Porträt:Was nach dem Blitzlicht kommt

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Alle wollen berühmt sein. Renée Simonsen war es. Die Dänin war eines der erfolgreichsten Models der Achtzigerjahre. Doch dann tauschte sie Ruhm gegen Ruhe ein.

Von Johanna Adorján

Wer heute nicht berühmt ist, tut wenigstens so, als wäre er es. Versammelt online Leute um sich, damit diese applaudieren, veröffentlicht ständig neue Fotos von sich selbst, als würde irgendeine Casting-Agentur ungeduldig danach verlangen, und viele äußern sich so oft und zu allem möglichen öffentlich, als seien sie der festen Überzeugung, jemand hätte ihnen eine wichtige Frage gestellt und ein Megafon in die Hand gedrückt. Das Erreichen einer gewissen Bekanntheit wird heute so ernsthaft angegangen wie früher ein Ausbildungsberuf. Vermutlich ernsthafter.

"Ich war in einem Kibbuz in Israel und wusste plötzlich: Ich gehe nicht mehr zurück."

Dies ist die Geschichte einer Frau, die den umgekehrten Weg gegangen ist. Sie wurde dadurch berühmt, dass sie zum Gesicht eines gesamten Jahrzehnts gewählt wurde: 1983 kürte man sie zum "Face of the Eighties". Sie war ein Supermodel sozusagen Sekunden bevor dieser Begriff von ein paar ihr nachfolgenden Kolleginnen geprägt wurde. Auf mehr als vierhundert Titelbildern war sie zu sehen, die deutsche Vogue etwa brachte 1983 gleich drei Ausgaben mit ihr vorne drauf. Sie war mit einem der begehrtesten Männer der damaligen Zeit zusammen, John Taylor, dem Bassisten der englischen Band Duran Duran, der damals die absolute Obergrenze dessen markierte, was man an männlichem Sex-Appeal überhaupt für vorstellbar hielt, und der, aus heutiger Sicht, für die Verbreitung des Stufenschnittes weitaus mehr getan hat als der Stufenschnitt für ihn. Mit ihren Katzenaugen, ihrem Leuchtreklame-Lachen und ihrer sportlichen Figur warb Renée Simonsen für etliche Produkte sowie, ganz generell, für die unübersehbaren Vorzüge eines guten Aussehens. Kurz: Wenn man nicht blind war, kam man in den Achtzigerjahren an Renée Simonsen nicht vorbei.

Und dann war sie auf einmal weg.

Die Frau, die sich heute mit ihrem vollen Namen Renée Toft Simonsen nennt, sitzt in ihrer schönen, hellen Wohnung in Aarhus, Dänemark, und sieht immer noch blendend aus, wobei das "immer noch" natürlich eine Frechheit ist, aber bei einer Frau, die ihrer Schönheit wegen berühmt war, drängt sich dieser Gedanke halt auf. Allerdings ist sie, obwohl die frühen Achtziger unendlich lange her zu sein scheinen, auch immer noch erst 51 Jahre alt. Seit 30 Jahren lebt sie wieder in Aarhus, wo sie auch aufgewachsen ist, einer gemütlichen, fahrradfreundlichen Stadt am Meer, drei Zugstunden nordwestlich von Kopenhagen. Dieses Jahr ist Aarhus europäische Kulturhauptstadt, was Renée Toft Simonsen so stolz erzählt, als wäre sie die Bürgermeisterin.

Den Zeitpunkt ihres Verschwindens kann sie ziemlich genau datieren: "Es war im Herbst 1989, ich war 24 Jahre alt. Ich war in einem Kibbuz in Israel und wusste plötzlich: Das war's, fuck it, ich gehe nicht mehr zurück."

Mit 16 Jahren wurde Renée Simonsen als Model entdeckt. Der Klassiker: Sie hatte eigentlich nur eine Freundin zum "Face of the Eighties"-Wettbewerb begleiten wollen, den die New Yorker Agentur Ford Models ausgerechnet in Aarhus abhielt. Man drängte sie, auch teilzunehmen. Dass sie gewann, überlebte die Freundschaft nicht. Gegen den Willen ihrer Eltern brach sie die Schule ab und zog nach New York. Zum Abschied hängte ihr Vater zu Hause zwei Bilder an die Wand: eines von ihr, das andere von Marylin Monroe. Sie solle immer daran denken, wie es der Monroe ergangen sei, diese düstere Warnung gab er seiner Tochter mit auf den Weg Richtung Ruhm.

