Florence + the Machine:Weg mit der Schminke

Die Sängerin der Band "Florence + the Machine" pflegte ihren Ruf als wild feiernde Stilikone - bis ihr die Partys, die pompösen Roben und dramatischen Auftritte zu viel wurden.

Von Martin Wittmann

Vielleicht war es ihr Auftritt bei Chanels Prêt-à-porter-Schau 2011, als sie dem Publikum aus einer riesigen Muschel heraus ein Ständchen sang. Vielleicht war es der Videodreh mit David LaChapelle ein Jahr später, bei dem sie sich als perückentragende Meerjungfrau auf den Boden warf. Vielleicht war es aber auch die Nacht, in der sie mit Kanye West saufen war und danach versehentlich ihr Zimmer im Bowery Hotel in New York in Brand setzte. Und sich nebenbei einen Zahn ausschlug. Jedenfalls sagt sie heute: "Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich dachte: Ich kann einfach nicht mehr."

Florence Welch, Sängerin der Band Florence + the Machine und vor ein paar Jahren noch als Stilikone im Mode- und Popgeschäft gefeiert, sitzt auf einer Couch in einem Londoner Hotel und lächelt ein breites, unsicheres Lächeln. Ein Kissen drückt sie schützend an ihre Brust. Das milchweiße, herbe Gesicht ist kaum geschminkt, sie trägt einen schwarzen Hosenanzug, die roten Haare fallen offen auf die Schultern. Keine Extravaganz, keine Maske, keine Muschel.

Dabei war das Schillernde lange das Markenzeichen der Sängerin, neben ihrer dramatischen Stimme natürlich, die über metaphorische Umwege die schweren Themen Liebe, Tod, Freiheit verwünschte. Passend dazu trug sie auf den roten Teppichen die mystischen Entwürfe von Valentino, Givenchy, Alexander McQueen, bodenlange Spitzenroben mit Bubi-Krägen zum Beispiel. Sie ließ sich Gucci-Kleider für ihre Auftritte schneidern, und ein angetaner Karl Lagerfeld soll über die Sängerin gesagt haben: "Sie sieht aus wie eine alte englische Lady. Dabei ist sie ein witziges junges Mädchen." Dass er sie zur Chanel-Schau einlud, war nur konsequent: Während die meisten Musikerinnen bei der Kleiderwahl auf Provokation (Madonna), Sex (Jennifer Lopez), Spektakel (Lady Gaga), Knalligkeit (Katy Perry), Exhibitionismus (Miley Cyrus) oder Beyoncé (Beyoncé) setzten, warf sich die Britin in eine Mischung aus Flohmarkt und Couture. Sie verstand es als eine der ganz wenigen, die beiden eitlen Genres Mode und Pop manierlich zu vereinen. Die roten Haare, der helle Teint und die Größe von 1,75 Metern halfen dabei.

Florence + the Machine: Florence Welsh ist zurück - schlicht und zurückhaltend, zumindest, was den Stil angeht.

Florence Welsh ist zurück - schlicht und zurückhaltend, zumindest, was den Stil angeht.

(Foto: Universal Music)

Das große Aufbrezeln begann so: "Am Anfang meiner Karriere wurden erste Fotos von mir für die Presse gemacht. Als ich die sah, war ich geschockt: Wie ich da aussah, mit dem Pferdeschwanz und dem Hemd! Ich habe damals entschieden: Diese normalmenschlich aussehende Person muss weg", erzählt sie. Die darauf folgende Entwicklung ihres Stils ist in diversen Fashion-Blogs und Konzertberichten belegt; am einfachsten aber ist ihre Wandlung auf den Covern zu erkennen - nicht auf denen der Modemagazine, sondern auf denen ihrer Platten.

