Pro und Contra zum Chuck:Ist der schön oder kann der weg?

Pro und Contra zum Chuck: Ist der schön oder kann der weg? Ein Turnschuh, zwei Meinungen.

Ist der schön oder kann der weg? Ein Turnschuh, zwei Meinungen.

Converse überarbeitet einen hundert Jahre alten Turnschuh. Das passt, denn die Dinger gehören in die Vergangenheit, sagen manche. Die anderen halten den Schuh für den Gipfel der Schönheit.

Von Friedemann Karig und Jan Stremmel

Ich habe meine Chucks geliebt. Damals. Mit neun. Der Vater war geschäftlich "drüben", wie man die USA nannte. Der Dollar stand günstig zur Mark, und die Sachen kosteten zwei Drittel weniger als hier. Also brachte Papa 501-Levi's mit. Und Converse Chucks. Für die Schwester in Grün, für mich in Weinrot. Als einziger in der Grundschule echte, farbige Chucks zu besitzen, das war etwas! Mähne, Holzfällerhemd, Jeans - ich sah aus wie ein geschrumpfter Kurt Cobain.

Warum sie Chucks hießen, wo doch viel größer "Converse All Stars" draufstand? Keine Ahnung. Wer sie trug, mit den richtigen Schnürsenkeln, war jedenfalls cool. Nein, viel mehr: Er war irgendwie links. Mehr ging nicht.

Das neue Modell: Chuck Taylor II

Wenn Firmen ihre Kunden um Feedback zu einem Produkt bitten, kommt meist wenig dabei heraus. Beim Sportartikelhersteller Converse soll das nun anders sein. Weltweit wurden Träger des 1917 lancierten Klassikers Chuck Taylor befragt, was sie an dem Schuh ändern würden, Fazit: Es gibt drei Problemzonen bei dem Sneaker, der nach einem US-Basketballspieler benannt wurde. Die verrutschende Zunge, die brettflache und deshalb unbequeme Sohle und das schnell reißende Obermaterial Canvas. Seit dieser Woche ist nun der Chuck II für 80 Euro im Handel. Eigentlich sieht er aus wie sein Vorgänger, den man auch immer noch kaufen kann. Das Nachfolgemodell gibt es in Weiß, Schwarz, Rot und Blau. Neu ist, dass die Zunge mit einem elastischen Band in Zaum gehalten wird, dass die Sohle sich dem Fuß besser anpasst und der Canvas reißfester sein soll. Die Markteinführung ist so groß angelegt, dass bald alle in den Fußgängerzonen dieser Welt davon erfahren werden. Wahre Chuck-Fans lässt das natürlich kalt. Wer seinem Schuh schon früher jeden Makel verzieh, wird es auch in Zukunft tun. Aber wer Chucks bisher ablehnte, für den ist die zweite Generation eine Einladung, ihn doch noch auszuprobieren. (Dennis Braatz)

Dass die Segeltuchschuhe irgendwann vor ein paar Jahren zurückkamen, oder, wie ihre Fans verbessern, "nie wirklich weg" waren, schien in Ordnung zu sein. Alles kehrt irgendwann wieder, Halstücher, Schnurrbärte. Aktuell die Schlaghose. Wieso nicht die Chucks? Es sind ja seit ihrer Erfindung 1917 gute Schuhe. Praktisch, schlicht. Zu jedem Outfit kombinierbar.

Wie ferngesteuert holte sie sich also jeder noch einmal, bis die Zahl verkaufter Schuhe weltweit auf geschätzte 600 Millionen anwuchs. Sie passten zu den wieder eng gewordenen Hosen, führten die schlanke Silhouette am Fuß weiter, setzten womöglich einen farblichen Kontrapunkt. Alles gut.

Warum darf in der Mode nichts glühen und vergehen?

Doch dann passierte etwas. Von der Spielerfrau bis zum Jungliberalen - der Kompass der Chucks geriet außer Kontrolle. Der blaue Stern tauchte auf, wo er früher nichts verloren hatte: auf Filmpremieren, Business Barbecues, Sylt. Es gibt wenig Öderes und Snobistischeres als zu jammern, wenn die "falschen Leute" das Richtige tragen. Es ist schon deshalb wohlfeil, weil es unausweichlich geschieht. Doch nichts fiel für mich so tief wie dieser Schuh der Alternativen, der Treter der Generation X, das Fußkleid des Grunge. Früher standen die Chucks für alles. Heute stehen alle auf Chucks.

Und Converse ist wahrscheinlich selbst schuld. Vielleicht hätte man eine zeitlose Ikone werden können. Aber nicht mit Star-Sprangled-Banner-Editionen im Used-Look oder - tatsächlich - einer Kurt-Cobain-Edition. Ein Segeltuchschuh, bedeckt mit Kritzeleien aus seinen Tagebüchern. Uff.

Das Modell selbst ist seit fast hundert Jahren gleich geblieben. Aber die modischen Konnotationen des All Stars haben sich verändert. Was früher Understatement war, ist jetzt Accessoire. So ist der "kultige Klassiker", den "vermutlich jeder schon einmal getragen hat", wie die Modemaschine Zalando auf ihrer Homepage verkündet, heute ein Symbol für die destruktive Kraft der Revivals.

Für die Brutalität des Retro. Nichts darf einfach mal glühen und vergehen. Alles muss noch einmal hervorgekramt werden. Ironisch oder ernst. Als Zitat oder popkultureller Zombie. Ruhe in Frieden? Gibt es in der Mode nicht. So kann man einen Schuh kaputttragen. Bis man ihn nicht mehr sehen kann. Bis er hässlich ist.

Heute würde ich mir wünschen, man hätte mir meine Kindheitserinnerungen an das Segeltuch an nackten Füßen im Schwimmbad, an das Mädchen aus der Parallelklasse mit den gefälschten, aber wunderschönen Converse Allstars gelassen. Es war eine gute Zeit. Es waren gute Schuhe.

Es ist egoistisch, aber: Ich habe meine Chucks geliebt. Jetzt hasse ich sie. Sie sollen verschwinden, woher sie kamen. Zu Chuck Taylor. Zu Kurt Cobain. In die Vergangenheit. Wo sie hingehören.

(Friedemann Karig)

Jan Stremmel: Darum liebe ich die Chucks

Ich habe die Chucks gehasst, jahrelang, diese Scheißtreter. Bis vor Kurzem. Jetzt liebe ich sie wieder. Der Hass begann an meiner Abifeier. Ein Sportlehrer trug Chucks zum dunklen Anzug. Genau wie ich. Ich hörte damals die Strokes und fuhr Skateboard. Der Sportlehrer trug Freundschaftsbändchen und eine blond gesträhnte Mecki-Frisur. Kurz darauf waren der Chuck und ich geschiedene Leute.

Das ist nun zehn Jahre her. Es war eine schlimme Phase für den Chuck. Er war zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Schuh für Menschen jenseits der 40. Er war nicht mehr der Schuh der Skateboardfahrer, er war der Schuh der Väter, die "Kids" sagen. Vor zwei Jahren ließ sich Bild-Chef Kai Diekmann in einem Paar Chucks fotografieren. In einer neuen Variante, die ohne Schnürsenkel auskommt. Es war schlimm.

Heute weiß ich, das ist normal. Mit dem Chuck verhält es sich nämlich tatsächlich so, wie Hersteller es gerne von ihren Luxusuhren behaupten: Er gehört einem nie ganz allein. Man muss ihn irgendwann abgeben. An die Älteren, an die Blondierten, an wen auch immer. Hätte man den Basketballspielern in den 40er-Jahren gesagt, dass ihre Schuhe zehn Jahre später von einem Schauspieler namens James Dean und noch mal zehn Jahre später von Hippies getragen werden würden, und denen wiederum von Diekmann berichtet - die hätten einem was erzählt.

Aber es ist schon so: Man wird als Schuh nicht ohne Abnutzungserscheinungen zum Klassiker. 98 Jahre alt, da knirscht es eben mal, da spannt es. Und als Träger muss man das aushalten. Genau wie man es in der Schule aushalten muss, dass die schöne Anna eine Zeit lang mit dem Idioten-Olli aus der Oberstufe geht.

Wer käme auf die irre Idee, sie deshalb später nicht mehr schön zu finden? Den Chuck nun für erledigt zu erklären ist, als erklärte man die Idee des Bauhauses für gescheitert, nur weil in ihrem Namen irgendwann auch mal Plattensiedlungen in die Landschaft geschandelt wurden.

Es gibt eine Phase, da ist der Schuh perfekt abgenutzt

Der Chuck und ich sind jedenfalls wieder Freunde. Unten in meinem Haus ist nämlich ein Skateshop. Dort sitzen den ganzen Tag Jungs, deren Stil das Gegenteil meines Sportlehrers von damals ist. Sie haben Tattoos auf den Handrücken, mit denen man bestimmt nie als Sportlehrer eingestellt wird. Sie sind mir sehr sympathisch, vor zehn Jahren hätten die bestimmt die Strokes gehört. Diese Jungs jedenfalls tragen seit ein paar Monaten wieder Chucks. Die schwarzen knöchelhohen. Keine Ahnung warum, aber sie tun es. Und sie tun es wieder genau richtig.

Doch, man kann ihn nämlich richtig und falsch tragen. Der Chuck kommt hässlich strahlend und steif aus dem Karton und ist bei korrekter Nutzung ziemlich genau ein Jahr später kaputtgelatscht. Er hat einen Gipfel der Schönheit, einen exakten Moment zwischen steifer Neuheit und völliger Verwahrlosung.

Diese Phase dauert vier, fünf Wochen, in denen sich Getragenheit und Kaputtheit genau die Waage halten. Es ist die Phase, in der jeder Agenturchef ihn schon entsorgt hat. Dabei ist der Chuck genau dann perfekt. Dann bricht der kleine Zeh seitlich durch den Stoff.

Und weil der Chuck lebt, und weil er verdammte 98 Jahre alt ist, kann er auch problemlos ein paar Jahre mit Sportlehrern und Co. zusammen gewesen sein. Für mich ist das okay. Ich habe gerne gewartet. Die Skater in meinem Haus sind meine Kronzeugen: Der Chuck wird jetzt wieder umgedeutet. Wir kriegen das schon hin.

(Jan Stremmel)

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