"Meine Eltern waren damals sehr links", sagt Renée Toft Simonsen, "meine Mutter war Kommunistin, mein Vater Anarchist. Sie fanden, dass ich meine Seele an den Kapitalismus verkaufe." Ihre eigene Sicht auf ihre Karriere als Model ist erfrischend materialistisch: "Für mich war das ein Geschäft, und mein Ziel war es, möglichst viel Geld für mich rauszuholen, damit ich anschließend machen konnte, was immer ich wollte. Offenbar war mein Aussehen dafür geeignet, Produkte zu verkaufen, sonst hätte mir ja niemand Geld gezahlt."

Wünschte sie sich manchmal, sie hätte in einem anderen Jahrzehnt gemodelt? Die Siebziger wären lässiger gewesen, die Neunziger cooler. Aber so: Oft ist sie in asymmetrischen Badeanzügen zu sehen, mit ausladender Frisur, pinken Rougebalken und diesem Blick, der in den Achtzigern so modern war: Joan Collins schaute im "Denver Clan" so, Christopher Lambert in "Greystoke - Die Legende von Tarzan": die Augen leicht zusammengekniffen, lag er genau in der Mitte zwischen herausfordernd lasziv und stark kurzsichtig.

"Oh nein, ich liebe die Achtziger", sagt sie. "In den Neunzigerjahren sahen alle wie Heroinabhängige aus, wir dagegen durften gesund sein. Wir hatten breite Schultern, waren sportlich, wir lachten sogar. Der einzige Grund, warum ich es bereue, nicht in den Neunzigern gemodelt zu haben, ist, dass da die Gagen plötzlich extrem hochschnellten. Da dachte ich, verdammt, ich hätte noch durchhalten müssen."

Renée Simonsen hat ein lautes Lachen, das immer ein bisschen dreckig klingt. Ihr Englisch ist amerikanisch gefärbt. Seit vielen Jahren lebt sie mit einem Dänen namens Thomas Helmig zusammen, die beiden haben einen gemeinsamen Sohn, aus anderen Beziehungen hat Simonsen noch zwei weitere Kinder. Eine ihrer Töchter, Ulrikke, sieht genauso aus wie sie früher und modelt neuerdings auch. Wer Thomas Helmig ist, müsste man in Dänemark niemandem erklären, er ist Rockmusiker und sehr bekannt, viel bekannter, als sie es jemals war, kein anderer dänischer Musiker hat so viele Danish Music Awards gewonnen wie er. Thomas Helmig ist in Dänemark ein Superstar, was ja auch etwas über Ruhm erzählt - und seine absurden geografischen Grenzen.

Während ihrer Zeit als Model, sagt Renée Simonsen, habe sie sich quer durch die Weltliteratur gelesen. Beim Schminken, beim Warten, beim Haare machen, immer habe sie ein Buch vor der Nase gehabt. Sie beschreibt sich als diszipliniert fast bis zur Groteske. Da war zum Beispiel die Sache mit den Drogen. Sie hatte gehört, dass in den Kreisen, in denen sie sich bewegte, viel Kokain genommen wurde, immer wieder wurde getuschelt, dass irgendein Mädchen zu viel nehme und deshalb schlecht arbeite. In Aarhus war sie nie mit Drogen in Berührung gekommen, die Sache machte ihr Angst. Was also tat die junge Büchernärrin aus Dänemark? Sie kaufte sich ein Sachbuch mit dem Titel "Kokain", und weil sie darin las, dass Pupillen unter Kokain-Einfluss nicht auf Licht reagieren, besorgte sie sich eine Taschenlampe, die sie von nun an immer bei sich trug, wenn sie, was selten genug vorkam, abends ausging. Sie leuchtete jedem, mit dem sie Kontakt hatte, in die Augen, um gegebenenfalls sagen zu können: "Sie haben Drogen genommen, mit Ihnen spreche ich nicht." Sie muss in der New Yorker Clubszene der Achtzigerjahre über alle Maßen beliebt gewesen sein.

Und dann verliebte sie sich ausgerechnet in John Taylor, den schon erwähnten Bassisten von Duran Duran, der damals kokainabhängig war. Er hatte sie auf einer Party von Billy Idol nicht weiter beachtet und dies sogleich bitterlich bereut, nachdem ihm jemand gesagt hatte, was für ein unfassbar erfolgreiches Model er da gerade übersehen hatte. Umgehend besorgte er sich ihre Telefonnummer über ihre Agentur. Das sei damals üblich gewesen, sagt Simonsen, dass männliche Stars Modelagenturen wie Dating-Plattformen nutzten, beziehungsweise wie einen Bestellkatalog. Für sie war es die ganz große Liebe. "Ich dachte, der ist es, für immer und ewig. Wir werden zusammen alt werden, das habe ich wirklich geglaubt."

Die schönsten Fotos von ihr sind vielleicht die Paparazzifotos, die es von den beiden gibt: zwei so schöne Menschen, die sogar aussahen wie Geschwister mit ihren kantigen klaren Gesichtern und nahezu identischen Fransenfrisuren. Dass die sich gefunden hatten auf dieser großen Welt, es hatte ein bisschen was von einem Märchen, vielleicht aber auch von einem irren Traum: Sie lebten in New York, Paris und London, tanzten auf Mick Jaggers Geburtstagsparty, trafen Freddie Mercury zum Lunch, flogen mal eben mit dem EMI-Chef im Privatjet nach Spanien, um sich Immobilien anzusehen. Als surrealster Moment ist ihr in Erinnerung, dass der Schauspieler Rob Lowe, damals ein Weltstar, in einer Talkshow sagte, er sei Hals über Kopf in das Mädchen verliebt, das auf allen New Yorker Bussen hinten drauf sei. Das war sie. Irgendeine Reklame für Jeans.

Wo auch immer sie auf der Welt zwischenlandete, im Flughafen-Kiosk gab es Magazine mit ihr vorne drauf. Eine große Kosmetikfirma gab ihr einen Exklusivvertrag. Sie verdiente enorm viel Geld. Sie war erst 24 Jahre alt. Warum hat sie nicht einfach so weitergemacht?

"Seltsame Dinge passierten mit mir. Damals wusste ich nicht, was es war, ich dachte, ich würde verrückt. Heute weiß ich, dass es Panikattacken waren. Sehr spezielle Dinge machten mir auf einmal Angst, vor anderen zu essen, zum Beispiel. Ich mochte es nicht mehr, dass mir ständig jemand im Gesicht oder in den Haaren rummachte, ich stand auch nicht mehr gerne vor einer Kamera. Ich hatte so etwas wie eine Aufmerksamkeits-Allergie entwickelt, ich wurde übersensibel." Außerdem lief die Beziehung schlecht, gegen Drogen habe man keine Chance. Und sie merkte, dass sie sich zu verändern begann. "Auf einmal nahm ich das Business ernst. Plötzlich machte es mir etwas aus, dass ich nie auf dem Cover von Sports Illustrated war. John war so etwas wichtig. Popstar zu sein hatte für ihn nichts Ironisches. Auf einmal wurden seine Werte meine. Ich hatte meinen inneren Kompass verloren."

Als ihre Schwester ihr am Telefon erzählte, sie würde in ein Kibbuz nach Israel gehen, wusste sie sofort: Sie wollte mit. Drei Monate lang war sie dort. Pflückte Orangen, trug täglich dieselbe blaue Uniform und rote Converse, färbte sich die Haare mit Henna, hörte auf, sich Beine und Achseln zu rasieren. Und war glücklich. "Niemand entschied, wie ich aussehen sollte, niemand schrieb mir irgendetwas vor. Da waren nur ich und die Orangenbäume, es hat so unglaublich geduftet. Wir haben auf dem Feld gesungen, Kinderlieder, dänische Lieder, wenn ich daran denke, fühle ich heute noch dieses überwältigende Gefühl von absoluter Freiheit."

"Seltsame Dinge passierten mit mir. Heute weiß ich, dass es Panikattacken waren."

Der Neuanfang war radikal. Sie trennte sich von John Taylor, beendete ihre Karriere, zog zurück nach Aarhus. An dieser Stelle beginnt der Teil, der in Märchen dann nicht mehr erzählt wird, weil er von zu vielen Dienstagnachmittagen handelt. Sie machte das Abitur nach, studierte Psychologie, bekam Kinder, zog sie groß, begann zu schreiben. Heute ist sie in Dänemark eine erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautorin, einige ihrer Bücher wurden verfilmt, neuerdings schreibt sie auch Drehbücher. Hin und wieder modelt sie, wirbt für Cremes für erwachsene Frauen. Leicht verdientes Geld, so nennt sie es. Mit Panikattacken hat sie immer noch zu tun, aber sie habe gelernt, damit umzugehen.

Wenn sie sich auf alten Fotos sieht, was denkt sie dann?

"Ich sehe mich, so jung und so schön, und ich würde mir gerne sagen: Bleib nicht so lange in einer ungesunden Beziehung. Sei liebevoller mit dir selbst. Und vor allem: Höre immer auf dich, vertraue darauf, dass das, was du fühlst, richtig ist, egal, was die Gesellschaft, das Außen, dir einzureden versucht." Eine Frau, die berühmt dafür war, anderen zu gefallen, weiß, wovon sie spricht.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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