2009 erscheint ihr Debüt "Lungs", das Cover mutet märchenhaft an, die Sängerin zeigt sich hippiesk und doch schon theatralisch, die Fingernägel sind dunkel, die Augen geschlossen. 2011 veröffentlicht sie "Ceremonials", hier sieht die Sache schon eleganter aus: Florence Welch im Paillettenkleid, die Lippen blutrot. 2012 nimmt sie ein Unplugged-Album auf - auf dem Cover ist die Britin im Abendkleid zu sehen, beim Auftritt in einer alten, lila ausgeleuchteten Synagoge, umgeben von Kerzen, sakral und dabei theatralisch, bis der letzte Vorhang fällt. Nach dieser Platte ist sie dann erst mal weg vom Schaufenster.

Jetzt ist das neue Album "How Big, How Blue, How Beautiful" erschienen. Das Cover-Foto zeigt eine 28 Jahre alte, unauffällig gekleidete Frau. Die Haare haben im Schwarz-Weiß des Bildes ihre Farbe verloren, der Pony hängt tief ins nackte Gesicht. Die Sängerin sieht ungewohnt aus, ungewohnt gewöhnlich. Der Stil ist nicht gänzlich verschwunden, die Überinszenierung sehr wohl.

Der Pomp, sagt sie, habe sie damals erdrückt. "Meine Augenbrauen wurden gebleicht, die Kleider aufwendiger, die Haare röter, die Auftritte größer, die Perücken schwerer. Es war zu grand. Ich musste letztes Jahr alles wieder loswerden, und ich will es jetzt nicht wieder draufpacken." Die Ballkleider hätten sie eingeengt und eingeschränkt, "und zwar auch ganz praktisch: So ein Outfit diktiert dir, wie du dich zu bewegen hast."

Florence + the Machine: Florence Welsh 2011 - mit etwas mehr Make-up und etwas ausgefallenerer Kleidung.

Florence Welsh 2011 - mit etwas mehr Make-up und etwas ausgefallenerer Kleidung.

(Foto: Djamila Grossman/Agentur Focus)

Aber natürlich geht es nicht nur um ungemütliche Haarteile oder unpraktischen Schuhe. Es geht auch nicht darum, eine neue kreative Phase einzuläuten (die Musik, aber das ist eine andere Geschichte, hat sich nicht groß geändert). Und es geht auch nicht darum, mit der abgeschminkten, abgespeckten, abgebrezelten Erscheinung wieder zur Stilikone zu werden.

Vielmehr hat die Frau keine Lust mehr, gleichzeitig witziges Mädchen und alte Lady zu sein. Theatralisch gesagt: "Ich will keine gespaltene Person mehr sein. Ich will nicht mehr fliehen." Das habe sie in ihrer Auszeit gelernt. "Ich bin aus dem Haus meiner Mutter ausgezogen, wo ich im Wohnzimmer auf einer Matratze geschlafen habe, weil ich eh andauernd unterwegs war. Ich bin in mein eigenes Haus gezogen und habe dort erst mal viel gefeiert. Ich musste mich erst daran gewöhnen, morgens das verwüstete Haus zu sehen und zu verstehen: Oh, das ist ja meines." Sie sei dadurch vernünftiger geworden, sagt sie. "Ich hatte davor ja nie Zeit, über mich nachzudenken. Ich konnte die Probleme, die ich hatte, wegtrinken, wegspielen. Aber ich will auch ein Leben haben, wenn ich nicht auf Tour bin. Vielleicht verbocke ich es, aber ich will es versucht haben."

Die Frau ist Ende zwanzig, spätestens in diesem Alter fängt für Normalmenschliche der Ernst des Lebens an: Die Kostümpartys sind vorbei, die Flaschen und alles andere Leere aufgeräumt, der Kater ist ausgesessen, und jetzt wird angepackt. Selbst wenn, wie im Fall von Florence Welch, der Fuß schmerzt. Den brach sie sich kürzlich beim Sprung von der Bühne. Bei ihren Auftritten am kommenden Wochenende bei den Festivals Hurricane und Southside wird sie also auf dem Barhocker sitzend singen. Sicher nicht als Entlein, aber auch nicht mehr als Schwan. Der ist jetzt wirklich lange genug gestorben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: