butter, gepökelten Schinken, Leberwurst, eingelegten sauren Gurken und geräuchertem Heilbutt.

Gäbe es mehr solcher Lokale, wäre der Ruf der deutschen Küche ein anderer

Restaurant in Thailand: Das Restaurant "Sühring", von Einheimischen nur "The German Restaurant" genannt, in Bangkok.

Das Restaurant "Sühring", von Einheimischen nur "The German Restaurant" genannt, in Bangkok.

(Foto: Tinnaphop Tonitiwong)

Mit dem Fall der Berliner Mauer öffnete sich für die Jungs aus einer Marzahner Plattenbausiedlung auch der kulinarische Horizont. Nach dem Abitur absolvierten beide eine Kochlehre in Berliner Hotels, anschließend arbeiteten sie gemeinsam über drei Jahre im Wolfsburger Restaurant "Aqua" bei Sven Elverfeld, der damals den dritten Stern erkochte.

Von dort heuerte Mathias beim niederländischen Drei-Sterne-Koch Jonnie Boer an, Thomas Sühring beim ebenso hoch ausgezeichneten Heinz Beck in Rom. Der schickte seinen jungen Mitarbeiter eines Tages zu einem Catering nach Bangkok; ein halbes Jahr später klingelte das Telefon, und man bot Sühring den Job als Küchenchef im Mezzaluna an. "Asien reizte mich, aber ich dachte, ich müsste noch viel lernen, und traute mir einen so verantwortungsvollen Posten nicht ganz zu", erinnert er sich. "Also fragte ich, mehr im Scherz, ob ich meinen Zwillingsbruder mitbringen könnte?"

Der Anfang war nicht leicht. Die beiden waren geschockt von den extremen Kontrasten der Stadt: drinnen die Glitzerwelt des Luxushotels, draußen im Hinterhof die nackte Armut. Auch ihr preußisches Arbeitsethos stieß an seine Grenzen. "Das erste Wort Thai, das wir in der Küche lernten, hieß 'sabai, sabai' - immer mit der Ruhe", erinnert sich Mathias Sühring. "Die einheimischen Mitarbeiter sind handwerklich sehr begabt, aber es fehlt oft an Konstanz und Ausbildung", ergänzt sein Bruder. Bald war beiden klar, warum deutsche Köche in aller Welt gefragt sind - das Ausbildungssystem mit dreijähriger Lehre ist unerreicht.

Inzwischen haben die Zwillinge, beide privat mit Thailänderinnen liiert, längst ein Stück asiatisches Laissez-faire übernommen: "Wir sind nicht mehr so verbissen, regen uns nicht so schnell auf, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es uns vorstellen." Andererseits: Ein Restaurant wie das Sühring mit 30 Mitarbeitern in bester Metropolenlage, "das wäre in Deutschland so für uns nicht machbar gewesen." In Bangkok aber sind Pacht und Löhne niedrig, die bürokratischen Auflagen gering, auch drei Investoren waren rasch gefunden. So schufen die Sührings hier eine Art Außenposten der zeitgemäßen deutschen Küche. Gäbe es mehr solche Lokale in aller Welt, wäre wohl auch der Ruf der deutschen Küche im Ausland ein anderer.

"Es gibt erstaunlich viele Gemeinsamkeiten"

Die thailändischen Gäste jedenfalls sind begeistert von den Minilaugenstangen im Brotkorb, vom roh marinierten Simmentaler Rind, das mit geräuchertem Aal, Roter Bete und Gürkchen als kleines Kunstwerk auf dem Teller angerichtet ist, oder von der im Inneren noch glasigen Regenbogenforelle mit Krebsfleisch, Erbsen und Dill. "Es gibt erstaunlich viele Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und thailändischen Küche", sagt Thomas Sühring. "Thais lieben Fermentiertes, wie es in der jungen deutschen Küche zur Zeit wieder ganz groß ist. Und wie wir essen sie viel Schwein, viel Gepökeltes, auch geräucherter Fisch und Blutwurst sind begehrt."

In den vergangenen Jahren haben die Zwillinge in ihrer Wahlheimat viele Quellen für Lebensmittel aufgetan, die man in dem tropischen Land nicht erwarten würde. So stammen die Krebse vom Doi Inthanon, dem kühlsten Punkt des Landes im äußersten Norden mit einer jährlichen Durchschnittstemperatur von 19 Grad. Eine enge Zusammenarbeit verbindet die Köche auch mit den Royal Projects im Norden, die einst initiiert wurden, um den Bauern eine Alternative zum Opiumanbau aufzuzeigen. Heute sind dort 40 000 Landwirte beschäftigt, die Sührings beziehen von ihnen vieles, das sie an ihre Kindheit in der Lausitz erinnert: Stachel- und Erdbeeren, Gurken und Kirschtomaten, Kräuter wie Kerbel, Sauerampfer oder Petersilie.

Immer wieder blättern sie zur Inspiration in den handgeschriebenen Rezeptbüchern, die Oma Christa ihnen zur Eröffnung des Restaurants im vergangenen Februar geschickt hat. Sie ist sehr stolz auf ihre Enkel, trotzdem wird sie das Sühring wohl nie betreten: Sie ist noch nie in ihrem Leben geflogen und hat große Angst davor.

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